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So haben wir Monseñor Romero ermordet

Eine Erinnerung an die Verschwörung gegen den Erzbischof anlässlich seiner Seligsprechung

Am 23. Mai 2015 wird Erzbischof Oscar Arnulfo Romero selig gesprochen. Der Mann, der schon lange als San Romero de las Américas, als heiliger Romero der Amerikas, verehrt wird, ist damit auf dem besten Weg, ein Heiliger zu werden, ein Säulenheiliger der katholischen Kirche. Für die ila ist das kein Anlass zur Freude, bedeutet es doch, dass die „Stimme der Stimmlosen“ von der Amtskirche vereinnahmt wird, nachdem er die 35 Jahre währende Prüfung durch das heilige Offizium, wie die vatikanische Glaubenskongregation früher hieß, bestanden und Ratzinger ihm seinen Segen gegeben hat. Aber es ist ein Anlass, daran zu erinnern, dass sein Mörder und dessen Komplizen und Hintermänner, soweit sie nicht verstorben sind, noch immer frei herumlaufen. Einer der Komplizen ist der Ex-Hauptmann Álvaro Rafael Saravia, der in der folgenden Reportage erzählt, wie das damals war.

Carlos Dada

Major D’Aubuisson war Teil der Verschwörung zur Ermordung von Erzbischof Romero, aber ein Sohn des Ex-Präsidenten Molina hatte den Killer engagiert, sagt Hauptmann Álvaro Rafael Saravia 30 Jahre später. „Ein paar Jahre, nachdem er Monseñor Romero ermordet hatte, zieht Hauptmann Saravia die Uniform aus, verlässt seine Familie und geht nach Kalifornien“, liest er in einem Artikel, den ich 2005 in der Internetzeitung El Faro veröffentlicht habe, schiebt sich die Brille vor den unruhigen Augen zurecht und fixiert mich: „Das ist falsch, ich habe ihn nicht ermordet.“ „Wer dann?“ „Ein Typ, einer von uns, der noch rumläuft. Aber richtig, ich war dabei. Deshalb werde ich seit 30 Jahren verfolgt.“ Saravia hat von der Feldarbeit gezeichnete Hände, die so gar nichts mehr gemein haben mit den Händen des Piloten, der sich zum Handlanger des antikommunistischen Führers Roberto D’Aubuisson machte. D’Aubuisson, Ex-Major des militärischen Geheimdienstes, gründete die rechtsextreme ARENA-Partei und ging damals, als der interne Krieg in El Salvador absehbar war, in den Kasernen ein und aus. Saravia rekrutierte er allerdings bei einer Flasche Rum am Strand.

Als D’Aubuisson 1992, kurz nach der Unterzeichnung der Friedensverträge starb, lebte sein Handlanger bereits in Kalifornien – nach Verurteilungen in El Salvador wegen der Ermordung Romeros und in den Vereinigten Staaten wegen Geldwäsche. Zwölf Jahre später, 2004, begann seine neuerliche Flucht, dieses Mal vor einem Zivilverfahren, in dem er wegen seiner Beteiligung an der Ermordung des Erzbischofs zur Zahlung von zehn Millionen US-Dollar an dessen Familienangehörige verurteilt wurde. Jetzt lebt er versteckt in einer Umgebung, in der man Spanisch spricht. Saravia war aktives Mitglied einer Todesschwadron innerhalb der Frente Amplio Nacional, der „breiten nationalen Front“, die ebenfalls von D’Aubuisson angeführt wurde. Über seinen Bruch mit dem Major gibt es zwei Versionen. Saravia selbst gibt an, des unruhigen Lebens überdrüssig geworden zu sein. Ricardo Valdivieso, ein Hardliner aus der ARENA-Gründungsgruppe, der Saravia einen Psychopathen nennt, hat eine andere Erinnerung: Als er und D’Aubuisson den Hauptmann aus einer Kneipenschlägerei im guatemaltekischen Izabal, wo die Rechtsextremisten vorzugsweise konspirierten, herausholten, verprügelte er auch noch seinen Chef. In einem Interview mit dem Miami Herald kündigte Saravia vor Jahren schon an, ein Buch über die Ermordung Romeros schreiben zu wollen. Das hat er nie gemacht, weshalb er jetzt alles in einem Interview erzählen will.

Auf dem Fahndungsfoto, das die US-Einwanderungsbehörden 2004 veröffentlichten, ist Saravia mit einem Hawaii-Hemd bekleidet, dick und braun gebrannt. Der Mann, der sich mit mir in einem Kleinstadthotel trifft, ist alt und ausgemergelt, trägt einen schütteren, graumelierten Bart und stinkt. „Und warum wollen Sie jetzt reden?“, frage ich. „Wegen meiner Kinder, denn auch sie halten mich für eine Art Hitler. Seit zehn Jahren habe ich nicht mehr mit ihnen gesprochen.“ Aber es gibt noch andere Gründe. Unter allen am Romero-Mord Beteiligten ist Saravia der einzige, der je verurteilt wurde und der im Untergrund lebt. Amado Garay, der den Wagen mit dem Todesschützen fuhr, lebt auch versteckt, aber als Kronzeuge der US-Justiz. Fünf weitere an dem Verbrechen und seiner Vertuschung beteiligte Personen sind tot, drei wurden umgebracht, einer hat Selbstmord begangen und ein weiterer ist spurlos verschwunden.

„30 Jahre sind vergangen“, klagt Saravia, „und es ist immer noch dieselbe Scheiße. Ich glaube, es gibt eine Verschwörung, niemand soll erfahren, wer Romero ermordet hat.“ Jetzt will er sprechen. Ich schalte das Tonbandgerät an. „Ich habe nur eine Bitte“, sagt er, „man soll sie verhaften und an den Eiern packen, dann werden sie schon singen.“ Das Urteil gegen ihn fußte auf den Aussagen von Amado Garay und auf seinem Notizbuch, das noch im selben Monat requiriert wurde und in dem das Attentat als Operación Piñas (Operation Ananas) beschrieben ist. Ich zeige ihm eine Kopie seiner Notizen von damals, er studiert sie ausgiebig und dann hat er eine Erleuchtung: „Das ist nicht meine Schrift, das ist die Schrift von Roberto.“ Saravia weiß nicht, wie das Blatt mit der Liste der für die Operation Ananas benötigten Personen und Waffen in sein Notizbuch kommt. Aber Ex-Oberst Adolfo Arnoldo Majano weiß es. Er war 1979 Mitglied der ersten Revolutionären Regierungsjunta und einer der Letzten, die noch an eine Verhandlungslösung glaubten, um den offenen Krieg zu vermeiden. Er befahl damals, Major D’Aubuisson zu verhaften, und bekam als erster Saravias Notizbuch in die Hände. Die Notizen zur Operation Ananas schrieb der Major auf ein Blatt seines Restaurants Mariscos Tazumal. Beim Kopieren wurde es mit den Blättern aus Saravias Notizbuch vermischt. Was steht auf der Liste? Ein Starlight (Zielfernrohr), ein 257 Roberts (Präzisionsgewehr von Remington, Kaliber 25), vier automatische Waffen, Granaten, ein Fahrer, ein Scharfschütze, vier Sicherheitsleute. Laut Autopsie wurde Monseñor Romeros Herz aber von einer Kugel Kaliber 22 getroffen. Des Rätsels Lösung: Den Scharfschützen, die Waffe und das Sicherheitsteam stellte nicht D’Aubuisson, sondern der andere Verschwörer, Mario Molina, Sohn von Ex-Präsident (1972-1977) General Arturo Molina. Der Fahrer, Amado Garay, war aus dem Team von D’Aubuisson und wurde von Saravia beaufsichtigt. Von dem Killer weiß man, dass er Salvadorianer ist, der Nationalgarde angehört hatte und zur Sicherheit von Mario Molina gehörte.

Um Saravia zu treffen, muss man in die Hölle hinabsteigen. Hier leben Leute, deren einzige Lust es ist, sich zu betrinken und sich mit ihren Macheten gegenseitig in Stücke zu schlagen. Die Männlichkeit misst sich hier in Toten. Die Frau, die ihn in einem Lehmhäuschen mit Fensterhöhlen wohnen lässt, hat zehn Söhne und Töchter, die ihren Vater umgebracht haben. Sie hat sie angezeigt und ist sicher, dass sie zurückkommen werden, um auch sie zu ermorden und das Häuschen abzufackeln, nur weil es ihr gehört. Sie wissen genauso wenig wie ihre Mutter, dass der Gringo, der bei ihnen lebt, Salvadorianer ist, Pilot war und an der Ermordung eines Erzbischofs beteiligt war.

„Schau mich an“, fordert mich Saravia auf, „ich lebe mit Leuten, die wirklich leiden, an einer schrecklichen Krankheit, an der Armut. Wie soll man da nicht Guerillero werden?“ „Wie das Leben spielt“, sage ich. Vor 30 Jahren war alles anders. Da saß Saravia mit dem Negro Fernando Sagrera, einem Kumpel aus D’Aubuissons Todesschwadron, in einer Villa im Stadtteil San Benito, wo die Reichen von San Salvador wohnen. Es war Sonntagnachmittag, alles ruhig. Sie tranken eine Flasche schottischen Whisky des Hausherrn, des Unternehmers Roberto „Bobby“ Daglio, der in Miami lebte, und draußen warteten zwölf Männer auf Anweisungen. An diesem Sonntag, dem 23. März 1980, hatte Erzbischof Romero in seiner Predigt in der Kathedrale alle Angehörigen der Streit- und Sicherheitskräfte beschworen, nicht länger ihre Geschwister, die Bäuerinnen und Bauern zu ermorden. Schließlich sage das Gesetz Gottes, das über allen anderen Gesetzen steht: Du sollst nicht töten. Für die beiden Whiskytrinker und ihr Team waren das Worte, die nur von einem Kommunisten kommen konnten, und die Kommunisten waren die Feinde; es wurde Zeit ihn umzubringen. Für den nächsten Abend war eine Messe zum ersten Jahrestag des Todes einer bekannten Dame angekündigt, die Monseñor Romero in der Kapelle des Hospital de la Divina Providencia („Hospital von der Göttlichen Vorsehung“, ein von Ordensfrauen betriebenes Hospiz) lesen sollte – der richtige Ort, die richtige Zeit. Mario Molina und Roberto D’Aubuisson vereinbarten die Einzelheiten der Operation. Saravias Aufgabe war es, die Übergabe des Fahrzeuges, eines roten Volkswagen Passat, zu koordinieren, den Fahrer, Amado Garay, zu finden und ihn zum Parkplatz des Hotels Camino Real zu schicken, wo der Scharfschütze und die Sicherheitsleute zusteigen sollten. So geschah es dann auch, und zusammen mit einem zweiten Fahrzeug, in dem unter anderen auch Saravia saß, machten sie sich auf die Suche nach der Krankenhauskapelle, in der Erzbischof Romero am Abend die Messe halten sollte. Sie fanden den Ort, parkten, sahen von ihrem Fahrzeug aus, wie der rote Passat vor der Tür der Kapelle hielt, und hörten kurz darauf den Schuss. Laut Saravia fuhren sie aus lauter Neugier dem roten Passat hinterher. Am Steuer des Dodge saß dessen Eigentümer, Gabriel „Bibi“ Montenegro, bewaffnet mit einem 45er Colt. Als ich auch ihn zu einem Interview über die Ereignisse vom 24. März 1980 traf, sagte er von sich: „Ich bin kein Nazi, ich bin Faschist, das ist etwas anderes.“ Und er bestritt zunächst, dabei gewesen zu sein. Als er mit den Beweisen konfrontiert wurde, gab er seine Erinnerungen preis. Mit von der Partie der Schaulustigen waren Fernando Sagrera, bewaffnet mit einer Maschinenpistole von Heckler & Koch, und eben der Hauptmann Saravia, der immer zwei Pistolen mit sich trug. Auf dem Parkplatz des Camino Real sah Montenegro, wie ein hochgewachsener, bärtiger Mann mit einem Gewehr in den roten Passat stieg. Er will erst am nächsten Tage erfahren haben, dass er Zeuge der Ermordung von Erzbischof Romero geworden war. Fernando Sagrera streitet bis heute alles ab. Er war erstaunt darüber, dass sein Name im Zusammenhang mit der Ermordung Romeros im Bericht der Wahrheitskommission auftaucht, obwohl er ihr gegenüber eine Beteiligung verneint hatte. Und jetzt ist er erstaunt darüber, dass er auch in einem Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission benannt wird. Das seien alles falsche Beschuldigungen. Und wo war er dann am 24. März 1980? „Ich erinnere mich nicht“, sagt er mir in einem Gespräch, „das war ein ganz gewöhnlicher Tag. Wie soll ich mich daran erinnern können? Und ich war nie ein Freund von Saravia, weil er verrückt war. Das ist ein dementer Alkoholiker.“ Er räumt aber ein, dass er mit Roberto D’Aubuisson befreundet war, sehr befreundet. „Das ist meine Sünde.“ Bibi Montenegro will er kaum gekannt haben und er erinnert sich nicht daran, mit ihm und Saravia am 24. März 1980 zur Divina Providencia gefahren zu sein.

Zwei oder drei Tage nach der Ermordung Romeros versam- melten sich die D’Aubuisson-Leute im Haus des prominenten Unternehmers Eduardo Lemus O’Byrne. Saravia erinnert sich: „Ich kannte den Schützen nicht. An jenem Tag habe ich gesehen, wie er in den Passat stieg. Und danach habe ich ihm persönlich die tausend Colones (damalige Landeswährung, d. Red.) übergeben, die sich D’Aubuisson bei Lemus O’Byrne geliehen hatte.“ In einem Gespräch bestätigte dieser, dass er ein glühender Feind der Agrarreform war. Aber: „Ich versichere Ihnen, dass ich D’Aubuisson nie, niemals Geld gegeben habe. Wenn man mich um tausend Colones für den Mörder von Romero gebeten hätte, würde ich mich doch daran erinnern, oder? Nein, ich erinnere mich auch nicht an dieses Treffen in meinem Haus. Das gab es nie.“ Saravia beharrt darauf, dass das Geld von Lemus O’Byrne war. „Ich hab dem Schützen die tausend Colones gegeben und ihm gesagt: Pass auf, Roberto D’Aubuisson lässt ausrichten, dass er nichts von dir wissen will und du dich an deinen Chef wenden sollst.“ Die Ermordung des Erzbischofs und die Gerüchte, D’Aubuisson sei in die Todesschwadronen verwickelt, förderten seine Führungsrolle unter den salvadorianischen Rechtsextremen und machten ihn zum Idol im Kampf gegen den Kommunismus. Er war 1983 Präsident der Verfassunggebenden Versammlung und im Jahr darauf Präsidentschaftskandidat der von ihm gegründeten ARENA-Partei, die 1989 endgültig an die Regierung kam und dort 20 Jahre blieb. Beim vorletzten Treffen mit Saravia saß er in einem Dorfcafé unter einem Bild mit dem Letzten Abendmahl. Ich machte ihn darauf aufmerksam und meinte, das sei sicher ein Fingerzeig, woraufhin er wollte, dass ich ihn mit dem Bild fotografierte. Wir haben dann noch ein Bild von ihm neben seinem Fahndungsfoto gemacht. Wir vereinbarten, dass ich das nächste Mal einen Fotografen mitbringen sollte. Beim letzten Treffen kam er dann direkt von der Feldarbeit, aber frisch rasiert, mit geschnittenen Haaren und einer neuen Brille. „Jetzt können Sie so viele Fotos machen, wie sie wollen.“ Bei diesem Treffen spielte ich ihm eine Aufzeichnung von Romeros letzten Worten bei jener Messe in der Hauskapelle des Hospital de la Divina Providencia vor. Darauf hört man eine Explosion. Hauptmann Saravia erschrak, riss die Augen weit auf und starrte mich sekundenlang an. Dann atmete er tief durch und fragte: „Ist das der Schuss?“ „Ja, Hauptmann, das ist der Schuss.“

Diese Reportage erschien am 22. März 2010 in der salvadorianischen Internetzeitung El Faro. Sie wurde stark gekürzt und übersetzt von Eduard Fritsch.