Liegt der Macho stumm im Keller, war die Emanze wieder schneller.
„Macho“ und „Emanze“ sind Kampfbegriffe. In diesem Kampf, der nicht nur auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu führen ist und geführt wird, geht es gegen das Patriarchat, gegen die männliche Vorherrschaft und Herrschaft, gegen die Unterdrückung der Frau. Der Duden definiert „Machismo“ als übersteigertes Männlichkeitsgefühl, also eine Eigenart männlicher Selbstwahrnehmung, und als Betonung der männlichen Überlegenheit. Bei der zweiten Formulierung kommt die Frau immerhin indirekt vor, insofern als die Überlegenen dies notwendigerweise auf Kosten der Unterlegenen sind. Es reicht, Jeans- und Rasierwasser-Werbefilme anzusehen und die Selbstverständlichkeit zu erleben, mit der ein gemischtes Publikum im Kino derlei zu sich nimmt, um zu erkennen, daß der in der Arena herumgockelnde Torero und der bodygebuildete, hochgewachsene und braungebrannte Jüngling, der in Anwesenheit von Frauen seine Marken-Jeans an- oder auszieht, ein und demselben Muster folgen. Den einen lächerlich zu finden und den anderen nicht, mag vom kulturellen Milieu der BetrachterInnen abhängen. Beide lächerlich zu finden setzt eine geschärfte Sensibilität gegenüber dem in der sexualisierten Geste versteckten Anspruch auf männliche Überlegenheit voraus.
So betrachtet scheint es fast müßig, den Machismo als besonderes lateinamerikanisches Phänomen zu thematisieren. Wollen Frau und Mann aber mehr, als nach oberflächlicher Betrachtung dieser oder jener Gesellschaft zu der Bestätigung zu kommen, daß patriarchale Verhältnisse ebenso wie Sexismus, Rassismus und Klassenherrschaft heutzutage weltweit vorherrschende Strukturen sind, dann ist zu empfehlen, sich in Lateinamerika verbreitete Geschlechterbeziehungen genauer anzuschauen, am besten von Fall zu Fall, und den Machismo als ein gesellschaftliches Verhältnis zu analysieren.
Da ist dann zu entdecken, daß die Eroberung des Kontinents spezifische Spuren hinterlassen hat. Dazu gehört die Vermischung von vorkolonialen Geschlechterverhältnissen mit der gewalttätig durchgesetzten heterosexuellen, männlichen Dominanzbotschaft des Kreuzes. Genauso gehört dazu die Auflösung der Familien- und Clanstrukturen im Zuge des Landraubs und der Versklavung von Indígenas und später AfrikanerInnen im Bergbau und in der Plantagenwirtschaft, die wesentlich dazu beigetragen hat, daß in der Kultur der Armut, in der Welt der pauperisierten GelegenheitsarbeiterInnen, Landflüchtigen und ElendsviertelbewohnerInnen die Männer ihre Frauen schlagen, saufen und spielen, Frauen und Kinder sitzenlassen und damit prahlen, vielen Frauen viele Kinder gemacht zu haben.
Solche Verhältnisse sind machistisch. Es sind materielle Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse. Macht und Status in der Gesamtgesellschaft, aber auch innerhalb der unterdrückten Klassen, im gemeinen Volk, sind geschlechtsspezifisch verteilt, und das so definierte Herrschaftsverhältnis durchdringt auch die sexuellen Themen und Gesten. Die Suche nach dem spezifischen Wesen des lateinamerikanischen Machismo in den Oberflächenerscheinungen ebenso wie eine vulgärmarxistische Beschreibung des Machismo als Überbauphänomen greifen da zu kurz. Vielmehr hat der Machismo einen eigenen materiellen Kern; er ist insofern eine Produktionsweise, als durch ihn und in ihm Werte und soziale Stellungen von Individuen produziert und verteilt werden.
Bei genauerem Hinsehen ist der Machismo nicht nur, und vielleicht nicht einmal in erster Linie, ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen Männern und Frauen, sondern eines unter Männern. Sie kämpfen, spielen, saufen, erobern und huren unentwegt, weil sie sich selber und anderen Männern ihre Männlichkeit beweisen müssen, nicht ein für allemal, sondern Tag für Tag. Es ist ein kontinuierlicher Austausch von Gesten, bei dem die Frauen die Vermittlerinnen sind. Tatsächlich ist die machistische Kultur – selbst das Produkt einer Vermischung – kein geschlossenes System, sondern befindet sich in stetigem Austausch mit zum Beispiel unserer westlichen, bürgerlichen Kultur. Den Machismo als System aggressiver, auf Wettstreit angelegter Männlichkeit und darin als besondere lateinamerikanische Form von männlicher Herrschaft genauer zu untersuchen bewahrt uns gleichwohl vor der kolonialistischen Haltung, die meint, er sei mit denselben Mitteln zu bekämpfen wie das hiesige Mackertum. Unser bescheidener Schwerpunkt kann natürlich diese genaue Untersuchung nicht ersetzen, mag aber all jenen, die schon immer mal genauer wissen wollten, was den Macho eigentlich ausmacht, Hinweise geben und Lust darauf machen, ihn zu dekonstruieren.