Mit dem Schwerpunktthema dieses Heftes „Schwarze Kultur – Schwarzer Widerstand“ wollen wir auf eine wichtige historische und aktuelle Bewegung aufmerksam machen, die bei der Verarbeitung von 500 Jahren Kolonialismus und Widerstand meistens zu kurz kommt oder gar nicht vorkommt.
Es fällt nun aber dieses Unternehmen in eine Zeit, da fast niemand mehr von Klassenwidersprüchen spricht, jedeR aber gelernt hat, daß es patriarchalische Herrschaft gibt und selbst bei passiver Zeitungslektüre dieser Tage darauf kommen muß, daß der Rassismus, der mittlerweile alltäglich nachrichtenrelevante Opfer hat, ein Herrschaftsinstrument ist.
Wo also Herrschaft aufgrund des sozialen Status, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion ausgeübt und entsprechend ausgebeutet wird, vermischen sich die Widersprüche und lassen uns nicht unverschont.
Deshalb kommt es auch unter Linken – die sich in Fragen der Klassenwidersprüche und des Imperialismus einig sein mögen – vor, daß es Latinos/as normalerweise in deutschen Soligruppen nicht lange aushalten, weil sie sich latent bevormundet fühlen, daß Frauen mit dem Rassismusvorwurf („Du willst nicht mit mir schlafen, weil ich schwarz bin.“) erpreßt werden oder daß eine abweichende Meinung zwischen EuropäerInnen und LateinamerikanerInnen mit dem Argument „Ihr seid Eurozentristen!“ totgeschlagen wird. Zurück bleiben Ratlosigkeit, schlechtes Gewissen und oft genug die Unfähigkeit zu einer normalen Kommunikation zwischen Latinos/as bzw. Schwarzen und Deutschen.
Da lohnt es sich mal, die Luft anzuhalten und sich auf den Kern rassistischer Herrschaft zu besinnen. Montesquieu, 1748: „Weil die Völker Europas diejenigen Amerikas ausgerottet haben, müssen sie die Afrikaner versklaven... Der Zucker wäre auch viel zu teuer, wenn man den Zuckerrohranbau nicht von Sklaven durchführen ließe.“ Die AfrikanerInnen wurden also nicht versklavt, weil sie schwarz sind, sondern weil SklavInnen gebraucht wurden. Von der Lohnsklaverei unterscheidet sich die Sklaverei dadurch, daß im ersten Fall der im übrigen „freie“ Staatsbürger bzw. die „freie “ Staatsbürgerin ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen, während im zweiten Fall der ganze Mensch von Kopf bis Fuß Ware ist. Weshalb denn auch konsequenterweise die afrikanischen SklavInnen juristisch unter das Sachrecht fielen. Um den Menschen aber ganz und gar zum Ding zu machen, bedarf es nochmals einer besonderen Legimitation, weshalb es in der Blütezeit des europäischen Sklavenhandels denn auch ausschweifende Diskussionen darüber gab, ob die schwarzen Sklav/inn/en nicht eventuell doch eine sechzehntel oder zweiunddreißigstel Seele besäßen. Montesquieu, dortselbst: „Man kann unmöglich annehmen, daß diese Leute Menschen sind, denn sonst könnte man auf den Gedanken kommen, daß wir keine Christen sind.“
Im Gegensatz zu Vorurteilen und Mißtrauen, die gegenüber Fremden in beinahe jeder Kultur ebenso verbreitet sind wie das Gastrecht, ist der Rassismus ein Herrschaftsinstrument. Es mag erfolgreich an vorhandene oder mobilisierbare Vorurteile gebunden werden, aber es dient der Herrschaftsausübung, die ihrerseits ökonomische Hintergründe hat. Die totale Herrschaft aber bedarf der totalen Entmenschlichung, weshalb der Rassismus als System sich Legitimation zu schaffen sucht, indem er seine Opfer zu Un-Menschen macht. Ferner: das System von 1492 ist nicht einfach ein rassistisches, sondern es ist das Herrschafts- und Ausbeutungssystem der weißen Rassisten. Indem aber auch der radikalste Linke und die radikalste Feministin hierzulande nicht einfach aus ihrer Geschichte aussteigen können, müssen wir ständig auf der Hut sein vor rassistischen Denk- und Verhaltensweisen und daran arbeiten, diese zu überwinden.
Freilich: ob des aktiven Ausstiegs aus der eigenen rassistischen Strukturierung, der, so wie die Dinge liegen, eine Lebensaufgabe ist, sollten wir nicht vergessen anzukämpfen gegen die rassistische Politik unserer Regierenden, gegen die Schmutzkübel der intellektuellen und publizistischen Rassismus-Propheten, gegen die ausführenden Organe mit Baseball-Schlägern und Gummiknüppeln. Denn der Widerstand, ob schwarz, weiß, indigen oder Volx, fängt vor der eigenen Haustür an und endet nicht vor den Marmorstufen!
P.S. Das Titelbild dieser Ausgabe hat der afrobrasilianische Maler Ronaldo Martins gestaltet, wofür wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken möchten.
P.S.S. Nach Redaktionsschluß dieser Nummer kehrten vier ila-MitarbeiterInnen aus Sevilla zurück, wo sie ZeugInnen bzw. Opfer des Polizeiterrors gegen die GegnerInnen der 500 Jahr-Feierlichkeiten und der Eröffnung der Weltausstellung „Expo 92“ wurden. Wir haben uns daraufhin kurzfristig entschlossen, den Drucktermin um einige Tage zu verschieben und den Umfang dieser Ausgabe zu erweitern (was wir uns eigentlich nicht leisten können), um noch einige aktuelle Beiträge über die Ereignisse in Sevilla mit aufnehmen zu können.