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Bergbau, Windparks, Pflanzengifte, Waffen

Deutsche Firmen in Mexiko

Anfang 2012, noch unter der CDU-FDP-Regierung, wurde Mexiko vom Bundeswirtschaftsministerium zum „neuen Zielmarkt“ erklärt, gemeinsam mit Indonesien, Kolumbien, Malaysia, Nigeria und Vietnam. Ein Zusammenhang zwischen dieser Initiative und dem krisenbedingten Sinken deutscher Exporte innerhalb der Eurozone ist offensichtlich. Schließlich wurden aus Deutschland im Jahr 2008 noch Waren im Wert von zusammen  58,8 Milliarden Euro nach Griechenland, Portugal und Spanien exportiert, während es 2013 nur noch 41,3 Milliarden waren.

Peter Clausing

Zur Erschließung des „neuen Zielmarktes“ Mexiko organisiert die deutsche Regierung Unternehmerreisen und gewährt zinsgünstige Kredite, und die deutsche Botschaft veranstaltet, gemeinsam mit der deutschen Außenhandelskammer CAMEXA, geschäftsanbahnende Treffen für Rüstungsunternehmen und andere Branchen. Mexiko ist nicht nur ein neuer Zielmarkt, sondern hat aufgrund des 1994 abgeschlossenen Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) eine wichtige „Brückenfunktion“ in Richtung USA und Kanada. Mehr noch, auf einem Außenwirtschaftsforum im Juli 2014 in Mainz verwies der Vertreter des mexikanischen Wirtschaftsministeriums darauf, dass Mexiko einen „privilegierten Zugang“ zu 45 Ländern und somit zu 61 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts böte. Grund dafür seien die zwölf  Freihandelsabkommen, die das Land inzwischen abgeschlossen hat.

Gegenwärtig sind rund 1300 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in Mexiko registriert, wobei die Sektoren Automobil- und Automobilzulieferindustrie sowie die Pharma-, Chemie- und Logistikbranche im Vordergrund stehen. Nach Schätzungen der CAMEXA beträgt das akkumulierte Kapital deutscher Firmen zirka 25 Milliarden US-Dollar und deutsche Firmen beschäftigen laut Auswärtigem Amt mehr als 120 000 MitarbeiterInnen in Mexiko. Es stehen also handfeste ökonomische Interessen hinter dem Wunsch, „die umfassende Partnerschaft zwischen Deutschland und Mexiko (zu) intensivieren“, wie es Außenminister Steinmeier anlässlich des Besuchs seines Amtskollegen Maede im Januar 2015 formulierte. Das erklärt, warum das Thema Menschenrechte im Hintergrund bleiben muss.

Seit einigen Jahren, genauer gesagt, seit der Veröffentlichung der „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ im Jahr 2011, wird dem potenziellen Konfliktbereich zwischen Wirtschaftstätigkeit und Menschenrechten vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere in Mexiko mit seiner katastrophalen Menschenrechtssituation hat das Thema eine große Relevanz. Leider beruhen sowohl die UN-Leitprinzipien als auch die im gleichen Jahr veröffentlichten OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, die ebenfalls einen Abschnitt über Menschenrechte enthalten, auf Freiwilligkeit. Kritische BeobachterInnen betrachten deshalb die beiden Dokumente als relativ zahnlos, denn sie bieten den Unternehmen viel Spielraum für Interpretation und Schönfärberei. Trotz dieser Unverbindlichkeit tat sich die deutsche Regierung schwer, einen „Nationalen Aktionsplan“ zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien zu erarbeiten, den die EU-Kommission seit Oktober 2011 von ihren Mitgliedsländern fordert. Erst am 6. November letzten Jahres gab die Bundesregierung den Startschuss zur Ausarbeitung eines solchen Plans. Während Deutschland mit der Erarbeitung dieses Plans seit über drei Jahren in Verzug ist, gab es im Juni 2014 auf der 26. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates eine Initiative von Ecuador und Südafrika zur Bildung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe, die das Mandat erhielt, statt freiwilliger Empfehlungen ein völkerrechtlich verbindliches Instrument zum Thema Unternehmen und Menschenrechte zu erarbeiten. Doch mit Blick auf Mexiko sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Zu oft wurden von diesem Land völkerrechtlich verbindliche Abkommen ratifiziert, die anschließend sogar in nationale Gesetze gegossen wurden, dann jedoch nur auf dem Papier standen. Stellvertretend sei an das Gesetz zum Verbot von Folter erinnert. Mexiko war 1987 eines der ersten Länder, die diese UNO-Konvention ratifizierten. Seit 2003 ist Mexiko zur Einführung des Istanbul-Protokolls (zur wirksamen Untersuchung und Dokumentation von Folter) verpflichtet. Trotzdem kommt Folter in Mexiko bis heute systematisch zur Anwendung. Und unter Folter erpresste Geständnisse werden nach wie vor bei mexikanischen Gerichten als Beweismittel anerkannt. So wird es, egal ob auf freiwilliger Basis oder auf der Grundlage von verbindlichem Völkerrecht, auch künftig eine David-gegen-Goliath-Konstellation sein, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen im Umfeld wirtschaftlicher Aktivitäten zu bekämpfen.

Welche Wirtschaftszweige sind für Menschenrechtsverletzungen besonders anfällig? Das sind vor allem solche, die auf Ressourcen wie Land, Wasser und Biodiversität beziehungsweise die Umwelt als „Senke“ für entstandene Abfälle zurückgreifen und nicht selten die Rechte der lokalen Bevölkerung verletzen. Außerdem kommt es branchenunabhängig immer wieder zur Verletzung von ArbeitnehmerInnenrechten. Und schließlich ist die Rüstungsindustrie zu erwähnen, die nicht nur Ressourcen verschwendet, die besser für friedliche Zwecke genutzt werden sollten, sondern mit ihren „Produkten“ das Leben von Menschen unmittelbar gefährdet, besonders in einem Land wie Mexiko.
Ein Bereich mit besonders sichtbaren Konflikten ist der Bergbau. REMA, das Mexikanische Netzwerk der vom Bergbau Betroffenen, machte schon 2008 auf die alarmierende Tatsache aufmerksam, dass für 200 000 Quadratkilometer, neun Prozent des mexikanischen Territoriums, Bergbaukonzessionen vergeben wurden. Wenn es um Bergbaukonflikte geht, kommen einem zu allererst kanadische Konzerne wie First Majestic Silver und Fortuna Silver in den Sinn sowie die Grupo México, das mexikanische Unternehmen, das im vorigen Jahr nicht die erste, aber eine der größten Umweltkatastrophen in der mexikanischen Geschichte verursachte, als sich 40 Millionen Liter giftiger Abwässer in die Flüsse Sonora und Bacanuchi ergossen. Hingegen stehen bei Fortuna Silver, das die Mine San José in Oaxaca betreibt, und bei First Majestic Silver, das in Wirikuta, San Luis Potosí, die heiligen Stätten der Wikarixari (Huicholes) bedroht, soziale Konflikte im Vordergrund. Mit der Grupo México, die von dem mexikanischen Bischof Raúl Vera wegen der zahlreichen Umweltskandale als „Serienmörder“ bezeichnet wurde, pflegt der Siemenskonzern intensive Geschäftsbeziehungen und lieferte in jüngster Zeit zwei Gas- und Dampfturbinenkraftwerke im Wert von 300 Millionen Euro.

So gut wie unerforscht sind mögliche finanzielle Beteiligungen deutscher Investoren an Bergbauunternehmen, die in Mexiko operieren und dabei Menschenrechte verletzen. Der Hinweis, den es dafür bei First Majestic Silver gibt, das mit seiner hundertprozentigen Tochter Minera Real Bonanza Konzessionen auf dem traditionellen Territorium der Wikarixari besitzt, ist eher dem Zufall geschuldet. Mit dem Projekt La Luz in San Luis Potosí bedrohte das Unternehmen nicht nur die heiligen Stätten eines ganzen Volkes, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden, sondern auch die dort vorhandene biologische Vielfalt sowie die Grundwasservorräte, die schon jetzt, ohne dass die Silbergrube in Betrieb ist, übernutzt sind. Im Februar 2012 wurden die dortigen Aktivitäten des Unternehmens per Gerichtsbeschluss unterbunden. Im Geschäftsbericht des Unternehmens aus dem Jahr 2013 wird wie selbstverständlich auf die fortgesetzten Bemühungen verwiesen, diesen Gerichtsbeschluss zu kippen. Einem Interview, das Keith Neumeyer, Topmanager von First Majestic Silver, zum Jahreswechsel 2009/2010 gab, war zu entnehmen, dass bis 25 Prozent seiner AktionärInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen. Es ergibt sich die Frage, wie bei einer solchen Konstellation deutsche Investoren in Bezug auf Wirtschaft und Menschenrechte in die Pflicht genommen werden können.

Nicht nur im Bergbau, sondern auch im Bereich erneuerbarer Energien kooperiert der Siemenskonzern mit Unternehmen, die Menschenrechte missachten. Der Dachverband der kritischen AktionärInnen nahm das zum Anlass, zur Hauptversammlung am 27. Januar 2015 in München den Antrag zu stellen, dem Vorstand der Siemens AG die Entlastung zu verweigern. Ein Grund, diesen Antrag zu stellen, war die Beteiligung von Siemens an Windparkprojekten am Isthmus von Tehuantepec in Oaxaca, die ohne hinreichende Mitbestimmung und gegen den Willen der örtlichen Bevölkerung durchgesetzt werden, was einen Verstoß gegen die in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO 169) festgelegten Rechte indigener Gemeinden darstellt.
Seit mehreren Jahren richtet sich an der Pazifikküste von Oaxaca der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen die Errichtung von Windparks. Das Problem sind fehlende oder unzureichende Pachtzahlungen für das genutzte Land bzw. die mit der Errichtung von Windparks verbundenen Zugangsbeschränkungen. Zirka 11 000 Hektar Land stehen in Mexiko im Dienst der Erzeugung von Windenergie, wobei der erzeugte Strom oftmals vertraglich fixierten Abnehmern wie dem Zementhersteller CEMEX, transnationalen Handelsketten (WalMart) oder Bergbauunternehmen zur Verfügung gestellt wird. Europäische Firmen wie Iberdrola, Enel und Acciona sind in Oaxaca dick im Geschäft. Die schwäbische Sowitec GmbH hingegen, die mit Darlehen der Deutschen Entwicklungsgesellschaft (DEG) arbeitet, ist in Coahuila, Michoacan, Nuevo León und Zacatecas aktiv und betreibt dort 13 Projekte.
Spätestens die Reform der mexikanischen Verfassung von 2011 schreibt die Befragung indigener Gemeinden vor, um den Festlegungen der ILO-Konvention 169 gerecht zu werden. Doch  während diese einen Konsultationsprozess vorschreibt, der „vorab, frei und informiert“ erfolgen soll, fand in Oaxaca eine solche Konsultation bis zum Herbst 2014 nie statt. Der betroffenen Bevölkerung gelang es, derlei Projekte durch Proteste und gerichtliche Entscheidungen zu blockieren. So wurde der Baubeginn eines Projekts der spanischen Investorengruppe Mareña Renovables 22-mal verschoben. Durch die Hartnäckigkeit der lokalen Bevölkerung wurde schließlich erreicht, dass nun für das Windparkprojekt Eolica del Sur (bis 2012 unter dem Namen San Dionisio bekannt), eine Befragung der BewohnerInnen durchgeführt werden soll, auch wenn bereits im Vorfeld Kritik wegen Unregelmäßigkeiten laut wurde.

Agrarindustrielle Konzerne wie Monsanto, Bayer Cropscience und BASF produzieren in der Regel beides, Pestizide und gentechnisch verändertes (transgenes) Saatgut. Beide Produktgruppen sind umstritten. Pestizide, die mit dem Ziel vermarktet werden, Pflanzen (vor Schädlingen) zu schützen, vergiften zugleich Mensch, Tier und Umwelt. Das von transgenen Pflanzen ausgehende Risiko ist ungenügend erforscht und wird von der Industrie systematisch verharmlost. Mexiko ist für beide Bereiche ein heißes Pflaster.
Laut FAO-Statistik werden in Mexiko pro Hektar 16-mal mehr Insektizide eingesetzt als in Deutschland und das, obwohl es um die Kontrolle einer sachgerechten Ausbringung und um den Schutz der Gesundheit, insbesondere der FeldarbeiterInnen, in Mexiko noch deutlich schlechter bestellt ist. Bayer und BASF vermarkten in Mexiko 80 Pflanzenschutzmittel, die vom Pesticide Action Network als „hochgefährlich“ eingestuft wurden. Fünf von ihnen – Chlorfenapyr, Flufenoxuron, Imazethapyr, Thiodicarb, Tridemorph – sind in der EU verboten, ein weiteres, Fipronil, starken Anwendungsbeschränkungen unterworfen. Fallen die Gefährdung der Gesundheit des Menschen und die Belastung der Umwelt durch Pestiziide unter die Rubrik „Wirtschaft und Menschenrechte“? Hier ist der Spielraum der Unternehmen, die Verantwortung auf andere, den Staat beziehungsweise die Landwirte, abzuschieben noch größer als in anderen Bereichen.
Mexiko ist bekanntlich die Wiege des Mais und das Zentrum seiner genetischen Vielfalt. Daraus, so sollte man denken, ergibt sich ein natürliches Hemmnis, dort transgene Maissorten auszubringen. Die Gefahr einer genetischen Verunreinigung der bodenständigen Sorten, die auch als Reservoir für züchterische Verbesserungen dienen, ist zu groß. Die transnationalen agroindustriellen Unternehmen sind jedoch anderer Meinung. Das in Mexiko geltende Moratorium für die Ausbringung von transgenem Mais wurde systematisch ausgehöhlt und 2009 mit der Genehmigung einer experimentellen Aussaat gekippt. Damit war die Industrie dem mittelfristigen Ziel einer kommerziellen Freisetzung bedeutend näher gekommen. Im Mai 2012 verfügten Bayer Cropscience, Syngenta, Monsanto, Dow Chemical und Dupont-Pioneer bereits über 17 Genehmigungen für Pilotvorhaben als Vorstufe zum kommerziellen Anbau von transgenem Mais auf etwa zwei Millionen Hektar bewässerter Ackerfläche. Doch diese Pläne wurden zunächst durchkreuzt, als es einer Gruppe von 53 Aktivisten gelang, ein gerichtliches Verbot der Aussaat von transgenem Mais zu erreichen. Ihre Klage richtete sich gegen die mexikanischen Behörden wegen offensichtlicher Mängel im Biosicherheitsgesetz, das keine Garantie gegen die unkontrollierte Ausbreitung der Transgene darstellt.

Angesichts der seit Jahren bestehenden katastrophalen Menschenrechtssituation in Mexiko müssten eigentlich die am 19. Januar 2000 verabschiedeten und bis heute gültigen Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung zur vollen Anwendung kommen. Dort heißt es unter anderem: „Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression ... oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden.“ Hervorzuheben ist, dass also nicht nur Kriegswaffen (Schusswaffen und ähnliches) erfasst sind, sondern auch „sonstige Rüstungsgüter“, und dass hier nicht etwa ein Embargobeschluss durch internationale Gremien gefordert wird, sondern von einem „hinreichenden Verdacht“ die Rede ist. Doch „hinreichender Verdacht“ unterliegt der Deutungshoheit der Bundesregierung. Da spielen detaillierte Belege, die in den Berichten mexikanischer Menschenrechtsorganisationen ebenso zu finden sind wie bei Amnesty International  und Human Rights Watch, offenbar keine Rolle.
Diese Deutungshoheit wird zu zynischer Ignoranz angesichts der Tatsache, dass Rüstungsexporte nicht nur toleriert (und genehmigt), sondern aktiv gefördert werden. Dazu zählt das Einfliegen von Dirk Kraus, Militärattaché an der Deutschen Botschaft in Mexiko, nach Stuttgart, der am 13. November 2012 vor Vertretern der Rüstungsindustrie über „Marktumfeld und Chancen“ in Mexiko referierte. Ähnlich zu werten sind Veranstaltungen der CAMEXA, bei denen sie die deutsche Industrie mit Vertretern des mexikanischen Verteidigungsministeriums zusammenbrachte.
Verbindlich klingende Rüstungsexportrichtlinien werden „flexibel“ ausgelegt und kommen de facto nicht zu Anwendung. Exportbeschränkungen kamen in der Vergangenheit nur zustande, wenn der öffentliche Druck zu groß wurde. Ähnlich verhält es sich mit der Anwendung anderer verbindlicher oder freiwilliger Richtlinien: Ihre Durchsetzung braucht eine gut organisierte, widerständige Zivilbevölkerung.

Peter Clausing arbeitet bei México via Berlín e.V. (http://mexicoviaberlin.org/) und ist in der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko (www.mexiko-koordination.de/) engagiert.