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Das Scheitern des dominikanischen Experiments

Aprilrevolution und US-Intervention in Santo Domingo 1965

Es war nicht das Attentat vom 30. Mai 1961, dem der seit über 30 Jahren unumschränkt herrschende Diktator Trujillo zum Opfer fiel, das die Hoffnungen auf Demokratisierung der Dominikanischen Republik begründete. Die heute als Heldentat bezeichnete Nacht- und Nebelaktion auf einer Landstraße zwischen Santo Domingo und San Cristóbal war zwar eine notwendige Voraussetzung für einen politischen Aufbruch. Doch der seit 1930 waltende Despot und sein Clan hatten viel zu lange und umfassend geherrscht, als dass das physische Verschwinden des Diktators ausgereicht hätte, den Dominikanern sozusagen aus dem Stegreif eine Demokratie zu bescheren. Bis zur Ausreise des Trujillo-Clans sollten noch einige Monate vergehen, die zu den blutrünstigsten der dominikanischen Geschichte gehören. Während Joaquín Balaguer, Trujillos graue Eminenz, noch bis November 1961 im Präsidentenpalast ausharrte, überzog Trujillos Sohn Ramfis als Militärchef das Land mit einem blutigen Rachefeldzug, dem nicht nur (fast) alle Exekutoren seines Vaters zum Opfer fielen. Erst Ende 1961, als Balaguer und der Clan das Land verlassen mussten, schien die Ära Trujillo der Vergangenheit anzugehören. Es waren der Wahlkampf Ende 1962 und die kurze Präsidentschaft von Juan Bosch (Februar bis September 1963), die auf einen demokratischen Aufbruch und dringend notwendige Reformen hoffen ließen.

Klaus Jetz

Juan Bosch war nach Jahrzehnten im Exil nach Santo Domingo zurückgekehrt und hatte im Wahlkampf so ziemlich alles versprochen, was an Reformen und Modernisierungsvorhaben nötig war. Das Programm reichte von einer neuen Verfassung, einer Landreform und der Aufteilung der riesigen Ländereien der Trujillo-Familie über die Einschränkung des Landerwerbs durch ausländische Firmen bis hin zu einem modernen Scheidungsrecht. Folglich trugen Bosch und die 1939 von ihm mitbegründete Partei der Dominikanischen Revolution (PRD) einen überwältigenden Wahlsieg davon. Die Regierung Bosch machte sich auch gleich daran, alle ihre Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Eine moderne und fortschrittliche Verfassung trat in Kraft und eine Landreform wurde angegangen. Zunächst genoss Bosch auch das Wohlwollen der Kennedy-Administration, die in dem Antimarxisten ein Bollwerk gegen Castro sah. Doch schon bald traf das demokratische Experiment auf den Widerstand von Teilen des Militärs, vieler noch immer im Land agierender Trujillisten, der Oligarchie und der Kirche. 

Der erste Versuch der gewaltsamen Beendigung des demokratischen Experiments erfolgte am 25. September 1963, als die Regierung durch einen u. a. von den reaktionären Generälen Elías Wessin y Wessin und Antonio Imbert Barreras (der am Attentat auf Trujillo beteiligt und Ramfis Trujillos Rache entkommen war) organisierten Militärputsch gestürzt und durch ein Triumvirat mit Donald Reid Cabral an der Spitze ersetzt wurde. Der verfassungsmäßige Präsident ging auf die Nachbarinsel Puerto Rico ins Exil, die Gefängnisse füllten sich wieder und „El americanito“, wie der umtriebige Geschäftsmann und angebliche CIA-Agent Reid Cabral in Santo Domingo auch genannt wurde, nahm alles zurück, was an Wahlversprechen bislang umgesetzt worden war. Die neue Verfassung wurde umgehend außer Kraft gesetzt. Rund 20 Monate sollte diese „Karikatur einer Regierung“ (Bosch) im Amt bleiben, um sich vornehmlich der Ausbreitung der Korruption und den Geschäftsinteressen Reid Cabrals zu widmen. Anfang 1965 befindet sich Juan Bosch zwar noch im Exil in Puerto Rico, doch hält er Kontakt zu verfassungstreuen Militärs und Politikern in Santo Domingo. Im Januar schließt er mit der rivalisierenden Revolutionären Sozialchristlichen Partei (PRSC) den „Pakt von Río Piedras“, mit dem ein gemeinsames Vorgehen gegen die korrupte Regierung Reid Cabral vereinbart wird. Die Verfassung von 1963 soll wieder in Kraft gesetzt werden. Anfang April reist ein Vertrauter Boschs nach Santo Domingo, wo er sich mit Francisco Caamaño und anderen verfassungstreuen Militärs trifft. Auch bei diesem Treffen wird verabredet den legitimen Präsidenten wiedereinzusetzen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Dies soll durch einen bewaffneten Aufstand erreicht werden.

Das Schicksal der Regierung Reid Cabral entscheidet sich am 24. April, als er auch die Unterstützung der US-Regierung verliert. Diese setzt alles auf General Wessin, der erneut putschen und die Kontrolle übernehmen soll. Doch es kommt anders: Um 1.00 Uhr am 25. April besetzt eine bewaffnete Gruppe von Konstitutionalisten mit dem jungen PRD-Pressesekretär Francisco Peña Gómez als Anführer Radio Nacional. Der spätere langjährige PRD-Bürgermeister der Hauptstadt verliest ein Manifest und gibt das Signal zum Aufstand. In der Folge füllen sich die Straßen der Hauptstadt mit demonstrierenden Menschen. Aufständische konstitutionalistische Militärs setzen Loyalisten (Anhänger der Regierung Reid Cabral) fest. Am Mittag tritt Reid Cabral zurück und Boschs ehemaliger Vizepräsident José Rafael Molina Ureña wird als provisorischer Präsident vereidigt. Er soll bis zur Rückkehr von Bosch die Regierungsgeschäfte übernehmen. General Wessin, Kommandant der Luftwaffenbasis von San Isidro, und General Imbert mit seinen Panzerverbänden widersetzen sich Molina Ureña. Der Protegé Washingtons schlägt eine Junta aus Militärs und Zivilisten vor, die drei Monate im Amt bleiben und Neuwahlen vorbereiten soll. Unterdessen trifft ein Abgesandter von Präsident Johnson in Puerto Rico ein. Er macht Juan Bosch klar, dass man ihn nicht nach Santo Domingo zurückkehren lassen wird. In den folgenden Tagen versucht Bosch mehrmals Puerto Rico zu verlassen. Vergeblich. Erst am 3. September wird er nach Santo Domingo ausreisen können.

In der dominikanischen Hauptstadt spitzen sich die Ereignisse zu. Die von Francisco Caamaño angeführten Konstitutionalisten besetzen die Altstadt, Regierungsgebäude und den Nationalpalast. Sein Gegenspieler Wessin lässt den Nationalpalast und einige Stadtteile bombardieren. Imberts Panzer versuchen am 26. April vergeblich über die Duarte-Brücke ins Stadtzentrum zu gelangen, immer wieder werden sie von den Aufständischen zurückgeschlagen, es gibt viele Tote in der Zivilbevölkerung. Molina Ureña und seine Minister führen unterdessen Verhandlungen in der US-Botschaft. Botschafter Bennett befindet sich in Washington, einige Mitarbeiter fordern die Regierung Molina Ureña zum Rücktritt auf, es gebe nichts zu verhandeln, General Wessin werde eine Militärjunta bilden. Als die Nationalpolizei sich auf Wessins Seite schlägt und die Menschenmenge in der Altstadt mit gepanzerten Fahrzeugen angreift, kommt es erneut zu schweren Kämpfen mit vielen Todesopfern. Erneut schlagen die aufständischen Zivilisten die Angreifer zurück und besetzen in der Folge sämtliche Polizeidienststellen der Altstadt. Am nächsten Tag führen Molina Ureña, Francisco Caamaño und andere Konstitutionalisten erneut Verhandlungen in der US-Botschaft. Diesmal mit Botschafter Bennett, der sich am Vortag mit Präsident Johnson abgestimmt hat. Der US-Botschafter fordert die Aufständischen auf, sich zu ergeben. Es kommt zu einem heftigen Wortgefecht zwischen Bennett und Caamaño, der ankündigt weiterzukämpfen und zur Duarte-Brücke zurückkehrt, während Molina Ureña und einige Militärs in verschiedenen lateinamerikanischen Botschaften um Asyl nachsuchen. Die aufständischen Konstitutionalisten kämpfen erfolgreich, nehmen die Ozama-Festung ein, erbeuten Waffen und machen Hunderte von Gefangenen. Ein Sieg über die Loyalisten ist greifbar nahe. Bennett meldet nach Washington, die Situation habe sich verschlechtert, es ginge nunmehr um Castrismus, für den die Konstitutionalisten stünden, oder Demokratie. Er bittet um bessere Ausrüstung für Wessins Luftwaffe, die sofort gewährt wird. US-Militärberater fordern Wessin zur baldigen Bildung einer Militärjunta auf. Diese wird am 28. April die USA um militärische Intervention bitten.

Was jetzt folgt, kann als zweiter Versuch der gewaltsamen Beendigung des dominikanischen Experiments bezeichnet werden. Zunächst landen am 28. April 400 Marineinfanteristen in Santo Domingo. Sie werden von verschiedenen Stützpunkten in der Karibik per Helikopter direkt zum Hotel Embajador eingeflogen, von wo aus sie eine Schneise durch die von den Konstitutionalisten kontrollierten Stadtteile schlagen sollen. In der Folge kämpfen die Aufständischen an zwei Fronten, in ihrem Rücken werden sie von US-Marines angegriffen, vor sich haben sie die Soldaten Wessins. Am 30. April gibt Präsident Johnson bekannt, dass sich 22 000 Marines in Santo Domingo aufhalten. Zum ersten Mal nennt er auch den wahren Grund für die Intervention. War es zunächst angeblich um die Evakuierung von bedrohten US-BürgerInnen gegangen, spricht der US-Präsident nunmehr von Beweisen dafür, dass im Ausland ausgebildete Personen versuchten, die Kontrolle in Santo Domingo an sich zu reißen. Das State Department veröffentlicht eine Liste von 58 angeblichen Kommunisten, die Caamaño unterstützen. Diese Liste wird auch in Washington von vielen sofort als plumpe Fälschung und bloßer Vorwand für eine Intervention bezeichnet. Erst im Nachhinein informiert Johnson die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) über die Intervention, die deren Charta verletzte, insbesondere die Prinzipien der Nichteinmischung und gegenseitiger Konsultationen im Krisenfall. Dennoch beschließt die OAS, Waffenstillstandsverhandlungen einzuleiten und eine neutrale Pufferzone in Santo Domingo einzurichten. Damit erkennt sie die US-Intervention und die geschaffenen Fakten an. Ab diesem Zeitpunkt kann die US-Regierung behaupten, im Auftrag der OAS zu handeln. Den US-Streitkräften gelingt es bald, die Konstitutionalisten zu schwächen, indem sie einen Korridor durch die konstitutionalistische Zone schlagen. Besiegen können sie die erbittert kämpfenden DominikanerInnen zwar nicht, doch Caamaño teilt der Weltöffentlichkeit mit, dass das brutale Vorgehen der US-Truppen 2500 dominikanische Zivilisten das Leben gekostet hat.

Am 4. Mai ernennt der konstitutionalistische Kongress Caamaño zum provisorischen Präsidenten. Er soll bis Februar 1966, dem regulären Ende von Boschs Präsidentschaft, die Regierungsgeschäfte führen. General Imbert bildet am 7. Mai eine „Regierung des nationalen Wiederaufbaus“ genannte Militärjunta. Das Land, besser die Hauptstadt, ist gespalten und hat vorübergehend zwei Regierungen. Die Militärdiktaturen Brasilien, Paraguay, Honduras und Nicaragua stellen den mittlerweile 42 000 US-Marines symbolisch einige Hundert Soldaten zur Seite. Diese am 6. Mai geschaffene Interamerikanische Friedensstreitmacht steht pro forma unter dem Kommando eines brasilianischen Generals, de facto werden die Operationen von den Nordamerikanern befehligt. Ende Juni kehrt Joaquín Balaguer, Trujillos graue Eminenz, aus den USA zurück und schlägt als Ausweg aus der Krise eine provisorische Regierung mit ihm an der Spitze vor. Doch am 9. Juli teilt die konstitutionalistische Regierung Caamaño der OAS-Verhandlungskommission mit, dass sie bereit sei, deren Vorschlag zur Bildung einer provisorischen Regierung mit Héctor García Godoy (Trujillos Botschafter in London) an der Spitze anzunehmen. 132 Tage nach Ausbruch der Aprilrevolution unterzeichnen Konstitutionalisten und Loyalisten einen Acta de Reconciliación Dominicana genannten Waffenstillstand. Am 3. September übernimmt die provisorische Regierung García Godoy die Amtsgeschäfte, Wessin tritt einen diplomatischen Posten in den USA an, Caamaño wird Militärattaché in London. Aus den für den 1. Juni 1966 anberaumten Wahlen geht erwartungsgemäß Balaguer als Sieger hervor. 

Damit war das dominikanische demokratische Experiment, sozusagen im dritten Anlauf, endgültig gescheitert. Die US-Intervention brachte die DominikanerInnen um ihr Selbstbestimmungsrecht und bescherte ihnen außer Tausenden von Toten eine Trujillo-Ära light, die zunächst zwölf bleierne Jahre dauern sollte. Wahlbetrug wurde zur Regel, politische GegnerInnen wurden verfolgt und ausgeschaltet, notwendige Reformen verhindert. Alle vier Jahre sollte Balaguer sich zur Wahl stellen und die immer gleichen Köpfe in seine Regierungen holen. Wessin war noch in den 80er Jahren Balaguers Verteidigungsminister, und der 1923 geborene Donald Reid Cabral ist heute Vorsitzender von Balaguers Wahlverein Partido Reformista Social Cristiano (PRSC). Schon bald wurde klar, dass die Regierung Balaguer restaurative Ziele, eine auf die Bewahrung der Privilegien und Pfründe der Oligarchie gerichtete Politik verfolgte, letztendlich also nichts anderes im Schilde führte als das Triumvirat und die US-Marionette Donald Reid Cabral, gegen den sich die Dominikanerinnen und Dominikaner im April 1965 mit dem Ziel erhoben hatten, ihre Verfassung und ihren rechtmäßigen Präsidenten wiedereinzusetzen.
Dennoch, die Aprilrevolution, aus der bald unfreiwillig eine Art Vaterländischer Krieg (Guerra Patria) wurde, hat auch Spuren in den Köpfen der DominikanerInnen hinterlassen. Obwohl die Hoffnungen auf Demokratisierung und Modernisierung zerstört wurden, empfinden viele DominikanerInnen auch Stolz, denn der heldenhafte Widerstand habe in der Tradition der Unabhängigkeitsapostel des 19. Jahrhunderts, Duarte, Sánchez, Mella, gestanden, habe Patriotismus und Nationalbewusstsein gestärkt. Vor allem aber war es den unbesiegten KonstitutionalistInnen gelungen, die verhasste Regierung Reid Cabral hinwegzufegen und den Invasoren zu trotzen, die ihr Modell einer von Wessin und Imbert geführten Militärjunta nicht durchsetzen konnten.