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Aus dem Leben eines anständigen Bürgers

Erzählung von Claudia Hernández
Claudia Hernández

Als ich nach Hause kam, lag da eine Leiche. In der Küche. Von einer Frau. Verstümmelt. Sie war frisch, der mineralische Geruch des Blutes, das ihr verblieben war, lag noch in der Luft. Das Gesicht war mir gänzlich unbekannt, aber der Körper erinnerte mich an meine Mutter, wegen der Knie: knochig und weit vorstehend, als würden sie nicht zu ihr gehören, als hätte eine andere Frau sie ihr geliehen, die weit größer und dünner war als sie. Die Schlösser waren nicht aufgebrochen, kein einziges. Nirgends war eine Waffe zu sehen. Es gab nichts, was einen Hinweis auf den Mörder gegeben hätte, außer der Frau, die man wie eine Kuh abgeschlachtet hatte. Allerdings ohne den Fußboden zu beflecken. Nicht ein einziger Blutstropfen war auf ihm zu sehen. Eine saubere Arbeit. In meinem Leben habe ich viele Ermordete gesehen, aber nie eine so gute Arbeit, wie sie diesem Mädchen zuteil geworden war, die aussah, als hieße sie Lívida, vielleicht wegen des Ausdrucks von Klage, der auf ihren dunkelblauen Lippen wie festgefroren war. 
Wie jeder anständige Bürger wartete ich nicht ab, bis eine entsprechende Nachricht im Radio oder Fernsehen gesendet wurde, sondern veranlasste selbst, dass sie in der Zeitung erschien: Suche Eigentümer der Leiche eines jungen Mädchens, ziemlich mollig, mit vorstehenden Knien und einem Gesichtsausdruck, als hieße sie Lívida. Sie wurde in meiner Küche zurückgelassen, in der Nähe des Kühlschranks, mit Wunden und fast blutleer. Nähere Auskünfte unter: 271-0122. Es meldeten sich vier Personen. Der Erste – ein Mann mit einer Fistelstimme, den ich mir sofort als mit feingliedrigen Fingern ausgestattet vorstellte – suchte einen frischen, aber männlichen Leichnam: Ein Mitglied seiner Familie war getötet worden, und sie mussten es beerdigen, um die Last des Gewissens nicht länger zu spüren. Sie hatten die Leiche nicht gefunden. Die Mörder hatten sie versteckt, um die Schuldgefühle noch zu vergrößern. 
Er wusste, dass in meinem Inserat von einer Frau die Rede war, hatte aber die Hoffnung, dass die Urheber des Todes seines Verwandten entschieden hätten, den Körper ebenfalls irgendwo in meinem Haus zu deponieren, auch wenn es nicht neben dem Kühlschrank war. Ich bedauerte, ihn enttäuschen zu müssen, versprach aber anzurufen, falls der Leichnam, den er suchte, zufällig bei mir hinterlegt werden sollte oder ich ihm sonstwie behilflich sein könnte. Er dankte mir aufrichtig und wünschte mir einen guten Tag.Danach rief eine Frau an, die – den Geräuschen nach zu urteilen, die sich im Hintergrund erahnen ließen – in einer Behörde arbeitete. Sie wollte mich beglückwünschen: „Bürger wie Sie gibt es heutzutage nicht mehr“, sagte sie. Sie wollte mir ihren Namen nicht nennen und legte rasch auf. 
Der dritte Anruf kam von einem Mann mit gewichtiger Stimme, der nicht aus eigenem Antrieb anrief, sondern im Auftrag des Amtes, für das er arbeitete. Er wollte wissen, ob ich gesundheitliche Maßnahmen ergriffen hätte, um Ansteckungen in der Nachbarschaft zu vermeiden. Er kündigte an, mir ein Formblatt zu schicken, das ich ausfüllen und unterzeichnen sollte, um die Verantwortung zu übernehmen, falls in der Umgebung eine Epidemie von Toten ausbrechen sollte. Der vierte Anruf bewegte mich tief. Es handelte sich um ein Paar in fortgeschrittenem Alter. Sie suchten eine Frau mit den Kennzeichen, die ich in der Anzeige beschrieben hatte, aber lebendig, nicht tot; mit purpurroten Lippen, nicht mit violetten. 
Eine Woche verstrich, ohne dass eine weitere Person die Leiche für sich in Anspruch genommen hätte. Ich hob sie vom Boden auf und schickte mich an, sie zur Gesundheitsbehörde zu bringen, damit diese sich ihrer annahm, zumal sie trotz meiner Umsicht und der Bäder mit Balsam und Kochsalz einen strengen Geruch zu entwickeln begann. Doch plötzlich kam mir in den Sinn, die beiden alten Herrschaften, das Paar, anzurufen, um ihnen die Leiche anzubieten. Ohne weitere Kosten und Verpflichtungen. Aber dann erschien es mir grausam. Sie würden sie sicher nicht haben wollen, denn durch eine Zustimmung würden sie ihren Glauben, dass ihre Tochter (deren Name gewiss Lívida war) noch atmete, verleugnen. Ich würde ihnen die Hoffnung nehmen, und das schickte sich nicht für einen Bürger wie mich. Ich entschied, dass es besser sei, den Mann mit der Fistelstimme anzurufen, der weder den Leichnam seines Angehörigen gefunden hatte noch in der Lage war, seine Familie zu beruhigen. 
Als ich ihn am Apparat hatte, schlug ich ihm vor, den Seinen die Leiche in meiner Küche als die des Angehörigen zu präsentieren. Selbstverständlich würden wir den Sarg versiegeln, um zu verhindern, dass irgendjemand die Unterschiede zwischen beiden Körpern bemerkte. Wir würden so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das Mädchen würde eine Bestattung bekommen, und wir würden seine Familienangehörigen beruhigen, die endlich in Frieden schlafen könnten. Er willigte hocherfreut ein und kam postwendend, um die Leiche abzuholen. Mit Sarg – für einen Mann natürlich – und allen notwendigen Utensilien. 
Ich erkannte ihn sofort durch das Guckloch, nicht wegen des Sarges, den er unter dem Arm trug, oder wegen des Gesichts eines Kranken, der auf Besserung hofft, sondern wegen seiner Hände, die so feingliedrig waren, wie seine Stimme versprochen hatte. Ich öffnete die Tür. Wir begrüßten uns wie alte Unbekannte: mit Umarmungen, aber ohne Lächeln. Ich sprach ihm mein Beileid aus. Er sagte mir, dass ich viel größer sei, als er sich vorgestellt hatte. Ich wollte die Unterhaltung nicht fortführen, da er bald anfangen würde, mir zu sagen, dass er nicht wüsste, wie er mir danken sollte, und ich wollte ihn in keine unangenehme Situation bringen. Ich wusste, dass er unter Anspannung stand und in Eile war. Ich führte ihn in die Küche. Ich zeigte ihm das Mädchen, und gemeinsam legten wir sie in den Sarg, den wir mit verschiedenen Gegenständen meines Hauses auffüllten, bis er so viel wog, wie sein Toter gewogen haben würde, wenn er ihn gefunden hätte. Zum Schluss bat er mich um Verschwiegenheit. Selbstverständlich sicherte ich sie ihm zu, wie es jeder anständige Bürger getan hätte, und half ihm, den Sarg zum Wagen des Bestattungsunternehmens zu tragen, der draußen auf uns wartete.

aus: Mediodía de frontera, San Salvador 2002

Übersetzung: Theo Bruns