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Da könnte etwas gehen

Alte und neue Schuldenkrisen und die Suche nach politischen Antworten

Am 7. Dezember fand in Köln die Tagung „Alte und neue Schuldenkrisen in Lateinamerika und der Karibik“ statt, zu deren Mitveranstalter*innen die ila gehörte. Werner Rätz war dabei und fasst im Folgenden die wichtigsten Aussagen des Treffens zusammen.

Werner Rätz

I. Die Schuldenkrise der arm gemachten Länder des Südens entwickelte sich seit Mitte der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts parallel mit der Etablierung globaler Konzerne als wichtigste wirtschaftliche Akteure und der veränderten und zunehmenden Rolle der Finanzmärkte als Ort des wirtschaftlichen Geschehens. Je mehr sich die Finanzwirtschaft als Maßstab für die Gewinnerwartungen der Investoren durchsetzte (sogenannte Sharholder-value-Orientierung), desto weniger konnten produzierende Unternehmen oder auch Staaten diese Erwartungen erfüllen.

Ohne die Betrachtung dieser globalen Entwicklungen ist die Schuldenkrise der „Dritten Welt“ nicht zu verstehen. Gerade in Lateinamerika erweisen sich einzelne Länder sogar als deren Vorreiter, führten doch Chile (1974/75) oder Argentinien (1976) neoliberale Politiken lange vor Großbritannien (1979) oder den USA (1981) ein. Gerade Chile versuchte mit umfangreichen Privatisierungen im Sozialsystem eine Antwort auf die zentrale Frage der finanzialisierten Ökonomie des Neoliberalismus zu finden: Wohin mit dem vielen Geld der großen Vermögensbesitzer? Die Schuldenkrise ist integraler Bestandteil der systemischen Krise des globalisierten Kapitalismus, die seit Anfang der 70er-Jahre mit mehr oder weniger großen Ausschlägen anhält.

II. Alle real diskutierten und politisch-praktisch ausprobierten Lösungsansätze bleiben weit unterhalb dieses Niveaus und Ausmaßes der Krise.

– Der direkte Umgang mit den Krisenländern, politisch gebündelt im Konsens von Washington, zielt lediglich auf die Sicherstellung von deren Fähigkeit, kontinuierlich Zinsen zu zahlen. Eine grundlegende ökonomische Gesundung ist nicht vorgesehen.

– Das zeitgleich mit der Mexikokrise anlaufende militärische Weltraumrüstungsprogramm strategic defense initiative – „Krieg der Sterne“ zog zwar riesige Geldsummen von überall in der kapitalistischen dominierten Welt in die USA und war auch Teil der Gründe für den ökonomischen und politischen Kollaps der Sowjetunion, die Antwort auf die unter I. gestellte Frage, wo die gigantischen Vermögenssummen sicher und profitabel angelegt werden können, brachte es nicht.

– Verschiedene Bewegungen sowohl in den arm gemachten als auch in den Industrieländern haben versucht, eigene Antworten zu finden. Meist zielten sie auf nationale Lösungen oder auf einzelne Reformschritte. Umfassende Alternativen wie etwa Schuldnerkartelle und offensive Zahlungsverweigerungen wurden so gut wie gar nicht diskutiert, viel weniger praktisch angegangen.

III. Radikale politische Ansätze, zumindest bei einzelnen Fragestellungen, wurden durchaus versucht. Eine Zeitlang schien es, als könnten politisch-militärische Befreiungsbewegungen im Kampf um die staatliche Macht eine Perspektive eröffnen. In der alten BRD war auch die Bewegung für einen vollständigen Schuldenerlass in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre durchaus bemerkenswert. Spätestens seit dem Epochenbruch 1989/90 bleibt solche Radikalität ohne nennenswerte gesellschaftliche Resonanz.

IV. Was bleibt, ist in vielen Fällen das Bemühen, zumindest an dem einen oder anderen Punkt Verbesserungen durchzusetzen oder Verschlechterungen zu verhindern. Dieses sozialtechnische Agieren kann durchaus in manchen Situationen angebracht sein und hat gelegentliche Erfolge vorzuweisen. Dafür bleibt es aber entscheidend, dass Probleme, Gegner beziehungsweise das gesamte politische Umfeld, Strukturen, Erfolgskriterien sehr genau analysiert und bestimmt werden. Einige solcher mehr oder weniger gelungene Beispiele wurden auf der Tagung vorgestellt und diskutiert. Ihre Bedingungen und Möglichkeiten sind sehr stark vom Einzelfall abhängig und kaum auf andere Situationen übertragbar, auch wenn ein paar Cluster immer wieder auftreten:

– Privatisierungen

– Privat-öffentliche Partnerschaften (PPP)

– Infrastrukturprojekte

– der Umgang mit externen Schocks

– Korruption

sind Beispiele dafür. Für Betroffene lohnt es sich, die Erfahrungen anderswo anzuschauen, aber es entstehen keine länder- oder gar themenübergreifenden Bewegungsansätze.

V. Dennoch oder gerade deshalb könnte genau das die Aufgabe sein, die wir gemeinsam aus der Tagung mitnehmen könnten. Denn solche zumindest übernationalen, wenn nicht globalen Handlungsansätze zu entwickeln, wäre eine Voraussetzung, um wieder ein wenig in die politische Offensive zu kommen. Auch hier wurden ein paar Beispiele genannt, an denen solche Versuche möglich erscheinen oder in Ansätzen bereits stattfinden:

– Freihandelsabkommen werden in vielen Ländern als Problem gesehen und ernten breite Kritik.

– Die Rolle des IWF in der Schuldenkrise des Südens ab 1982 ist Vorbild für seine Rolle im europäischen Krisenmanagement seit 2010.

– Der Jahrestag des Zusammenbruchs von Lehman Brothers
(15. September 2008) könnte insofern vielleicht ein gemeinsames Datum sein.

– Eine gemeinsame Entschuldungsinitiative von (zumindest
einigen) Karibikinseln erscheint vorstellbar.

– Der Verzicht auf Rückzahlungen von EZ-Krediten kann eine
themenübergreifende Forderung sein.