Im Herbst dieses Jahres fand in der Bundesrepublik ein Kongreß statt, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die neuen zukunftsweisenden, organisierten Kräfte an einen Tisch zu setzen und zu befragen, wer denn in den 90er Jahren die Träger sozialen Wandels in Lateinamerika seien. Was dann tatsächlich stattfand, warf ein bezeichnendes Licht auf eine immer noch tiefsitzende Ignoranz realer Verhältnisse, sowohl bei den VeranstalterInnen als auch bei einem Großteil der Befragten. Vom Podium herab dozierte ein Club von Trägern und einer Trägerin linker Namen, die wir immer schon kannten und noch mal sehen wollten, über die langweilige Frage Reform oder Revolution. Die tatsächlichen Trägerinnen sozialen Wandels wuselten derweil anderswo. Man hatte schlicht vergessen, sie ihrem Proporz entsprechend einzuladen.

Denn es sind in Amerika allenthalben Frauen, die sich organisieren, anpacken, umdenken und Einfluß fordern. Es begann mit den Müttern der Plaza de Mayo und den chilenischen Feministinnen, die durch ihren lautstarken Protest Diktaturen ins Wanken brachten. Es setzt sich fort mit der erstarkenden Frauenbewegung in Zentralamerika, die Autonomie fordert von männlichen Partei- und Organisationsstrukturen, seien es rechte oder linke Patriarchen. Es geht weiter mit dem steigenden Anteil der Frauen in allen Produktions- und Lohnerwerbsbereichen, sowohl im informellen Sektor als auch in den Lohnveredelungsbetrieben der Freihandelszonen und nicht zuletzt bei den Landbesetzungen. Wo die traditionellen Strukturen und Parteien wegbrechen, treten Frauengruppen an ihre Stelle.

Nur nicht dort, wo es um die Ausübung und Repräsentation von Macht geht. Aber auch in diese Männerdomäne brechen Frauen in den letzten Jahren ein. Mit Forderungen an den Staat – wie rechtliche Gleichstellung, Quotierungen, Gesetze gegen Männergewalt. In Mexiko, Chile, El Salvador, Panama – und im bevorstehenden Superwahljahr 94 sicher noch in mehr Ländern – stellten Frauen im Vorfeld von Parlamentswahlen Frauenplattformen auf, um die traditionellen AkteurInnen in Zugzwang zu bringen, Frauenforderungen ernst zu nehmen und in ihre Wahlprogramme zu integrieren.

Ein Problem wird dabei allerdings immer sichtbarer und Kern einer bevorstehenden Diskussion sein: wo der Staat in Zeiten vordringenden Neoliberalismus verschwindet, wo die linken Parteien, trotz aller nicht zu unterschätzenden Probleme die einzigen Verbündeten von Frauen im herrschenden Machtgeschäft, mehr und mehr zugunsten von lonely heroes mit zusammengestoppelten Wahlkampfvereinen auf der Politbühne verschwinden, müssen sich Frauenbewegung und Feminismus neue AdressatInnen suchen.

Ein Thema, das auch hierzulande die Frauenbewegung wieder hinter dem Ofen hervorlocken sollte. Wobei es noch viel mehr Gemeinsames zu diskutieren gäbe: Abtreibung, zunehmende Gewalt gegen Frauen bei zunehmender Armut, weibliche Arbeitslosigkeit, Rassismus – aber auch all das Schöne, was uns verbindet. Vielleicht kann der bundesweite Frauenstreiktag am 8.März 1994 – inzwischen von einem breiten Bündnis von autonomen Frauen bis hin zu Gewerkschaften getragen – ein Ausgangspunkt sein.

die Red.

P.S.  Erfreulicherweise sind auf die gelben Spendenaufrufe, die der letzten Ausgabe beilagen –und auch in diesem Heft um gefällige Beachtung bitten –, schon einige Spenden, neue Abos und Beitritte zum Förderkreis eingetroffen. LeserInnen, die es bislang noch nicht geschafft haben, uns eine Spende zukommen zu lassen, müssen nicht traurig sein, wir nehmen auch weiterhin noch Spenden an. Wer allerdings noch eine Spendenquittung für 1993 haben will, muß sich mit dem Überweisen beeilen, denn das Jahr 1993 geht langsam aber sicher zu Ende...