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Adelante muchachas!

Vier junge Frauen in Honduras mit einer gemeinsamen Leidenschaft
Gert Eisenbürger

Lateinamerikanische FreundInnen weisen uns immer wieder darauf hin, dass Beziehungen zwischen Leuten aus unterschiedlichen sozialen Klassen bei ihnen noch wesentlich seltener seien als in Europa. Die Mittel- und Oberschichten nehmen die Unterschichten und ihre Wohnviertel vor allem als gefährlich wahr und versuchen diese soweit wie möglich zu meiden. Menschen aus den verarmten Bevölkerungssektoren kommen eigentlich nur in die „besseren Viertel“, wenn sie dort als DienstbotInnen arbeiten.

Nur ganz selten gibt es Berührungspunkte, wo sich Leute aus unterschiedlichen sozialen Milieus begegnen. So hätten sich die vier honduranischen Teenager Wendy, Cristel, Seydi und Kenia kaum kennen gelernt, wenn sie nicht begeisterte Fußballspielerinnen wären. Cristel und Kenia sind Töchter aus der gehobenen Mittelschicht, während Wendy und Seydi mit ihren Müttern und Geschwistern in Villa Nueva, einem der Armenviertel der Hauptstadt Tegucigalpa, leben. Aber auch so beschränken sich ihre Kontakte auf gelegentliche Begegnungen auf dem Spielfeld, denn sie kicken in zwei verschiedenen Teams: Cristel und Kenia bei der weiblichen Jugend von Motagua, einem der großen Fußballclubs, dessen Männerteam in der Profiliga ganz oben mitspielt, Wendy und Seydi in der Auswahl von Compartir, einem Sozialprojekt für Kinder und Jugendliche in Honduras.

Die so unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der vier Fußballerinnen sind das Thema des Films „Adelante Muchachas“ der Berliner Autorin Erika Harzer, die lange in Honduras gelebt hat. Sie zeigt die Frauen auf dem Fußballplatz, in der Disco, in der Schule und zu Hause. Die einen in nobel eingerichteten Häusern, die anderen in bescheidenen Hütten ohne fließendes Wasser. Die Frauen, ihre Mütter und Freundinnen erzählen vom Alltag jenseits des Fußballplatzes, über ihre schulischen „Karrieren“, ihre Freizeitaktivitäten, die Vorstellungen von Partnerschaft und Sexualität und ihre Erwartungen an die Zukunft. Wenn auch einerseits die Unterschiede enorm sind – Cristel und Kenia haben teure Privatschulen besucht und wollen ihr Tourismus- bzw. Medizinstudium teilweise in Barcelona bzw. den USA absolvieren, während Wendy nicht einmal die Sekundarschule abschließen konnte („weil ich mir nichts merken kann“), – überraschen manche Gemeinsamkeiten.

Alle Frauen kritisieren den Machismo in der honduranischen Gesellschaft und erklären, dass sie sich nicht von einem Mann dominieren lassen wollen. Gleichzeitig bejahen sie das herrschende Weiblichkeitsideal, das Sex vor der Ehe ausschließt. Deutlich wird, dass alle vier unter der Gewalt in Honduras leiden und das Gefühl haben, in einer Gesellschaft zu leben, die Jugendlichen wenig Raum lässt. Die unmittelbare Erfahrung von Gewalt unterscheidet sich dann aber krass. Während die Mittelschichtmädchen beklagen, dass es viel zu wenige Ort gibt, wo man sicher hingehen kann, und deshalb in die Shopping-Center ausweichen, haben Seydi und Wendy Familienmitglieder durch Gewalt verloren. Seydis Vater wurde vor sieben Jahren ermordet, wahrscheinlich wegen Konflikten im Viertel („Mein Vater war ein Streithammel“), Wendys Bruder fiel erst wenige Monate vor dem Dreh des Films einem Mordanschlag zum Opfer. Er wurde aus einem fahrenden Auto von Vermummten erschossen und alles deutet darauf hin, dass er Opfer eines „Komitees zur sozialen Säuberung“ wurde. Diese Gruppen sind überwiegend aus Polizisten bestehende Todesschwadronen, die Jagd auf tatsächliche oder vermeintliche jugendliche Kriminelle machen. Die Passage über die Ermordung von Wendys Bruder zeigt, was einen guten Dokumentarfilm von pseudo-authentischem Reality-TV unterscheidet. Letzteres hätte als „Krönung“ sicher Bilder aus dem Leichenschauhaus präsentiert, während hier auf Gewaltdarstellungen völlig verzichtet wird, aber wenige Sätze Wendys klarmachen, wie entsetzlich allein sich die junge Frau fühlt, der die staatlichen Killer die wichtigste Bezugsperson genommen haben.

Natürlich geht es in dem einstündigen Film auch um Fußball, um die Begeisterung der Frauen für ihren Sport und um die Diskriminierung, die sie immer wieder erleben. Letztere reicht von albernen Vorurteilen („Nein ich würde nicht wollen, dass meine Freundin Fußball spielt, sie hätte dann dickere Waden und ihr Beine wären nicht mehr so weiblich“) bis zum völligen Desinteresse des honduranischen Fußballverbands. Bezeichnend ein Auftritt des für Frauenfußball zuständigen Funktionärs, der VertreterInnen der Clubs erklärt, der Verband würde sich auch um Unterstützung des Frauenfußballs bemühen. Man(n) wolle den Spielerinnen Bälle und Schuhe zur Verfügung stellen. Dann fragt er nach: „Spielen Frauen eigentlich in Fußballschuhen oder in Tennisschuhen?“ Aber diese Einschränkungen können den Frauen den Spaß am Fußball nicht nehmen. Der Höhepunkt für alle vier ist ein Spiel im großen Stadion, wo die beiden Frauen-Teams vor einem Spitzenspiel der Männer gegeneinander antreten. Das Stadion ist voll mit begeisterten Fans, im Fernsehen wird die Partie auch übertragen. Und die Frauen zeigen allen, dass sie Fußball spielen können. Unbedingt ansehen!

Adelante muchachas! kann als DVD zum Preis von 15,- Euro (+ 2,- Versand) bestellt werden bei eharzer@eha-media.de – Die DVD enthält drei Sprachfassungen (OF spanisch, OmU deutsch, OmU englisch), eine Fotoauswahl, einen Kurztrailer und die (tolle) Filmmusik. Von jeder verkauften DVD gehen zwei Euro Spende für den weiteren Aufbau der Frauen- und Mädchenfußballliga nach Tegucigalpa.