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Angriff auf das Herz von Caramanta

Kolumbien: Wie aus fruchtbarem Ackerland eine Goldwüste werden soll

In Kolumbien ist die „Bergbau-Lokomotive“ in aller Munde, so bezeichnet die aktuelle Regierung von Juan Manuel Santos ihren Plan, den Großbergbau im ganzen Land auszuweiten und diesen zu einem „Entwicklungsmotor“ zu machen. Laut einem Bericht des kolumbianischen Rechnungshofes wurden zwischen 2000 und 2010 für fast sechs Millionen Hektar Land Minentitel oder Konzessionen ausgegeben, für weitere 67 Millionen Hektar wurden entsprechende Anträge gestellt. Dies entspricht 59 Prozent des gesamten Staatsgebietes. Kolumbien ist auf dem besten Wege, von einer Nation der „Herren über das Land“ zu einer Nation der „Herren über die Minen“ zu werden, resümiert der Geologe Alonso Cardona diese Entwicklung. Ein Beispiel für diesen Prozess, wie aus fruchtbarem Ackerland eine Geröllwüste werden soll, ist Caramanta, ein ländlicher Kreis im Südwesten des Departements Antioquia. Anyela Heredia beschreibt, wie das abläuft und was die Einheimischen dagegen tun.

Anyela Heredia

Caramanta hat sich seit meinem ersten Besuch im Februar 2010 sehr verändert. Mein erster Eindruck war damals der eines von Bergen eingehegten, gespenstisch wirkenden Dorfes, mit breiten Straßen und einem riesigen verlassenen Platz, alles von dichtem Nebel umhüllt. Ich kann mich noch an die Kälte erinnern, die durch die Haut kroch und allmählich bis zu den Knochen durchdrang. 1 Heute sieht es dort nicht anders aus, aber die Dörfer verändern ihr Gesicht, sobald man ihren Menschen näher kommt. Dann wirken sie nicht mehr verlassen, sondern füllen sich mit Farben, Geräuschen, Gesichtern, Lachen und enthüllen sogar Geschichten von Kämpfen und Widerstand.

Ursprünglich kam ich nach Caramanta wegen eines Vermarktungsprojektes. Damit wollten wir, ein VerbraucherInnennetzwerk in Medellín, die solidarischen Beziehungen zwischen ländlichen Gemeinden und der städtischen Bevölkerung stärken. Die Initiative ging vom Red Juvenil aus, einer engagierten lokalen NRO, sie wurde dabei von den Hilfswerken Misereor und Swissaid unterstützt. Caramanta präsentierte sich mir zunächst als ein Dorf, das von der traditionellen Zuckerherstellung lebte. In Kolumbien wird dieser von Kleinbauern produzierte Zucker Panela genannt, er wird aus Zuckerrohr gewonnen. In Caramanta wirkte eine Bauernorganisation namens ASAP (Asociación Agropecuaria de Caramanta, Land- und Viehwirtschaftsvereinigung von Caramanta), die sich seit Jahren der Aufgabe verschrieben hatte, eine agrarökologische Produktion zu fördern. Dies ist eine Form alternativer und nachhaltiger Produktion, die auf Diversifizierung achtet, keine Agrargifte verwendet und versucht, das ökologische Gleichgewicht zu wahren.

Nach und nach lernte ich die konkrete Arbeit von ASAP, dieser lokalen Bauernorganisation, kennen. Unter anderem setzte sie darauf, die direkte Vermarktung der erzeugten Produkte zu stärken. Sie hatte eine Anlaufstelle für den Verkauf in der Region eingerichtet und war beim sonntäglichen Markt mit einem Stand auf der Plaza von Caramanta vertreten. Auch versuchte sie, Netzwerke von kleinbäuerlichen ProduzentInnen auf dem Land und von KonsumentInnen in der Stadt aufzubauen.

Damals ging es uns vor allem darum, das VerbraucherInnennetz in Medellín zu stärken und einen fairen Preis für die in gemeinschaftlichen Zuckerrohrmühlen hergestellte Panela festzulegen („fair“ bedeutete für uns ein stabiler Preis, der die Herstellungskosten deckt, den ProduzentInnen eine Gewinnmarge lässt und gleichzeitig den KonsumentInnen entgegenkommt). Wir versuchten damit, neuen gesetzlichen Auflagen die Stirn zu bieten. Schließlich schränkte ein Gesetz von 2006 die Kommerzialisierung von Panela stark ein, da die kleinbäuerlichen Zuckerrohrmühlen mit hohem Finanzaufwand umgerüstet werden mussten, um strengen sanitären Normen zu gehorchen.

Bei unseren Vorhaben ging es also um den Kampf gegen die Armut, die Bauernfamilien sollten motiviert werden, auf dem Land zu bleiben. Sie sollten den Anbau auf ihren Feldern so diversifiziert gestalten, dass sie stets das Nötige für den Eigenverbrauch hatten und unabhängiger von teurem Dünger und Pestiziden wurden. Ihre Produktion sollte auch nicht mehr vorrangig auf Vermarktung ausgerichtet sein. In der Umgebung von Caramanta wurden traditionell Kaffee, Panela und Milch für den Verkauf hergestellt. Aber viele Bauernfamilien haben nicht genug Land und müssen sich als TagelöhnerInnen auf den Granadilla- oder Baumtomatenplantagen verdingen, die als Monokulturen angelegt sind (die Granadilla ähnelt der Maracuya, hat aber einen süßen Geschmack).

Der Panela-Preis stieg und mit externer Hilfe konnten die kollektiven Zuckerrohrmühlen umgebaut werden, sodass diese jetzt alle sanitären Auflagen erfüllen. Aber der angestrebte Direktverkauf des Zuckers in Medellín konsolidierte sich nie, denn die Zuckerriesen aus dem Departement Valle del Cauca, dem Zentrum von Kolumbiens industrieller Süßstoffproduktion, überschwemmten den Panela-Markt von Medellín und machten die regionale Panela zu einem zweit- oder sogar drittklassigen Produkt, ungeachtet ihrer meist besseren Qualität. Das Überangebot von billiger Panela aus der südlichen Valle-Region machte es unmöglich, die Direktvermarktung des Zuckers der Bauernfamilien von Caramanta energisch weiterzuverfolgen.

Der Fall der Panela ist nur ein Beispiel für die vielen Hindernisse, denen sich die Bauernorganisationen aktuell gegenübersehen. So mussten die kleinen Milchviehhalter, die Mitglieder des „Milchkomitees“ von Caramanta sind, die Nutzung ihrer Fincas verändern, da es per Gesetz verboten wurde, Rohmilch zu verkaufen. Eine Folge davon ist, dass die Kleinbauern ihre nichtpasteurisierte Milch nicht mehr direkt an ihre Kundschaft verkaufen können, wohingegen der regionale „Milchriese“ Colanta seine Monopolstellung bei der Kommerzialisierung ausbauen konnte. Vergleichbares passierte den Familien, die sich der Schweine- oder Hühnerzucht widmeten und infolge der neuen sanitären Verpflichtungen ihre Tiere nicht mehr selbst schlachten und verkaufen dürfen.

Die Krise des ländlichen Raums hat viele Familien dazu gezwungen, ihre Höfe unter Wert zu verkaufen. Dieser Prozess der „legalen“ Aneignung von Land läuft schon seit über 15 Jahren. Fast die Hälfte des fruchtbaren Landes im Kreis Caramanta gehört mittlerweile einem einzigen Mann, von dem in der Region nur als El Señor geredet wird. Die Bevölkerung ist auf weniger als die Hälfte als vor 15 Jahren geschrumpft. Auf den Ländereien von El Señor hat sich ein Unternehmen namens Tesalia etabliert, das den Anbau von Avocado, Granadilla und Baumtomate als Monokulturen betreibt. Tesalia gehört ebenfalls El Señor. Auf seinen Plantagen arbeiten zwischen 500 und 600 Einheimische als TagelöhnerInnen.

Trotz dieser schwierigen Situation haben die zivilgesellschaftlichen Organisationen von Caramanta, insbesondere die Bauernorganisation ASAP und die Asamblea Municipal Constituyente, eine verfassunggebende Versammlung auf Kreisebene2, nie ihr Ziel aus den Augen verloren, den ländlichen Raum und seine landwirtschaftliche Nutzung zu stärken sowie die kleinbäuerliche Kultur und Identität zu erhalten. Ihnen war stets bewusst, dass dafür der Schutz der natürlichen Ressourcen, insbesondere des Wassers, sehr wichtig ist. Den Wasser- und Ressourcenschutz versuchen sie unter anderem durch die agrarökologische Produktionsweise zu verbessern. Auch organisieren sie öffentliche Foren und Treffen, bei denen Wasser- und andere Ressourcenprobleme diskutiert werden. So wurden die BürgerInnen von Caramanta zum Beispiel im Dezember 2010 zu einem so genannten Cabildo abierto, einem Ratschlag „zur Verteidigung des Wassers“, zusammengerufen, bei dem sie das Pro und Contra einer Unterzeichnung des amtlichen Wasserplans des Departements Antioquia debattierten. Wegen seiner Tücken stimmten sie schließlich dagegen.

In den letzten Jahren ist aber ein noch größeres Problem zur Hauptsorge der ecológicos, der „Ökos“, geworden, wie im Dorf die Mitglieder der oben genannten Organisationen genannt werden. Es geht um die Ankunft der so genannten „Bergbaulokomotive“ im Gebiet von Caramanta, konkret also um die Ansiedlung von Bergbauunternehmen. Im November 2012 hat Corporación Conciudadanía, eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Medellín, eine Studie mit dem Titel De señores de la tierra a señores de las minas (deutsch etwa: „Von den Herren über das Land zu den Herren über die Minen“) veröffentlicht.3 Gemäß den Ergebnissen dieser Untersuchung wurden im Kreis Caramanta bis Ende 2011 bereits für 7095 Hektar Konzessionen für Bergbauvorhaben vergeben. Das Munizip umfasst 8600 Hektar, also wurden für 82,5 Prozent seiner Fläche Genehmigungen für die Erkundung und den Abbau von Mineralien, insbesondere Gold, erteilt. Für weitere 3500 Hektar laufen Anträge. Das Antrags- und Genehmigungsverfahren ist chaotisch, da unterschiedliche Firmen für dieselben Flächen Lizenzen erwerben wollen und es ein Wirrwarr erteilter Konzessionen für Erkundung, Förderung oder für beides gibt. Die Zahlen belegen, dass Caramanta in nicht allzu langer Zeit zu einem Gebiet werden soll, in dem exklusiv Bergbau betrieben wird.

Aber das steht im Widerspruch zu dem Traum der Gemeinde und ihrem unablässigen Kampf, die land- und viehwirtschaftliche Nutzung Caramantas weiter zu stärken oder zumindest das zu erhalten, was davon übrig geblieben ist. Dass dies nicht nur ein Traum ist, macht der seit 2000 geltende Raumordnungsplan deutlich, ebenso die lokalen Entwicklungspläne sowie die Projekte und Vorschläge der Bauern- und Bürgerorganisationen.

Die transnationalen Bergbaukonzerne treten Hand in Hand mit den Großgrundbesitzern auf, offerieren Arbeit, beteiligen sich an den sozialen und Freizeitaktivitäten der Gemeinde und versichern, dass sie in der ersten Phase zur Erkundung der Mineralien keinerlei Schaden anrichten werden. Aber die Führungsleute der Organisationen, die die Asamblea Municipal Constituyente bilden, sind wachsam und haben ein Kontrollorgan eingerichtet, um die Minenaktivitäten in der Region kritisch zu verfolgen. Es nennt sich Defensores de la Madre Tierra, Verteidiger von Mutter Erde. Dieser Initiative haben sich Gemeinderäte, Jugendgruppen und selbst Angehörige der Kreisverwaltung angeschlossen. Sie haben sich auch mit anderen Landkreisen im Südwesten des Departements Antioquia in Verbindung gesetzt. Gemeinsam haben sie eine Strategie zur Verteidigung des Territoriums entwickelt. Diese beinhaltet auch einen breiten Prozess partizipativer Forschung, die von Maßnahmen zur Sensibilisierung, Information und Kommunikation begleitet ist, um die möglichen Konsequenzen des Bergbaus in der Region sichtbar zu machen.

Bis jetzt wurden mehrere Erkundungen zur Erfassung des Territoriums und seiner natürlichen Ressourcen durchgeführt, die in Weilern stattfanden, in denen Bergbauprojekte geplant sind. Bei diesen Rundgängen werden Bergbaueinrichtungen besucht, Schäden aufgezeichnet, Wasserproben genommen und ein Inventar von Fauna und Flora erhoben, um die möglichen Folgen von Minenaktivitäten bereits in der Explorierungsphase erfassen zu können. Diese Ökorundgänge vermitteln aber auch eine integrale Sicht des eigenen Lebensraums, wie Teilnehmende berichten: „Man kann sich gar nicht vorstellen, welchen Reichtum sie uns abnehmen wollen, damit meine ich gar nicht das Gold. Wie viel Wasser, Vegetation und Land werden sie zerstören? Aber was wird aus uns Bauern, was sind wir ohne Land?“ Ein anderer meint: „Der Boden hier ist sehr reich, aber er ist auch sehr instabil, überall gibt es Erdrutsche, jeder Bauernhof hat quasi seinen eigenen Vulkan. Ich vermute, dass nichts mehr an Ort und Stelle bleibt, wenn hier mit Dynamit Gold abgebaut wird.“ Eine weitere Stimme warnt: „Sie explorieren sehr nahe an den Wasserquellen, dabei wird das Wasser verschmutzt und eingetrübt.“ Und schließlich:„Wenn das jetzt schon so ist, was wird erst passieren, wenn sie Quecksilber oder Zyanid fürs Schürfen einsetzen?“

Von all diesen Kontrollaktivitäten werden der regionalen Umweltbehörde Corantioquia Berichte abgeliefert. Immerhin haben es die Organisationen auf diesem Weg erreicht, dass das Unternehmen Caramanta Conde Mine die Explorierung suspendieren musste, da es dabei widerrechtlich Wasser abgegraben und Bäume für den Bau eines Hubschrauberlandeplatzes gefällt hatte. Die Aufgaben für die vom Bergbau betroffenen Gemeinden sind riesig groß, doch ihr Einsatz ist enorm. Die Bauernorganisation ASAP formuliert ihr Selbstverständnis so: „Die Erziehung ist unsere Waffe, die nachhaltige Nutzung unseres Bodens ist unser Schild und das Territorium, unser Lebensraum, ist unser Herz.“ Bei ihrem Kampf geht es also darum, die Attacke auf das gemeinsame Herz der BürgerInnen von Caramanta abzuwenden.

Anyela Heredia ist Mitarbeiterin der Monatszeitschrift Periferia in Medellín. Derzeit ist sie an einer partizipativen Studie über Bergbau- und Energievorhaben im Departement Antioquia, Kolumbien, beteiligt. angieheredia@hotmail.de

Übersetzt und bearbeitet von Bettina Reis