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Projektionsfläche Körper

Schönheitsideale und ihre Auswirkungen in Brasilien

Es gibt ein Gefühl, das (fast) alle brasilianischen Frauen gemeinsam haben. Nein, es ist nicht die Liebe für Samba, Karneval oder für den Strand. Auch nicht alle brasilianischen Frauen haben einen perfekten Hintern oder können tanzen wie alle Latinas. Trotz der Individualität, die eben alle Menschen in den verschiedensten Städten und Orten auf der Welt haben, gibt es doch dieses eine Gefühl, das die große Mehrheit der Brasilianerinnen teilt: die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper.

Gabriela Soutello

Laut Statistiken aus dem Jahr 2015 ist Brasilien das Land, in der die zweitmeisten Schönheitsoperationen durchgeführt werden. Allein bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren übersteigt die Anzahl 100 000 pro Jahr. Der am häufigsten durchgeführte Eingriff ist das Fettabsaugen. Es gibt aber auch eine große Nachfrage nach Magenverkleinerung, Brustvergrößerung, Arm- und Oberschenkellifting. Ab unserer Kindheit und bis ins hohe Alter verfolgt uns das Gefühl, dass wir nicht genug sind.

In Brasilien betrifft das Schönheitsideal beispielsweise die Haare (Vorliebe für blondes und glattes Haar, ein Haartyp einer winzigen Minderheit der Bevölkerung), die Hautfarbe (der Rassismus trägt dazu bei, die Mulattin als Sexbombe anzusehen), das Gesicht (je näher an den Vorbildern in europäischen und US-amerikanischen Filmen, desto besser) und die Persönlichkeit (der Machismo beginnt früh, den Frauen beizubringen, sich wie Damen zu verhalten, immer ruhig und respektvoll gegenüber den Männern). Im Bezug auf den Körperbau ist der soziale Standard, der immer wiederholt wird, klar und deutlich: Schön sein bedeutet dünn zu sein, mit großem Busen und Arsch. Um sich der brasilianischen Gesellschaft zugehörig zu fühlen, muss man diesen Schönheitsstandards schon früh nachkommen.

Seit der Kindheit lernen wir, das Haar so zu kämmen, dass es schön glatt wird. Mit sechs Jahren ist es schon ein Spiel unter Mädchen, wie ein Model auf dem Laufsteg zu laufen, dafür Lippenstift zu benutzen und hohe Schuhe anzuziehen. Als Teenager lernen wir, jedes kleinste Härchen, das diskret an unseren Beinen wächst, zu entfernen. Mit noch mehr Nachdruck lernen wir, bei Fotos unseren Bauch einzuziehen, Kleidung auszuwählen, die unsere Röllchen versteckt, schwarze Klamotten vorzuziehen, da sie schlank machen und dass wir Sport und absurde Diäten machen müssen, um nicht die Kontrolle über unser Gewicht zu verlieren. Wir lernen, dass das größte von allen nur möglichen Komplimenten ist, wenn jemand sagt: „Wow, du hast aber abgenommen!“ Und dies gilt für Frauen jeden Alters.

Das Fernsehen, das meistgenutzte Medium in Brasilien, dem die große Mehrheit der Bevölkerung viel Vertrauen schenkt und treu alles glaubt, was die großen Kanäle zeigen, präsentiert Werbungen von Diätshakes, elektrischen Apparaten und Instrumenten, die Bauch- und andere Muskeln trainieren sollen, künstliche Pillen, die den Bauch verschwinden lassen sollen und den Appetit nehmen. Außerdem sind die weiblichen Figuren, die auf den Bildschirmen in diversen Werbeclips, Telenovelas und Filmen erscheinen, immer von sogenannten perfekten Frauen gespielt. Sie sind dünn, sexy, haben tadellose Haut und Haare, servieren Bier, essen Salat, joggen in Parks oder trainieren in Fitnessstudios. Die gleichen Stereotypen werden auf den Titelseiten der Zeitschriften und Magazine wiederholt, oft hilft das Programm Photoshop dabei, das Bild der Perfektion zu erzwingen.

Mit großem Erfolg werden diese Bilder auch in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Instagram aufgegriffen. Letztes Jahr erlangte die Bloggerin Gabriela Pugliesi Berühmtheit mit ihren perfekten Fotos und motivierenden Videos, begleitet von Sätzen, die Frauen dazu animieren sollten, zu trainieren und abzunehmen. Der „Muse des Fitness“ folgen auf Instagram mittlerweile 2 Millionen Menschen. Im November 2015 löste Pugliesi eine Debatte aus, als sie über das soziale Netzwerk Snapchat Frauen, die abnehmen wollten, den Rat gab, Nacktbilder an ihre Freundinnen zu schicken. Falls sie dann die Diät brechen sollten, dürften die Freundinnen die Bilder ins Internet stellen.

Die Schönheitsindustrie umschließt zahllose Aspekte, die durch diese ästhetischen Muster verstärkt werden. Darunter fällt Ernährung, Kosmetik, Fitnessstudios und die Gesundheit, also beispielsweise Medikamente, die durch chemische Wirkstoffe schnelle Ergebnisse beim Abnehmen versprechen und ErnährungsberaterInnen, die verantwortlich dafür sind, Diätpläne für das Projekt Sommer zu entwerfen, für Tausende von Frauen, die nichts mehr wollen als einen Strandkörper zu haben. Um diesen Begriff zu hinterfragen, stellten einige feministische Gruppen dazu fest: „Um einen Strandkörper zu haben, braucht man nichts weiter zu tun, als einen Körper zu haben und zum Strand zu gehen!“

Als Antwort auf die Schäden, die die Schönheitsindustrie über viele Jahre hinweg angerichtet hat, gewinnt der Feminismus als alternative Denk- und Handlungsweise langsam an Bedeutung. Als Plattform dafür dienen vor allem die sozialen Medien, die als Alternative zu den traditionellen Medien als wichtiger Ort für Erfahrungs- und Informationsaustausch dienen. In Gruppen wie Talk Olga, Lugar de Mulher und Sagrado Livre Feminino diskutieren Frauen über die Wertschätzung ihres Körpers, darüber, aus den vorgegebenen Mustern auszubrechen, um glücklich leben zu können und industrielle Kosmetikprodukte und Medikamente durch natürliche Alternativen zu ersetzen.

Die Schäden, die diese Ideale, die uns seit der Geburt eingetrichtert werden, anrichten, sind nicht nur körperlich, durch bizarre Diäten oder chemische Medikamente, die unseren natürlichen Organismus zerstören, sondern auch psychologisch. Es gibt immer etwas, was uns stört, die Haare, die Nase, die Oberschenkel, die Hautfarbe. Diese Denkmuster zu durchbrechen ist nicht einfach, aber solange es Raum für Diskussionen und Verständnis gibt, besteht noch Hoffnung, etwas verändern zu können.

Im Dezember 2015 nahm sogar das Programm „Beruf Reporter“ des größten brasilianischen Fernsehnetzwerkes Rede Globo das Thema auf. Während 30 Minuten Sendezeit hatten BrasilianerInnen verschiedenster sozialer Hintergründe über das Fernsehen Zugang zu einer Erklärung, was Feminismus ist, inklusive Beispielen von Netzaktivismus, Gewalt gegen Frauen und der Repräsentativität im funk, des besonders in den Favelas beliebten brasilianischen Musikstils. Obwohl die Anzahl der Implantate und das Ausmaß der plastischen Chirurgie nach wie vor zunehmen, wächst auch, in kleinen Schritten, die Reichweite des Feminismus. Wir kämpfen weiter.

Gabriela Soutello ist Journalistin und lebt in São Paulo.