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Mexico – Zufluchtsland und Wahlheimat

Zwei Frauenbiographien im mexicanischen Exil

Während eine große Anzahl von Exilierten nach Beendigung des 2. Weltkrieges wieder nach Europa zurückkehrten, wie Charlotte und Walter Janka (ila 229) nach Berlin oder Lenka Reinerova (ila 210) nach Prag, um den sozialistischen Aufbau ihrer Heimatländer zu unterstützen, blieb ein nicht unbeträchtlicher Teil der Exilierten in Mexico. In Mexico-Stadt hatte Ulrike Schätte im November Gelegenheit, Gespräche mit Mariana Frenk-Westheim und Brigitte Alexander zu führen

Ulrike Schätte

Mariana Frenk-Westheim, gebürtige Hamburgerin jüdischer Abstammung, erkannte die Zeichen der Zeit sehr früh. Als Ende der zwanziger Jahre antisemitische Anpöbeleien zunahmen und ihr diese gesellschaftliche Atmosphäre die Luft zum atmen nahm, entschlossen sich ihr erster Mann, Ernst Frenk, und sie zu emigrieren. Ihre Wahl fiel auf Mexico. Ihr Mann hatte sofort als Arzt die Möglichkeit der Niederlassung, und Mariana, die Romanistik studiert hatte, wollte in ein spanischsprachiges Land. 1930 gingen sie mit ihren beiden kleinen Kindern in Veracruz von Bord und waren sofort von Land und Leuten begeistert. Die Freiheit und die menschliche Solidarität faszinieren Mariana noch heute an Mexico. (s. auch ila 218)

Zunächst gelang es Mariana, eine Anstellung im Politécnico als Übersetzerin zu bekommen. Ab 1936 gab sie parallel dazu den aus Deutschland kommenden Flüchtlingen Spanischunterricht. Später lehrt sie Deutsch an einem mexicanischen Gymnasium und an der Universität, wo sie auch über deutsche Literatur und Literaturtheorien dozierte. Einen Namen in Mexico macht sie sich vor allem als literarische Übersetzerin des mexicanischen Schriftstellers Juan Rulfo, als Übersetzerin der Werke ihres zweiten Mannes, des Kunstkritikers Paul Westheim, und als Mitarbeiterin im Museo Arte Moderno. Im Alter von 94 Jahren gab Mariana Frenk-Westheim Ende 1992 ihren ersten Erzählband in Mexico mit dem Titel „Y mil aventuras“ heraus.

Mariana verließ frühzeitig und aus eigenem Entschluß aufgrund des Antisemitismus Deutschland. Dadurch hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch das Privileg, sich ein anderes Land aussuchen zu können. Aber schon 1935 wurde ihr – wie allen sich im Ausland befindlichen jüdischen Deutschen – die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Damit war eine Rückkehr ausgeschlossen, und sie wurde somit nachträglich zur Exilierten. Mit Mexico fand sie bald eine neue Wahlheimat, die ihr 1936 nicht nur die mexicanische Staatsangehörigkeit gab, sondern, was vielleicht noch wichtiger war, ihr gestattete, sich beruflich und kuklturell zu entfalten.

Mariana glaubt nicht daran, daß man von heute auf morgen ein völlig neues Leben beginnen, ein neuer Mensch werden kann. „An jedem Tag des Lebens bleibt schon ein Hauch von Eindrücken in einem Menschen haften und es ist ja, nach Freud, in den allerersten Monaten schon der Charakter eines Menschen festgelegt. Aber was dann bei einem zehnjährigen Kind oder einer zwanzigjährigen Person sich angesammelt hat, das ist unmöglich – auch bei der schwersten Erschütterung, die Exil zweifellos bedeutet – auszulöschen.“

Insofern lebt Mariana in zwei Kulturen, was sie für sich persönlich als enorme Bereicherung begreift. Wäre sie in Hamburg geblieben, wäre alles normal verlaufen, dann hätte sie sich völlig anders entwickelt. „Infolgedessen“, so sagt sie, „bin ich inzwischen längst ein Teil von Mexico.“

Dem heutigen Deutschland gegenüber empfindet sie keine Bitterkeit, gegenüber dem damaligen mehr als das. Zu Deutschland hatte sie vor ihrer Emigration nie eine besondere Verbindung, im Gegensatz zur deutschen Literatur und zu ihrer Heimatstadt Hamburg, nach der sie manchmal noch ein bißchen Heimweh hat. Aber auf meine Frage, ob es nach dem Krieg Überlegungen gegeben habe, zurückzukehren, kommt die eindeutige Antwort: „Nein, keineswegs, niemals, nicht von Ferne.“

Brigitte Alexander

Brigitte Alexanders Flucht erfolgte im Gegensatz zu der Auswanderung von Mariana Frenk-Westheim Hals über Kopf. Sie befand sich im Februar 1933 gerade in Österreich auf Skiurlaub, als sie vom Reichstagbrand erfuhr. Sofort telefonierte sie mit ihrer Familie und hörte, daß ihr Vater verhaftet worden sei. Ihre Familie riet ihr, nicht nach Deutschland zurück­zukehren, da auch sie als Sozialdemokratin und Jüdin gefährdet sei. Stattdessen sollte sie in die Schweiz, nach Lausanne, fahren, wo ihre frühere Erzieherin lebte. Ihren Traum, Jugendrichterin zu werden, mußte die damals 22jährige fortan aufgeben.

Schon bald wurde sie aus der Schweiz wegen unerlaubter Arbeitsaufnahme ausgewiesen. Danach floh sie weiter nach Paris, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte. Nachdem sie eine Zeitlang in verschiedenen Jobs gearbeitet hatte, absolvierte sie eine Schauspielausbildung. Sprachlich hatte Brigitte keine Schwierigkeiten, da sie schon als Kind französisch gesprochen hatte.

Als am 3. September 1939 zwischen Deutschland und Frankreich der Krieg begann, bewahrte ihre Schwangerschaft sie davor, von der französischen Polizei als „feindliche“ Ausländerin verhaftet zu werden. Ihr Mann Alfred Alexander Katz hingegen wurde in einem Lager in Mittelfrankreich interniert. Man stellte ihn vor die Alternative, in Afrika in die Fremden­legion einzutreten oder in einem französischen Hafen Zwangsarbeit zu leisten. Er entschied sich für die Fremdenlegion. Brigitte brachte indessen knapp fünf  Wochen vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris, am 14.Juli 1940, ihren Sohn Didier auf die Welt. Unter dramatischen Umständen gelang ihr von dort in letzter Minute die Flucht nach Südfrankreich. Ihren Mann, der inzwischen in Afrika interniert worden war, konnte sie durch geliehenes Geld auslösen.

1941 bekam Brigitte telegrafisch eine Einladung in die mexicanische Botschaft nach Marseille. Dort übergab Gilberto Bosques der völlig Überraschten ein mexicanisches Visum, um das sich entfernte Verwandte ohne ihr Wissen bemüht hatten. Brigitte war zunächst gar nicht davon begeistert, Frankreich, in dem sie nun fast 9 Jahre gelebt hatte, zu verlassen und ins ferne Mexico zu fliehen. Aber um ihr Leben und das ihrer Familie zu retten, nahm sie das vorletzte Schiff, das Europa in Richtung Mexico verließ.

Mexico erschien ihr nach den Kriegs­erfahrungen in Europa als Paradies. „Die Leute waren hilfsbereit, verständnisvoll und interessiert. Man hatte die Freiheit zu reden, was man wollte, und mußte nicht mehr die Ausweisung befürchten.“ Besonders faszinierten sie die Bäckereien, zumal es in Frankreich nur noch übelriechendes, graues Brot gegeben hatte.

Schon bald gelang es Brigitte, auch auf mexicanischen Bühnen Theater zu spielen. Sie sprach noch kein Spanisch, als sie ein Angebot bekam. In ihrem ersten Auftritt verkörperte sie die französische Gesandte der Vichy-Regierung.

Im Heinrich-Heine-Klub, wo Brigitte in Kontakt mit der deutschsprachigen kommunistischen Emigration kam, spielte sie zum erstenmal auf Deutsch Theater.

 1943 wurden ihre Zwillinge Susana und Roberto geboren. Nach dem frühen Tod ihres Mannes mußte Brigitte alle möglichen Aktivitäten entfalten, um ihre drei Kinder alleine durchzubringen.

1950 konnte sie im mexicanischen Fernsehen Fuß fassen und trug durch die Inszenierung von „tele teatro“ (Theater im Fernsehen) wesentlich zur Popularität des Theaters in Mexico bei. Es folgten weitere Arbeiten fürs Fernsehen, Tätigkeiten als Übersetzerin und Rollen in Filmen. Brigitte Alexander schrieb auch eigene Texte, dramatische Stücke und Erzählungen. 1984 wurde ihr Erzählband „Breve episodio de la vida de una mujer gorda y otros cuentos“ veröffentlicht. Ihre wahre Leidenschaft jedoch ist bis heute das Theater geblieben.

Zurück nach Deutschland wollte Brigitte Alexander 1945 ebensowenig wie Mariana Frenk-Westheim. Aber nach Frankreich wäre sie gerne zurückgegangen, dort hatte sie ja fast ein Jahrzehnt gelebt. Das wiederum wollte ihr Mann nicht, da ihnen, obwohl er für Frankreich in der Fremdenlegion gekämpft hatte, die französische Staatsangehörigkeit verweigert wurde. „Die einzigen, die sich anständig verhalten haben, waren die Mexicaner,“ sagt sie. 1948 bekam sie die mexicanische Staatsangehörigkeit. Ihre Kinder fühlen sich durch und durch als MexicanerInnen. Brigitte, die Mexico für ein kulturell sehr offenes Land hält, fühlt sich zwar als dazugehörend und integriert, aber als Mexicanerin fühlt sie sich nicht. Noch fremder kommen ihr allerdings die Deutschen und auch die Franzosen vor. Ihrer Identität sieht sie sich von den National­sozialisten beraubt. Sie sagt : „Auch wenn ich mir in Mexico ein neues Leben aufbauen konnte, so wurde doch das wirkliche Leben, so wie ich es mir vorgenommen hatte, zerstört.“

Mit Mariana Frenk-Westheim sprach Ulrike Schätte am 16. und 17. November, mit Brigitte Alexander am 19. November 1993.