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Ein Hoch auf die bärtigen Dicken!

Las Krudas Cubensi – ein Porträt

Juni 2016, ein später Sonntagnachmittag, ausnahmsweise scheint mal die Sonne. Auf dem Kölner Bauwagenplatz, dessen Gelände für ein Verwaltungsgebäude des Arbeiter-Samariter-Bundes verkauft werden soll und der somit in seiner Existenz bedroht ist, steht ein Solikonzert an. Feinster feministischer Rap aus Lateinamerika von Rapperin Sara Hebe, im Anschluss eine Köln-Premiere: Las Krudas Cubensi. Das angedachte Interview kommt leider nicht zustande, die anwesenden ila-RedakteurInnen diskutieren über „inverse Diskriminierung“, wie die Krudas es nennen, gegenüber unterschiedlichen Menschen an ihrem Verkaufsstand. Dort kommt es schließlich doch noch zu einer Absprache, das Interview zu einem späteren Zeitpunkt über Skype oder email zu führen. „Aber bitte nur sechs Fragen, wir haben wenig Zeit.“ Ganz schön kompliziert, das alles. Und ziemliche Starallüren oder was steckt dahinter? Das wollten wir unbedingt ergründen, denn die beiden Krudas Odaymara Cuesta und Olivia Prendes machen einfach zu spannende Musik, um jetzt aufzugeben. Ihr Sound ist ziemlich genial, die Performance beeindruckend und die Messages messerscharf gegen sämtliche Unterdrückungsverhältnisse gerichtet, die die Menschheit zu bieten hat. Die Krudas Cubensi sind queer-feministisch, antirassistisch, vegan und stehen für das Empowerment von POC (People of Color). Mit ihren Raps wollen sie die männliche und weiße Vorherrschaft auf den cubanischen und internationalen Bühnen brechen.

Britt Weyde

Sie sagen es in Interviews und auch in ihren Texten: Wir wollen Bewusstsein schaffen und das Publikum erziehen. Dabei müssen die Leute auf unangenehme Wahrheiten gestoßen werden, etwa die eigenen Privilegien. Das kann unbehaglich werden, einige sind schnell genervt. „Ich will Musik hören, nicht belehrt werden“, sagt ein Freund zu Beginn der Show auf dem Bauwagenplatz. Explizite Ansagen scheinen die Krudas tatsächlich zu mögen. Allerdings könnte man meinen, dass sie an diesem alternativen Ort mit den allermeisten ihrer Positionen offene Türen einrennen, schließlich macht das bunt gemischte Publikum einen fortschrittlichen und emanzipierten Eindruck. Etwa nach der Hälfte ihres Konzerts werden alle POC ermuntert, nach vorne direkt vor die Bühne zu kommen. Diejenigen, die also sonst von (negativem) Othering (als „anders“ angesehen und behandelt werden) betroffen sind, sollen damit eine empowernde Exklusivbehandlung und Ermunterung erleben. Bei einigen anderen Anwesenden wird Gereiztheit spürbar. „So etwas verstärkt doch nur bestehende Spaltungen in schwarz und weiß. Außerdem ist das doch gar nicht kohärent, guck dir die freshen Nike-Sneakers an, die sie tragen. Das ist doch auch eine Klassenfrage.“ Nach der Show bekommen wir eine Auseinandersetzung am Merchandisingstand mit. Eine junge blonde Frau fragt erregt nach, warum sie für die CD 15 Euro, ihr migrantisch aussehender Bekannter jedoch nur 10 Euro bezahlt habe. Olivia erklärt ihr, dass sie damit zeigen wollten, wie Diskriminierung funktioniert, damit die sonst Privilegierten dies auch einmal am eigenen Leib spüren. 

Genau das zeichnet die Krudas Cubensi aus. Sie klären auf, verstören, mitunter nerven und klugscheißen sie, je nach Perspektive. Auf die Nachfrage, ob sie manchmal nicht die Falschen düpierten, die doch eigentlich wohlgesonnen seien, antworten sie barsch:  „Bei Unterdrückung geht es weder um Feinheiten oder Überzeugung. Es handelt sich schlicht um Gewalt, um Irrtümer und um einen Haufen Arbeit, der noch vor uns liegt. Ihr solltet die überzeugten Rassisten und Sexisten fragen, warum sie so denken, wie sie denken, wenn sie überhaupt denken. Wir sind überzeugt davon, dass Gerechtigkeit und Befreiung notwendig sind; die Sprache ist dabei unser wichtigstes Instrument, um dies zu erreichen.“ Verpackt werden ihre Botschaften in schnelle Raps, verbunden mit afrocubanischen und lateinamerikanischen Instrumentals, unter die sich auch eine Cumbia und Artverwandtes mischen kann. Welche musikalischen und sonstigen Vorbilder haben die Krudas Cubensi in ihrer musikalischen Sozialisation am stärksten geprägt? „Unsere Vorfahren, unsere Göttinnen und Götter“, erklären die beiden. „Unsere Mütter, unsere Leute, die Unbekannten, die Bevölkerung. Die schwarzen Leute, die indigenen, die verschiedenartigen. Die afrocubanische Musik, die schwarze Musik. Die Hiphopszene in Cuba, in den USA und weltweit. Assata Shakur, Nehanda Abiodun1, das Straßentheater, die Feministinnen, die Weiblichen, die Männlichen, die EmigrantInnen, die Seltsamen, Unangepassten, die Dicken, die Besonderen.“

Kennengelernt haben sich die beiden 1996. Olivia studierte Theater und Musik, Odaymara lernte am Pädagogischen Institut. Olivia stammt ursprünglich aus Guantánamo im Osten der Insel. An der Nationalen Kunsthochschule in Havanna war sie von ihrem Musikstudium angeödet, da sie sich dort hauptsächlich mit „langweiliger, eurozentristischer, kolonisierter Musik“ zu beschäftigen hatte. Sie gründeten das erste queere und vegane Kunstkollektiv auf Cuba, das sie „Cubensi“ nannten, dritte im Bunde war Llane Domínguez. Ihr damaliger Fokus richtete sich auf afrocubanische Traditionen und Kultur. Zunächst machten sie zusammen Straßentheater, bald kamen Stelzen dazu. Nachdem sie sich mit anderen Mitgliedern der Stelzentruppe aufgrund von Diskussionen über Rassismus überworfen hatten, gründeten sie ihr eigenes Stelzenduo „Tropazancos Cubensi“. Im Jahr 1999 wurde schließlich die Rap-Crew Krudas Cubensi geboren, dritte Mitstreiterin war zu dem Zeitpunkt Odalys Cuesta, Odaymaras Schwester.

Um die Jahrtausendwende erlebte Hiphop zwar in Cuba eine Blütezeit, aber auch auf der sozialistischen Insel war (und ist) das Genre eine ausgesprochene Männer-Domäne. Odaymara erinnert sich an den ersten Auftritt auf dem Hiphopfestival in Alamar im Jahr 2000: „Auf unserem ersten Gig wurden wir ausgebuht. Wir haben viel geweint. Aber dann wollten wir ernst machen. Jeder verständnislose Blick hat uns nur stärker gemacht.“ Hart eben. Die Namensgebung der beiden passt. Das Spanische crudo hat mehrere Bedeutungen – hart, roh, unreif, streng, brutal, schwer verdaulich. „Für uns ist es dreifach schwer, in dieser machistischen, frauenfeindlichen, weißen und popzentrierten Kultur aktiv zu sein“, erklärt Odaymara. „Gleichzeitig bestärkt es dich dreifach. Wir müssen für viele Sachen kämpfen.“ Olivia bekräftigt: „Aber wir sind stark und sagen ‚nein‘ zur Opferhaltung. Unsere Vorfahren haben uns gezeigt, wie man kämpft. Rap ist ein ungemein passendes Medium für unsere antisystemische Einstellung.“

Welche cubanischen MusikerInnen haben schon solche Themen auf dem Schirm: Eros und sexuelle Beziehungen zwischen Frauen, Menstruation (120 horas rojas), ein Loblied auf die Mutter (Madrecita) oder das Dicksein (La Gorda), das unbedingt zitierenswürdig ist: „Ich, Walfisch, mehr Platz auf der Welt…Gewicht einer Gladiatorin,…unmöglich zu verstecken, die Dicke,…Gewicht eines Klotzes, Junge, der dich erdrückt“. Absolut beeindruckend auch die Spoken Word Performance von Mi Barba. Diese Eloge an den weiblichen Bart trägt Odaymara auch auf dem Kölner Bauwagenplatz vor. Ein krasses Statement in Zeiten, in denen Körperhaare für phänotypisch weibliche Menschen als Feinde gelten und Brazilian Waxing quasi hegemonial geworden ist. Diejenigen, die noch über Nacken- oder Armhaare verfügen, erleben in jenem Moment, dass sie sich aufrichten. Die anderen bekommen lediglich eine Gänsehaut. Auch der Stolz auf das afrocubanische Erbe schimmert immer wieder durch. Odaymara rappt davon, stolz auf ihre Bemba (vollen Lippen) zu sein, ihr Bart sei Zeichen ihrer „Abstammung“. Eines ihrer neueren Stücke, das auch in Tanznächten gut funktioniert, ist Mi cuerpo es mío („Mein Körper gehört mir“), mit dem denkwürdigen Reim Saquen el rosario de nuestro ovarios – „Holt den Rosenkranz aus unseren Eierstöcken raus“. Das macht einfach Spaß.

Einige SozialwissenschaftlerInnen, vor allem von außerhalb Cubas, haben bereits Studien über die Krudas Cubensi verfasst, etwa Tanya Saunders, die einen Beitrag im Rahmen der Gender Studies geschrieben hat und festhält: „Die Politik der Krudas ist eine linguistische und ideologische Intervention, die sich in hegemoniale Diskurse über Race, Gender und Sexualität einmischt.…Ihr Werk konzentriert sich darauf, das Denken der MitbürgerInnen zu verändern, um somit einen sozialen Wandel von unten anzustoßen.“

Für die cubanischen Behörden, die alles organisieren, regeln und im Blick haben (auch die Auftrittsorte und Festivals für MusikerInnen), waren die beiden allerdings zu radikal. Als die Rapperinnen Anfang der Nullerjahre immer bekannter wurden und Einladungen aus dem Ausland bekamen, wurde ihnen regelmäßig die Ausreise verweigert.

Auch innerhalb der Frauenbewegung auf der Insel eckten sie immer wieder an. „Die cubanische Frauenbewegung tut sich schwer mit ihren queeren Mitstreiterinnen“, meint Olivia. „Viele denken, dieses Queer- und Transgendergedöns komme aus dem kapitalistischen Norden, dabei gibt es in allen Kulturen Transgendertraditionen. Unsere Generation hatte das Glück, in Cuba aufgewachsen zu sein, denn so hatten wir wenigstens eine recht atheistische Erziehung, die eher profan und materialistisch war.“ Auf noch weniger Verständnis trafen sie mit ihren Forderungen zu lesbischen und queeren Belangen. Mariela Castro Espín, Tochter von Staatschef Raúl Castro, sagte ihnen, dass die cubanische Bevölkerung „noch nicht bereit sei“ für die Radikalität ihrer Themen und Herangehensweisen. Von offizieller Seite gab es um die Jahrtausendwende wenig Unterstützung für die Forderungen der LGBTI. So beschlossen Odaymara, Olivia und andere AktivistInnen, an der 1.-Mai-Kundgebung mit der Regenbogenflagge teilzunehmen. Doch bestimmte AktivbürgerInnen versuchten mit körperlicher Gewalt, deren Teilnahme am Demonstrationszug zu verhindern. Schließlich schafften es die AktivistInnen, sich mit ihrer Regenbogenflagge am Zug zu beteiligen. Danach gab es regelmäßig Überprüfungen von Seiten der staatlichen Sicherheitsbehörden. Heute ist Mariela Castro Direktorin des Cubanischen Zentrums für Sexualerziehung (CENESEX) und ist weltweit bekannt für ihre fortschrittlichen Ansätze, etwa bei der Ermöglichung von geschlechtsangleichenden Operationen für Transgender (siehe ila 305 und ila 338). „Wir wissen ganz genau, dass Mariela Castro nicht für die cubanische Bevölkerung steht und sie auch nicht repräsentiert. Wenn die Institutionen heute akzeptieren, dass die revolutionären Bewegungen eine Realität sind, und wenn sie nun auf einmal dialogbereit erscheinen, zeigt das, dass unser Kampf wichtig und erfolgreich ist. Und dass wir zu allem bereit sind, um unsere Rechte zu verteidigen. Das gilt es wertzuschätzen, egal, ob es nun institutionelle Unterstützung gibt oder nicht. Den Institutionen bleibt nichts anderes übrig als dies anzuerkennen.“

Die sozialistische Insel wurde den Krudas und ihrer Kunst langsam aber sicher zu klein. Bevor sie als Duo im Jahr 2006 nach Austin (Texas) in die USA auswanderten, mussten sie hart kämpfen, um überhaupt als Rapperinnen gehört zu werden. Ironie der Geschichte: Heute treten sie regelmäßig in Cuba auf, etwa in der wichtigen Kulturinstitution „Fábrica de Arte Cubano“ in Havanna. Staatstragende Medien berichten ausführlich, sie werden zu Vorträgen und Konferenzen, etwa im UNEAC, dem Verband der Schriftsteller und Künstler, eingeladen. Von extremistischen Parias hin zum umworbenen Aushängeschild –  wie erklären sie sich selbst diesen Wandel? „Nun, die Welt verändert sich, die Leute lernen dazu, aber wir müssen weiterkämpfen, denn wir sind immer noch die gleichen. Einige Leute mögen vielleicht denken, dass wir wegen des Kapitalismus in die USA gegangen seien und jetzt keine Probleme mehr hätten. Aber nein. Der Kampf geht weiter!“, so Odaymara. „Auf Cuba haben wir gelernt, aus dem Nichts eine Menge herauszuholen“, erklärt Oydamara im Interview mit Postcolonialist.com und Olivia fügt hinzu: „Der Traum vom Sozialismus hat uns für immer geprägt. Die Ideen von sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Widerstand werden auf ewig in unsere Akkorde und Melodien eindringen.“

Wir wollten wissen, was für sie als Künstlerinnen in ihrer neuen Umgebung nun besser sei und welche Probleme sich nun in den USA ergeben. „Es ist einfach super, tolle Leute kennenzulernen, Zugang zum Internet, den sozialen Netzwerken zu haben und über bestimmte Ressourcen zu verfügen. Jetzt können wir unsere Karriere und unser internationales Image endlich selbst bestimmen. Hier lernen wir, teilen mit anderen, erschaffen zusammen, verwirklichen Träume, verändern Leben und Realitäten, wachsen weiter und lernen dazu.“ Olivia weiß ihr neues Leben in den USA zu schätzen. „Meine Perspektive hat sich erweitert. Ich kann jetzt mein Land auf andere Arten betrachten, aber ich bringe aus Cuba das mit, was ich bin, was ich dort gelernt habe.“ Odaymara ergänzt: „Neben der anderen Geografie erlebe ich nun auch ein anderes Wirtschaftssystem, eine andere Kultur und Sprache. Und wir gehören jetzt zur großen Immigrantengemeinde auf der Welt.“

Bevor sie in die USA auswanderten, erprobten die Krudas Formen der Selbstverwaltung als StraßenkünstlerInnen, Stelzenläuferinnen und Rapperinnen, bezeichneten sich selbst als artivistas, also künstlerische Aktivistinnen. Heute sind sie in der alternativen Szene von Austin unterwegs und auch auf ihren Touren im Ausland sind alternative Auftrittsorte häufig, etwa das queerfeministische Hiphopfestival Re*mix in Bremen. Da sie nun die verschiedensten alternativen Szenen kennen, wollten wir erfahren, ob sie das kapitalistische Umfeld in den USA nicht besonders hart finden. „Wir sind krudas, wir sind hart. Wir haben stets jeden Weg beschritten. Wir kommen von einer harten Insel und sind Kinder und Enkelkinder von KriegerInnen, die vor nichts zurückgeschreckt sind und die sich über die Systeme lustig gemacht haben. Jetzt sind wir in diesem harten Land, bewegen uns in der globalen alternativen Bewegung und stehen für unsere Härte und unsere Herkunft. Damit zeigen wir, dass es durchaus geht, dass wir es doch können.“