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Pestizidproduktion wegen Umweltverseuchung gestoppt

Erfolgreiche Kampagne gegen den Konzern Atanor in der Provinz Buenos Aires

Am 6. September 2016 wurden die Produktionsanlagen von Atanor in San Nicolás auf richterlichen Beschluss durchsucht und eine Abteilung geschlossen, nachdem die Einleitung giftiger Rückstände in den Paraná-Fluss nachgewiesen werden konnte. AnwohnerInnen und ArbeiterInnen der Fabrik hatten seit mehr als zehn Jahren auf die Vergiftung der Umwelt und die zahlreichen Krankheiten und Todesfälle hingewiesen.

Alix Arnold

Der Multi Atanor ist zweitgrößter Produzent von Glyphosat in Argentinien und stellt mit Atrazin und 2,4-D noch zwei weitere der weltweit am meisten eingesetzten Pestizide her. Mit der Ausbreitung der genmanipulierten Soja steigt auch die Nachfrage nach diesen Giften. Als die Produktionsanlage in San Nicolás vor 20 Jahren gebaut wurde, lag sie noch außerhalb der Stadt. Aber die Stadt wurde größer und heute grenzt das Wohnviertel Barrio Química („Chemieviertel“) direkt an die Fabrik an. Die Menschen in und um die Fabrik bekamen hautnah mit, wie das Unternehmen bei der Entsorgung sparte, auf Kosten von Umwelt und Gesundheit. Flüssige Produktionsrückstände wurden in den Fluss abgelassen, ungefiltert und unbehandelt, aber verdünnt – mit riesigen Mengen wertvollen Grundwassers, für dessen Entnahme der Betrieb keine Genehmigung hatte. Arbeiter berichteten von Giftmüllfässern, die auf dem Gelände vergraben wurden. Verfärbungen des Bodens weisen darauf hin, wo die Stoffe sich bereits ausgebreitet haben. Und immer wieder wurden auch aus den Schornsteinen stinkende Rückstände abgelassen, die bei den AnwohnerInnen Kopfschmerzen und Atembeschwerden verursachten. Vor allem aber häuften sich Krebserkrankungen und Todesfälle. In keiner Apotheke in San Nicolás werden so viele Medikamente gegen Krebs verkauft wie in der des Stadtteils neben der Fabrik. Jüngstes Todesopfer ist die Tochter einer bolivianischen Familie, die in unmittelbarer Nähe der Auffangbecken wohnt. Sie starb im August mit nur sechs Jahren an Lungenkrebs.

Da es auf die vielen Eingaben und Anzeigen keine Reaktion von Seiten der Behörden gab, nahmen die AnwohnerInnen die Ermittlung der Gesundheitsgefährdung 2009 selbst in die Hand, so wie es auch die Betroffenen von Pestiziden in anderen Teilen des Landes schon getan haben (zum Beispiel die „Mütter von Ituzaingó“ in der Nähe von Córdoba im Kampf gegen Monsanto, siehe ila 371 und 398). Auf einer selbst gezeichneten Karte des Barrio Química zeichneten sie die Todesfälle ein. In dem kleinen Viertel zwischen zwei Parallel- und drei Querstraßen summieren sich inzwischen 200 Todesfälle, bei denen ein Zusammenhang mit der Pestizidproduktion angenommen wird. Hinzu kommen Beschwerden wie Asthma, Bronchitis und Hautkrankheiten, unter denen fast alle AnwohnerInnen leiden. Bei den ArbeiterInnen der Fabrik gab es neben verbreiteten Atemwegserkrankungen auch mehrere Fälle von Nekrose und Nierenversagen.

Schon vor zwei Jahren wurde eine Schließungsverfügung erlassen, die die Firma jedoch ignorierte, ohne dass eine Behörde eingegriffen hätte. Das Internetportal Lavaca.org zitiert Fabián Maggi, der AnwohnerInnen und Bürgerinitiativen als Anwalt vertritt: „Überall, wo es zu Umweltverschmutzung kommt, steht dahinter nicht nur ein umweltschädigender Unternehmer, sondern auch ein korrupter Beamter. Atanor hat keine Genehmigung, Gase in die Luft oder Flüssigkeiten in den Fluss abzulassen. Trotzdem hat die zuständige Behörde dem Betrieb die Umweltverträglichkeitsbescheinigung ausgestellt. Eine weitere Geschichte ist der Umgang der Wasserbehörde mit Atanor. Wir sehen das als klaren Beweis für Korruptionsfälle, die wir alle angezeigt haben.“ Zwischen der vorherigen und jetzigen Regierung sieht Maggi diesbezüglich keinen Unterschied: „Die vorherige und die derzeitige Regierung betreiben die gleiche Umweltpolitik. Sie stehen für Extraktivismus und dafür gibt es keinen anderen Weg als Korruption. Selbst wenn sie nur das allgemeine Umweltgesetz oder die von Argentinien unterzeichneten internationalen Abkommen einhalten wollten, müssten sie völlig anders handeln.“

Die unangekündigte Durchsuchung und Schließung der Atrazin-Abteilung wurde von Facundo Puente veranlasst, einem Richter, der neu am Amtsgericht und neu in der Stadt ist. Er verbot außerdem die Einfahrt von LKWs aus dem anderen Atanor-Betrieb in Munro und ordnete regelmäßige Kontrollen durch die Polizei an. Die AktivistInnen sehen dies als großen Erfolg ihrer langjährigen Kampagne, aber sie wissen, dass der Kampf damit noch lange nicht gewonnen ist. Anfang Oktober gingen sie wieder auf die Straße und forderten, dass die Produktion erst dann wieder aufgenommen werden darf, wenn sich die Versammlung von AnwohnerInnen und ArbeiterInnen davon überzeugt hat, dass von dort keine Gesundheitsgefährdung mehr ausgeht.

Ergänzung:

In der letzten Printausgabe (ila 400) schrieben wir über die gerichtlich angeordnete Stilllegung einer Abteilung der Pestizidproduktion bei Atanor in San Nicolás (Argentinien), nachdem AnwohnerInnen und ArbeiterInnen die Gefährdung von Gesundheit und Umwelt durch den Chemie-Multi öffentlich gemacht hatten. Lavaca.org berichtet nun, dass die Produktion wenige Wochen später wieder aufgenommen wurde. Die Schließungsverfügung wurde zwar in der Berufungsinstanz bestätigt, aber die Wasserbehörde sollte Gelegenheit bekommen, Wasserproben bei laufender Produktion zu entnehmen. Da es keinerlei Kontrollauflagen gab, läuft die Produktion seitdem wieder, als sei nichts gewesen. Am 20. 11. 2016 kam es in der Fabrik zu einer Explosion und einem Brand mit großer Rauchentwicklung und säurehaltigem Nebel. Was genau passierte, ist bislang unklar. Der beschwichtigenden Behauptung der Firma, es sei nur eine alte Halle mit leeren Kanistern betroffen, schenken die AnwohnerInnen, die den Brand gefilmt haben, keinen Glauben. Für Lavaca waren die Verantwortlichen nicht zu sprechen.

http://www.lavaca.org/notas/chauatanor-incendio-en-la-planta-contaminante-de-san-nicolas/