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Die Zukunft abfackeln

Überfall auf das Büro von Pro Búsqueda in San Salvador

Unter der Überschrift „Die Zukunft abfackeln“ kommentierte die Schriftstellerin Elena Salamanca den Überfall auf die „Vereinigung für die Suche nach den verschwundenen Kindern“ (Asociación Pro Búsqueda de Niñas y Niños Desaparecidos, kurz: Pro Búsqueda) in San Salvador am 14. Oktober 2013. Der folgende Beitrag schildert den Angriff und seinen Kontext. Ergänzt wird er mit Stimmen aus der salvadorianischen und internationalen Öffentlichkeit.

Sergio Arauz
Daniel Caravantes

Im Morgengrauen des 14. Oktober drangen drei bewaffnete Männer in die Büros von Pro Búsqueda ein, überwältigten den Vorstandsvorsitzenden der Organisation, den Fahrer und den Wächter, fesselten sie, zerstörten 40 Minuten lang Akten, nahmen Computer mit und legten Feuer im ganzen Gebäude. Das Bürogebäude von Pro Búsqueda liegt im Stadtteil Buenos Aires von San Salvador, unweit des Finanzministeriums. Gegenüber ist ein Haus von Franziskanerinnen, unmittelbar daneben ein Tagesbordell, am Ende der Straße eine Eckkneipe. Der Stadtteil gilt als unsicher. Als der Fahrer, der seit sieben Jahren für Pro Búsqueda arbeitet, um 4.30 Uhr ankam, um mit der Psychologin der Organisation ins weit entfernte Departement Morazán zu fahren, schlief San Salvador noch. In einem toten Winkel lauerten die drei bewaffneten Angreifer, die nicht maskiert waren. Mit vorgehaltener Waffe zwangen sie den Fahrer, den Wachmann eines privaten Sicherheitsdienstes zu rufen, der seit drei Jahren in der Nacht das Haus bewacht. Er konnte vom Fenster im ersten Stock nur den Fahrer sehen und öffnete nichts ahnend, woraufhin er ebenfalls überwältigt wurde.

Einmal im Haus, fanden die Bewaffneten Nicolás Rivera, den Vorsitzenden der Organisation, der dort übernachtet hatte. Er wurde ebenfalls überwältigt. Die drei wurden mit Computerkabeln gefesselt. Dann gingen die Täter daran, systematisch die Aktenschränke aufzubrechen, die Unterlagen auf den Boden zu werfen, Computer und Laptops zusammenzupacken. Den Aussagen der drei Geiseln zufolge war der Überfall minutiös geplant, denn sie hörten, mit dem Gesicht nach unten liegend, wie der Mann, der sie bewachte, den anderen beiden zurief, es blieben noch 20 Minuten. Die beiden konzentrierten sich auf die Rechtsabteilung, das Büro für Advocacy und Organisation, wo die Namen aller Mitglieder von Pro Búsqueda, der Familienangehörigen und der Wiedergefundenen, gespeichert sind, und auf die Finanzverwaltung. Dann rief der Bewacher: „Noch sieben Minuten. Bringt das Benzin!“ Als sich bereits Qualm im ganzen Haus ausbreitete, hörten die drei Geiseln, wie die Angreifer Computer und Akten einpackten, das Haus verließen und ein Auto mit aufheulendem Motor davonraste. Kaum waren sie weg, gelang es den dreien, sich zu befreien und mit einem Gartenschlauch und Wassereimern den Brand zu löschen. Die inzwischen eingetroffene Polizei ging nach vier Stunden, es war inzwischen 9.30 Uhr, und die Staatsanwaltschaft tauchte erst am Mittag auf.

Die Angreifer zerstörten die Akten zu drei Fällen mit insgesamt sieben verschwundenen Kindern (nach Angaben der Organisation neun), die Pro Búsqueda dem Verfassungsgericht vorgelegt hat. Die Organisation erklärte, dass es von den Unterlagen Kopien gibt. In diesen Akten werden ehemalige Angehörige der Streitkräfte namentlich genannt, die für das Verschwindenlassen der Kinder während einer großangelegten Militäroperation im Jahre 1982 im Departement Chalatenango verantwortlich sein könnten. „Wir schließen ein gemeines Verbrechen aus, denn das Wertvollste in unseren Büros waren die Akten mit Zeugenaussagen und anderen Dokumenten, die wir seit 1994 gesammelt haben, und nicht die Handkasse“, sagte Ester Alvarenga, bis vor kurzem Koordinatorin der Organisation.

Pro Búsqueda hat im Laufe von fast 20 Jahren Hunderte von Fällen von Kindern aufgeklärt, die während des internen Krieges in El Salvador (1980-1992) von Militärs entführt wurden. In den angegriffenen Archiven befinden sich Ermittlungsunterlagen von 925 Fällen. 387 davon wurden bereits aufgeklärt, das heißt, die vormals verschwundenen Kinder sind als Erwachsene in El Salvador selbst und im Ausland wiedergefunden worden. In 295 Fällen hat die Organisation erfolgreich Wiederbegegnungen zwischen den leiblichen Familien, den Wiedergefundenen und zum Teil den Adoptivfamilien organisiert. Mit dieser Arbeit wurde dokumentiert, dass die Streitkräfte das Verschwindenlassen von Kindern systematisch als Waffe gegen die Zivilbevölkerung einsetzten, die sie der Sympathie mit der Guerilla verdächtigten, und dass sie die Kinder gleichzeitig als Waren im internationalen Adoptionshandel missbrauchten. In der Rechtsabteilung hatte es das Überfallkommando offensichtlich auf die detaillierten Unterlagen zu den drei Fällen abgesehen, die Pro Búsqueda im November 2012 dem Verfassungsgericht vorgelegt hatte.

Die neun Kinder wurden im Mai und Juni 1982 bei einer Militäroperation entführt, an der die Elitebataillons Belloso und Atlacatl und die vierte Infanteriebrigade beteiligt waren. Insgesamt wurden damals 53 Kinder entführt und verschwanden anschließend, über hundert Zivilisten wurden ermordet. Inzwischen hat die Organisation 20 Kinder wieder gefunden und hat beim Verfassungsgericht Habeas-Corpus-Anträge gestellt, um den Verbleib von neun weiteren Kindern aufzuklären. Für den 11. November hatte das Gericht Vertreter der Streitkräfte zu einer Verhandlung über die drei Fälle geladen. Konkret hatte Pro Búsqueda die Einvernehmung des derzeitigen Verteidigungsministers und des aktuellen Generalstabschefs sowie ihrer beiden Vorgänger zum Zeitpunkt der Entführungen beantragt. Der damalige Verteidigungsminister wurde wegen Folter während des salvadorianischen Krieges von einem Zivilgericht in den USA verurteilt, der damalige Generalstabschef ist nach einem Urteil des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes mitverantwortlich für das Verschwinden der Schwestern Erlinda und Ernestina Serrano Cruz. „Die Unterlagen zu diesen drei Fällen wurden verbrannt

Das ist doch mehr als ein Zufall“, kommentierte Ester Alvarenga. Dass der Überfall in einer Zeit geschah, in der das Verfassungsgericht auch über einen Antrag des Menschenrechtsinstitutes der Jesuitenuniversität UCA berät, in dem die Annullierung der Amnestie von 1993 gefordert wird, erscheint ebenso wenig zufällig wie der zeitliche Zusammenhang mit der Schließung des Rechtshilfebüros der Erzdiözese von San Salvador, das ebenfalls umfangreiche Archive über die Kriegsverbrechen der salvadorianischen Streitkräfte besitzt. „Sie haben uns gefesselt und fast alles zerstört. Das kann nicht sein. Das müsste eigentlich der Vergangenheit angehören“, kommentierte der Vorsitzende Nicolás Rivera nach seiner Befreiung. Und Ester Alvarenga: „Was uns tröstet, ist, dass die Verluste nicht unwiederbringlich sind. Aus dem ganzen Land haben uns die Familienangehörigen der verschwundenen Kinder angerufen und uns gesagt, wir sollten uns keine Sorgen machen, denn das, was sie im Gedächtnis hätten, könnte niemand zerstören.“

Der stark gekürzte und bearbeitete Beitrag ist am 14. November 2013 in der Internetzeitung El Faro erschienen. Übersetzung: Eduard Fritsch