Gerade rechtzeitig zum letzten (?) Regierungswechsel in Mexico in diesem Jahrtausend hat die Redaktionsgruppe „topitas“ (Maulwürfchen) mit dem Buch „¡Ya basta! – Der Aufstand der Zapatisten“ einen ultimativen Maulwurfshügel in der bundesrepublikanischen Betonlandschaft aufgeworfen. Die „Topitas“, (MitarbeiterInnen des Infobüro Nicaragua in Wuppertal, des Genarchiv Essen, der Kölner Fotoagentur Transparent, des Hamburger Verlags Libertäre Assoziation sowie der ila) haben weder Zeit noch Mühen gescheut, die Geschichte des Zapatistenaufstandes in Mexico anhand vielfältiger Dokumente, Essays und Kommentare nachzuzeichnen.

Hier wird dem Publikum in anschaulicher Form der Charakter eines politischen Phänomens nahegebracht, das die politische Kultur nicht nur Mexicos in bisher unbekannter Art und Weise angereichert hat. Die neue Qualität des Zapatistischen Nationalen Befreiungsheeres EZLN liegt nicht so sehr in seinem unmittelbar militärischen Auftreten Anfang dieses Jahres, sondern in der darauf folgenden meisterhaften Umsetzung einer Politik des permanenten Dialogs mit der Gesellschaft, die alle bisher gehandelten Parameter in der Beurteilung von Befreiungsbewegungen buchstäblich auf den Kopf stellt. War in den klassischen Konflikten zwischen Guerilla-Bewegungen und Staat die zivile Gesellschaft meist in die Objekt-Rolle des passiven Zuschauers gedrängt, so verhält es sich in dem hier geschilderten Konflikt genau anders herum: Der EZLN gelingt es, die Gesellschaft und ihre verschiedenen sozialen Organisationen in erstaunlichem Ausmaß zu beteiligen und zu mobilisieren, während dem Staat und seiner Partei PRI durch die unerwartete Wucht des Massenprotestes und der durch das Land brandenden Sympathiewellen die Hände gebunden sind.

Die 370 Seiten des Buches spiegeln den Charakter der EZLN in allen ihren Facetten wider: Wahrhaftigkeit, intellektuelle Brillanz und stets wiederkehrender Humor. Unterdessen spitzt sich die Lage in Chiapas zu. Am 8. Dezember soll der neue Gouverneur des Staates sein Amt antreten. Die Zapatisten und die PRD beanspruchen das Amt für ihren Kandidaten Amado Avendaño, die PRI besteht auf dem unsauberen „Wahlsieg“ ihres Kandidaten Robledo. Bei einer militärischen „Lösung“ wird es außer den Medien nur Verlierer geben. Erhöhte Aufmerksamkeit der internationalen Solidarität ist deshalb dringend vonnöten. Mehr dazu im aktuellen Reisebericht von Danuta Sacher und ihrem Interview mit den EZLN-Comandantes Tacho und Moises in dieser Nummer.

Für den 8.12. ist auch eine Reise des neuen mexicanischen Präsidenten Ernesto Zedillo nach Miami vorgesehen, wo dieser auf dem panamerikanischen Gipfel den Eindruck vermitteln soll, die Probleme seines Landes seien gelöst. Eines der in Miami zentral behandelten Themen wird mit Sicherheit das überall in Lateinamerika ausgebrochene Freihandelsfieber sein. In multilateralen Abkommen und bilateralen Verträgen werden „Gemeinsame Märkte“ und Freihandelszonen geschaffen. Die seit langem propagierte lateinamerikanische Integration scheint endlich Wirklichkeit zu werden. Doch die Beschäftigung mit diesem Thema hat uns in unserer kritischen Einschätzung bestärkt, daß NAFTA, MERCOSUR, MCCA-Neuauflage usw. keine Schritte in Richtung einer lateinamerikanischen „Patria Grande“ sind, sondern weitere Schritte in Richtung auf Zentraliserung und Zerstörung lokaler Industrie- und Agrarstrukturen. Der gegenwärtige Boom an den lateinamerikanischen Finanzmärkten und die Euphorie über die neuen Märkte können nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch den Integrationsprozeß von oben noch mehr Menschen ihre Produktions- und Überlebensmittel verlieren. Die negativen Folgen dieser Entwicklung werden zwar gesehen, von weiten Teilen jedoch als scheinbar unumkehrbar hingenommen, da bisher keine praktikable Alternative erkennbar ist. Auch in diesem Zusammenhang sollten wir die Entwicklung der EZLN genau beobachten, weil die Compas auch in Fragen der wirtschaftlichen Organisation dabei sind, neue Kriterien zu entwickeln.
In diesem Sinn wünschen wir allen unseren LeserInnen geruhsame Weihnachstage, einen guten Rutsch und für 1995 viel frische Wut. Wir freuen uns jetzt erstmal auf unsere verdiente Winterpause und werden im Februar 1995 mit der Nummer 182 wieder von uns hören lassen.