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Auf grauem Hintergrund ein heller Strahl...

Die Kindertagesstätte „Ana María Rübens" in Montevideo

Ende dieses Jahrhunderts werden in Uruguay 40% aller Kinder in Familien geboren, die unter der Armutsgrenze leben. Und wegen der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der sinkenden Einkommen verschlimmert sich das von Jahr zu Jahr. Darum hat die Stadt Montevideo, mit anfänglicher Unterstützung der UNICEF, das Programm „Unsere Kinder“ in die Wege geleitet, das diesen vom Leben benachteiligten Kindern in ihren ersten Jahren eine integrale Erziehung und eine korrekte Ernährung zuteil werden lässt. Gemäß der auf Dezentralisierung und Mitbeteiligung der BürgerInnen ausgerichteten Politik der linken Stadtregierung untersteht die Verwaltung und Förderung der bisher 19 Kindertagesstätten besonderen Kommissionen in den jeweiligen Kommunalen Zentren.

Ernesto Kroch
Eva Weil

Pasitos Cortos (Kleine Schritte) – Ana María Rübens“, so heißt die im Osten Montevideos gelegene Kindertagesstätte, die von einer solchen „Comisión pro Infancia“ betreut wird. Der Hort liegt inmitten eines Stadtviertels bescheidener und mehr als bescheidener Häuschen, die nördlich in Elendssiedlungen und östlich in Sozialwohnkooperativen übergehen. Dort wachsen viele Kinder unter großen Entbehrungen und ohne eine andere Erziehung als die der Straße auf.
67 Kinder von zwei und drei Jahren kommen in „Pasitos Cortos – Ana María Rübens“ vier Stunden täglich in zwei Schichten von 8 Uhr bis 12 Uhr und von 12.30 Uhr bis 16.30 Uhr zusammen und erhalten da zwei Mahlzeiten, Frühstück und Mittagessen bzw. Mittagessen und Vesper. Dabei lernen sie auch essen. Denn essen bedeutet nicht allein sich-ernähren. Es ist auch zusammensein und teilen, Beziehungen anknüpfen und helfen, z.B. den Tisch decken und abräumen.
Die Erziehung, geleitet von zwei Lehrerinnen und fünf ErzieherInnen, zwei davon auch für die Ernährung zuständig, umfasst: Musikwerkstatt,
Spiele, sprachlicher und bildender Ausdruck, Spazierengehen, Psychomotorik und Schwimmen. Die Absicht dieses Programms ist, die Lebensqualität der Kinder zu verbessern und ihnen zugleich die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeiten und ihr Sozialverhalten zu entwickeln, ihr Verständnis zu fördern und kulturelle Interessen zu wecken, was sie zu Hause – als Kinder hart arbeitender alleinerzieheder Mütter oder Elternpaare –  und erst recht auf der Straße niemals mitbekämen. Dies ganz ihrem Alter angemessen, was hohe Anforderungen an die ErzieherInnen stellt, denen die Stadtverwaltung daher auch immer wieder entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen anbietet.
Ein Schatten freilich fällt auf dieses Vorhaben. Die Örtlichkeiten, in denen sich der Kinderhort seit sieben Jahren befindet, weisen starke Mängel auf. Die zwei Räume – eigentlich nur einer, der durch eine spanische Wand unterteilt ist – bekommen wenig Sonnenlicht und haben unzureichende Belüftung. Das Dach ist teils aus Wellblech und in den Wänden ist Feuchtigkeit. Der offene Hof ist keine 150 Quadratmeter groß und durch ein Gittertor geht es direkt auf die Straße. Ein neues Lokal wäre dringend notwendig, nicht nur wegen dieser Mängel, sondern auch weil die Räumlichkeiten, angesichts einer immer länger werdenden AnwärterInnenschlange, zu wenig Platz bieten.
Die Stadt, die das Budget für die ErzieherInnen und das Essen trägt, hat kein Geld für größere Räume. Die „Comisión pro Infancia de Montevideo-Ost“, die aus freiwilligen Beiträgen die laufenden Ausgaben deckt, kann bei der allgemeinen Misere des Landes auch nicht die Mittel aufbringen, um einen Umzug in ein geeigneteres Haus zu ermöglichen. So bleibt die Hoffnung, dass aus der relativ besser gestellten Ersten Welt – konkret aus Deutschland – eine Unterstützung kommen könnte, die diesen „Schatten“ belichtet. Zumal Annemarie Rübens, deren Name über dem Eingang zu diesem Kinderhort steht, in den dunklen Jahren der deutschen Geschichte aus Deutschland nach Uruguay ins Exil gehen musste.
Vor genau 100 Jahren als Tochter deutscher Eltern in Buenos Aires geboren, verbringt sie ihre Jugend in Deutschland. Sie gehört zu der ersten Frauen, die (evangelische) Theologie studieren können und kämpft in Universität und Kirche für die Rechte der Frauen.
Als 1933 die Nazis an die Macht kommen, hält sie eine Predigt gegen den Rassenhass und für die Tolerenz gegenüber den Andersdenkenden. Daraufhin wird sie aus ihren Ämtern in der Evangelischen Kirche entfernt und geht über die holländische Grenze, wo sie mit Kindern politisch verfolgter Deutscher arbeitet.
1936 entschließt sie sich, an den Río de la Plata zurückzukehren, kauft mit einer kleinen Erbschaft ein Landgut im uruguayischen Colonia Valdense (120 km nordwestlich von Montevideo). Dies „Haus Rübens“ wird bald zum Treff- und Zufluchtspunkt der Kinder der EmigrantInnen, die auf der Flucht vor den Nazis nach Argentinien und Uruguay kommen.
Als dann in Uruguay 1973 die Militärdiktatur die Demokratie liquidiert, wird das „Haus Rübens“ wiederum zur Zufluchtstätte der Kinder der Verfolgten. In Ferienlagern betreut die jetzt über 70-jährige Ana María Rübens dort die traumatisierten Kinder von politischen Gefangenen.