ila

Spaß kann auch Widerstand machen

Sammelband zur Kunst des kreativen Straßenprotests
Britt Weyde

Statt die Verhältnisse grundsätzlich zu verändern, hat sozialer Protest, selbst wenn er eine revolutionäre Perspektive vertritt, immer die Tendenz, zu einer Modernisierung zu führen. Die sozialen und kreativen Fähigkeiten, die sich in sozialen Bewegungen entwickeln und dort erworben werden, lassen sich innerhalb des Systems einsetzen und ‚verwerten' ...“ heißt es in der Einleitung zu „go.stop.act – Die Kunst des kreativen Straßenprotests“. Mit diesem Sammelband hat der Herausgeber und Autor Marc Amann eine ästhetisch ansprechende Fleißarbeit hingelegt. In großformatigem Paperback, mit luftigem Layout und hübsch illustriert wird ein Überblick über die Aktionsformen der globalisierungskritischen Bewegung gegeben. Die Interventionsansätze aus den letzten zehn Jahren streifen dabei auch die Antirassismus- und Anti-Castor-Bewegung, Innenstadtaktionen, Street-Art, Internetaktivismus und noch so einiges mehr. Das praxisorientierte Kompendium gibt dabei jeweils knappe historische Einordnungen und räumt anschaulichen Beispielen sowie Tipps für Do it yourself viel Platz ein. Häppchen aus anderen Werken zu Aktionsformen der (radikalen) Linken, insbesondere aus dem „Handbuch der Kommunikationsguerilla“, schaffen Anreize zum Weiterlesen. Weiterführende Links und Literaturtipps fehlen ebenso wenig. Besonders für Leute, die am Anfang einer Karriere als PolitaktivistInnen stehen, dürfte der Band inspirierend wirken.
 
Ärgerlich sind nichtssagende Passagen, die große Worte benutzen, wie z.B.: „Im Vordergrund ihrer Beschäftigung mit Großpuppen und Theaterformen standen dabei weniger künstlerisch-ästhetische Gründe, sondern vielmehr das Interesse an den politischen Möglichkeiten von Kunst und Theater, ‚mit dem Ziel, eine egalitäre, anarchistische Gesellschaft aufzubauen.'“ Soso. Oder simple Aufzählungen, die die Vielseitigkeit und „Buntheit“ von bestimmten Happenings widerspiegeln sollen. Manchmal wünscht man sich weniger Beschreibung und mehr Reflexion. Der euphorische Tonfall, der in zynischen Zeiten zwar begrüßenswert ist, enerviert an manchen Stellen. Andere Beiträge kommen nachdenklicher daher. Z.B. das Kapitel zum Radioballett am Hamburger Hauptbahnhof, dem Paradebeispiel für einen privatisierten Raum, an dem überwacht, ausgegrenzt und kontrolliert wird, welche Verhaltensweisen zulässig sind: „Es gilt genau zu reflektieren, an welchem Ort mit welchen Formen und Inhalten sinnvoll interveniert werden kann, sonst ist die Gefahr einer Enteleerung der Konzepte hin zu einer netten ästhetischen Abwechslung zum Demoalltag bereits in Sicht.“

Sind einige Aktionsformen insofern problematisch, als sie einfache Gut-Böse-Schemata bedienen und somit undifferenziert rüber kommen, wie es bei den bereits erwähnten Großpuppen (die für die egalitäre Gesellschaft streiten sollen) der Fall sein kann, laufen „postmodernere“ Formen Gefahr, dass ihre Botschaft unklar bleibt oder die Aktionen vereinnahmt werden. In einigen Kapiteln wird diese Problematik angerissen, z.B. in demjenigen zu Street Art. Hier bestehen Vereinnahmungsbestrebungen von Seiten des offiziellen oder kommerziellen Kulturbetriebes. Oder sie trägt als weicher Standortfaktor zur Aufwertung von Stadtvierteln bei. Der berühmte schmale Grat, wie das Richtige im Falschen zu tun ist – dieses Dilemma bleibt auch jüngeren Protestgenerationen nicht erspart. Oder wie es die politischen Straßenmusiker formulieren: „Hat man uns über die Preisverleihung doch wieder integriert? Waren wir zu soft? (...) Merkwürdig, dass man als Linker immer das Gefühl hat, etwas falsch gemacht zu haben, wenn man Zustimmung erfährt.“

Vereinnahmungsgefahr herrscht auch von rechts, einige Aktionsformen sind auch schon von Nazis angewandt worden. Hierbei stellt sich die Frage, ob kreativer Straßenprotest per se progressiv ist. Nicht unbedingt, wie schon die Überschrift eines Kapitels andeutet: „Sinnbefreite Blitzperformances“. Diese sog. flashmobs waren zunächst als explizit sinnentleertes Gruppenereignis angetreten, um dem „Ich war dabei“-Gefühl Nahrung zu geben: „Der Flash Mob soll dem Teilnehmer Spaß machen und bedient sich dabei vielleicht der verborgenen, banaleren Motivationen, warum Leute wegen politischen und anderen Anliegen auch auf die Straße gehen: Ich möchte Viele sein, ich möchte irgendwie subversiv sein, ich möchte Teil einer Bewegung sein.“ 

Trotz dieser manchmal vagen Ausrichtung, den Widersprüchen sowie einer allgemeinen Tendenz zur Medienfixiertheit bieten die vorgestellten Aktionsformen doch eine Alternative zu Latschdemos und unmotiviertem Flugblattverteilen – schließlich soll Widerstand auch Spaß machen. Risiken und Nebenwirkungen sollten stets anhand der Praxis überprüft werden. Denn die Welt, in der wir leben, wartet mit genügend Missständen auf, um aktiv zu werden und dabei auch mal Neues auszuprobieren. Man muss sich nur trauen und sich angesichts vielerlei Widerstände nicht entmutigen lassen: „Dazu kommt in Deutschland ein speziell deutscher Reinheitswahn – zwar geht es nicht um die Reinheit der Rasse, aber um die Reinheit der Gedanken, Handlungen oder Begriffe. Nur all zu oft kultivieren ‚Linke' eine Haltung, die ständig über falsches und richtiges Bewusstsein befindet, immer schon alles besser weiß, beurteilt und aburteilt. Gestrebt wird nach der reinen Lehre, der wasserdichten Theorie und Praxis.“ Danach strebt Marc Ammans Buch gewiss nicht, und das ist auch gut so. 

Marc Amann (Hrsg.), go.stop.act – Die Kunst des kreativen Straßenprotests, Trotzdem Verlagsgenossenschaft, Frankfurt 2005, 240 Seiten, 18 Euro