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Alte Rezepte, neu verpackt

Zur Drogenvereinbarung bei den Friedensverhandlungen in Kolumbien

Mit allgemeinem Wohlwollen wurde es Mitte Mai des Jahres aufgenommen, dass die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla im Rahmen der aktuell laufenden Friedensverhandlungen ein Kommuniqué über ihre gemeinsamen Vorstellungen in Bezug auf die Drogenproblematik veröffentlichten. Nach der Vereinbarung über die Landfrage und über politische Partizipation ist die Übereinkunft über die Drogenproblematik ein weiterer Fortschritt der Friedensgespräche, die in Cuba geführt werden. In der Tat erstaunt der Text, bewertet man ihn aus der Perspektive, dass er ein konzertiertes Schriftstück zweier Kontrahenten ist. Allerdings kommt er von den alten Rezepten in der Drogenfrage nicht los.

Bettina Reis

Die Übereinkunft über die Drogenproblematik ist Teil einer „Allgemeinen Vereinbarung über die Beendigung des Konflikts und den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens“ in Kolumbien, das Drogenthema ist Punkt 4 der Verhandlungsagenda. „Wir sind zu einem Einverständnis über die drei Unterpunkte von Punkt 4 gekommen“, verlautbaren Regierung und FARC-EP in ihrem mehrseitigen Kommuniqué vom 16. Mai via Havanna. Diese drei Punkte beziehen sich auf Substitutionsprogramme für illegale Drogenpflanzungen und umfassende Entwicklungspläne mit Teilhabe der Gemeinden beim Konzipieren, Ausführen und Evaluieren dieser Programme sowie die ökologische Sanierung von betroffenen Gebieten, Programme zur Prävention von Drogenkonsum und für öffentliche Gesundheit sowie die Lösung des Phänomens der Produktion und Kommerzialisierung von Rauschgiften.

Im Vorspann der gemeinsamen Erklärung wird zunächst festgestellt, dass der bewaffnete Konflikt in Kolumbien älter als das Drogenproblem ist und andere Ursachen hat. Des Weiteren wird festgehalten, dass der illegale Anbau von Drogenpflanzen in Kolumbien mit der Existenz von kriminellen Organisationen des Rauschgifthandels zu tun hat und mit Armut, Marginalität und der schwachen Präsenz staatlicher Institutionen verknüpft ist. Ebenfalls wird festgehalten, dass Drogenanbau, -produktion und -vermarktung den bewaffneten Konflikt „durchdrungen, genährt und finanziert“ haben. Um die Grundlagen für den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens in Kolumbien zu verankern, sei es – unter anderem – notwendig, eine „definitive Lösung“ für das Drogenproblem zu finden, was Anbau, Produktion und Kommerzialisierung betrifft. „Wir streben ein Land in Frieden und ohne das Problem illegaler Drogen an“, wird ausdrücklich beteuert. 

In der Drogenvereinbarung von Guerilla und Regierung wird des Öfteren die Notwendigkeit „neuer Sichtweisen“ unterstrichen, um die Ursachen und Konsequenzen des Drogenproblems zu behandeln. Die Lage der vom Drogenanbau betroffenen Landgemeinden soll verbessert, der Drogenkonsum als Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit behandelt und der Kampf gegen die Organisationen des Rauschgifthandels intensiviert werden. Darunter wird auch das Vorgehen gegen illegale Finanzen und Geldwäsche, Korruption und den Handel mit chemischen Zusatzstoffen für die Drogenproduktion verstanden. Die „schwächsten Glieder der Kette des Rauschgifthandels“ (PflanzerInnen und KonsumentInnen) sollen „differenziert“ behandelt werden, worunter vermutlich zu verstehen ist, dass sie weniger kriminalisiert werden sollen als bisher. Dies wäre ein wichtiger Schritt, da die aktuelle Linie der Drogenbekämpfung vor allem diese „schwächsten Glieder der Kette“ trifft. 

Sicherlich ist es ein Verhandlungserfolg, dass sich die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla auf einen gemeinsamen Text über die Drogenproblematik einigen konnten. Eine gründlichere Analyse weckt jedoch Zweifel, ob die darin formulierten Ziele und Handlungsvorschläge wirklich „neuen Visionen“ und Ansätzen in Sachen Drogenpolitik entsprechen. Denn das erklärte Ziel einer „definitiven Lösung“ für Kolumbiens Drogenprobleme ist in unerreichbarer Ferne, damit wird lediglich die vielleicht schöne – aber unrealistische – Vorstellung einer „Welt ohne Drogen“ vorgegaukelt. Für Ricardo Vargas, einen langjährigen Kenner von Kolumbiens Drogenszenarium, spiegelt sich im Kommuniqué von Regierung und Guerilla der altbekannte prohibitionistische Ansatz wider. „Alte Rezepte in neuem Gewand“ werden präsentiert, so Vargas. Statt auf die Fortschritte bei Ansätzen zur Regulierung und Schadensbegrenzung einzugehen, beharre man auf dem Prinzip des Drogenverbots, also dem Mechanismus, der den Rauschgifthandel erst wettbewerbsfähig und lukrativ macht.1 

Im ersten Unterpunkt der Drogenvereinbarung geht es um den illegalen Drogenanbau und dessen Substitution (Ersetzen) durch Programme alternativer Entwicklung. Vor der Substitution muss jedoch in jedem Fall die komplette Vernichtung der Drogenpflanzungen (konkret: Koka) erfolgen. Diese soll möglichst manuell geschehen, also durch das Ausreißen der Kokasträucher. Bei allen Maßnahmen sollen – wie auch immer – „die Menschenrechte, die Umwelt und das ‚gute Leben' (buen vivir)“ berücksichtigt werden. Falls mit Gemeinden keine Einigung über die Ausrottung der Koka erzielt wird, wird diese von der Regierung getätigt, der Pestizideinsatz mittels Sprühflugzeugen ist dabei nicht ausgeschlossen (die FARC beharrt laut Kommuniqué in jedem Fall auf der manuellen Kokavernichtung). Laut Text wird auf die Partizipation der Gemeinden beim Schaffen von Alternativen großer Wert gelegt, dabei ist ein „territorialer Ansatz“ Richtlinie. Die Unterstützung der Regierung wird jedoch nur erfolgen, wenn die Gemeinden alle eingegangenen Verpflichtungen – wie etwa, nicht wieder Koka anzupflanzen – einlösen. 

Eine wichtige Komponente der Drogenvereinbarung stellt ein Programm zur Minenräumung dar, das nach einem endgültigen Friedensvertrag in Gebieten, die mit Landminen und nicht explodierter Munition verseucht sind, durchgeführt werden soll. Dazu zählen auch Flächen mit Drogenfeldern. Letztendlich ist Kolumbien ein Land im Krieg: Auch in einer eventuellen Postkonfliktphase kann die Ausrottung von Kokapflanzen noch eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten. 

Ricardo Vargas, der eine Analyse der Drogenvereinbarung für das Transnational Institute in Amsterdam verfasst hat, macht auf die Defizite des Textes beim Thema Substitution und alternative Entwicklung aufmerksam. Schließlich werde bei dem Versuch, „illegale“ durch „legale“ Kulturen zu ersetzen, kein Neuland betreten. Schon oft sind Programme „alternativer“ Entwicklung gescheitert und die Armut – der eigentliche Motor für das Anpflanzen von Koka, Schlafmohn oder Marihuana – wurde damit nicht überwunden. Vargas kritisiert, dass der Text nicht auf Unterschiede der für den Drogenanbau genutzten Flächen eingeht. Diese sind wegen ihrer Bodenqualität oder der mangelnden Infrastruktur für legale landwirtschaftliche Produktion und Vermarktung oft gar nicht geeignet. Auch kann es sich um fragile Gebiete handeln, die Maßnahmen des Naturschutzes erfordern. Ebenso findet sich im Text kein Hinweis darauf, dass konfiszierte Ländereien von Narcos, die bessere Voraussetzungen für Produktionsprojekte bieten, vom Staat für Programme alternativer Entwicklung zur Verfügung gestellt werden. 

Für Vargas bleibt der in der Drogenvereinbarung präsentierte territoriale Ansatz Rhetorik, solange sich das Verständnis von Territorium nur auf die Kokasituation reduziert. Die Tatsache, dass sich die geplante Beteiligung der Gemeinden nur auf die Substitutionsprogramme beschränke, zeige, dass es eigentlich „nur um die Koka geht, die ausgerottet werden muss“. Ein wirklich territorialer Ansatz müsste der verarmten Bevölkerung der Kolonisierungsgebiete sowie Indigenen und AfrokolumbianerInnen ein Mitspracherecht über die integrale Nutzung ihrer Lebensräume – einschließlich ihrer Reichtümer – einräumen. 

Das Thema Drogenkonsum wird im zweiten Unterpunkt der Vereinbarung abgehandelt und ist sehr allgemein gehalten. Es wird nicht zwischen gelegentlichem Drogenkonsum und Abhängigkeit unterschieden und keine Differenzierung der unterschiedlichen Drogen (wie Kokain, Cannabis, Ecstasy etc.) vorgenommen. Insgesamt sei festzustellen, dass die Modelle zur Schadensreduzierung und ihre Bedeutung für eine Drogenstrategie, die auf den Menschenrechten basiert und den Drogenkonsum als Problem der öffentlichen Gesundheit akzeptiert, nicht anerkannt werden, so Vargas. 

Auch der dritte Unterpunkt der Vereinbarung, bei dem es um die Herstellung und Vermarktung von Drogen – also den Rauschgifthandel – geht, ist ähnlich allgemein formuliert. Der Text verspricht, „mit neuen Strategien“ im alten Stil weiterzumachen: den Kampf gegen das organisierte Verbrechen und Korruption zu führen, gegen Geldwäsche vorzugehen, den Import und die Produktion chemischer Zusatzstoffe zu kontrollieren, „effektiv“ die Ländereien von Drogenbossen zu konfiszieren etc. 

Was verspricht also die gemeinsame Drogenvereinbarung von Regierung und FARC, um auf dem Weg zum Frieden – inklusive der Drogenfrage – weiterzukommen? Ricardo Vargas zieht eine nüchterne Bilanz. Der Text verschleiert, dass die Guerilla zwar auch im Drogengeschäft mitmischt, aber nicht der einzige Akteur – und eben nur ein Teil des Problems – ist. Die wichtigste Absicht der kolumbianischen Regierung sei es, so Vargas, die Beteiligung der Guerilla an der Drogenökonomie zu unterbinden. Diese agiert vor allem am Anfang der Drogenkette – beim Kokaanbau und der Herstellung der Kokapaste –, sie leistet lukrative Schutz- und Sicherheitsdienste. Vargas prognostiziert, dass – auch ohne FARC – die kriminelle Wirtschaft ihre Strukturen zur Verarbeitung, für den Transit und den Export des Rauschgifts zu Zwischenstationen oder Märkten weiterhin aufrechterhalten kann, unabhängig davon, wer die Sicherheit in den Produktionszonen kontrolliert. Keine guten Aussichten also für ein „Kolumbien ohne Drogen“!
 

  • 1. Ricardo Vargas M., Drogas, conflicto armado y paz. Qué aportes hace el acuerdo sobre drogas entre el Gobierno y las FARC para poner fin al conflicto armado en Colombia. Transnational Institute, Informe sobre políticas de drogas No. 42. Julio de 2014

Quellen des Artikels: Comunicado del acuerdo sobre cultivos ilícitos. El Tiempo, 16.05.2014