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Kann Vandalismus politisch sein?

„Multi Viral“ – das neue Album von Calle 13

Sie haben ein Anliegen. Sie sind absolut populär. Sie sind die all-(latin)american Superpopstars des 21. Jahrhunderts – die ehemaligen Reggaetoneros Calle 13 aus Puerto Rico. Das Geniale am lateinamerikanischen Pop: Da haben auch Leute Erfolg, die dezidiert politische, linke Texte verbreiten.

Britt Weyde

19 Mal den Grammy Latino sowie zwei Grammys hat die Band bisher eingeheimst, dabei haben sie Messages noch und nöcher, bis zum Pamphlet. Das ist manchmal etwas dick aufgetragen, aber so kennen und mögen wir sie ja. Dieses Mal geben sich einige internationale Stars und linke lateinamerikanische Kulturgrößen die Ehre bei dem fünften Studioalbum von Calle 13, dem ersten, das auf ihrem eigenem Label und lediglich digital erschienen ist. Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano spricht ein zärtliches Intro, der cubanische Trovador Silvio Rodríguez singt mit seinem unverwechselbaren Organ den Refrain des romantischen „Ojos Color Sol“, Tom Morello von der US-Band Rage against the Machine spielt die rockige Gitarre beim titelgebenden Stück des Albums „Multi Viral“. 

Pünktlich mit Erscheinen des Albums am 1. März begann in Buenos Aires die Lateinamerikatour der Band, die live mittlerweile ein Trio ist, da neben den Brüdern Réne Pérez (alias „Residente“) und Eduardo Cabra („Visitante“, seines Zeichens Komponist und Producer) nun auch Schwester Ileana Cabra zum festen Bandkern gehört. Jeder, der ein Konzertticket kauft, bekommt eine download-Karte für das digitale Album. Dass es danach hochgeladen und kopiert wird, gehört zur kalkulierten Strategie der „multi-viralen“ Weiterverbreitung des Albums, die auf klassische Werbekampagnen weitestgehend verzichtet.

Laut Texter und Leadsänger René Pérez sind die Lyrics auf dem neuen Album „existentieller“ als früher. Themen wir Leben und Tod spielten nun eine größere Rolle in seinem Leben. In „Adentro“, einer düsteren und epischen Tirade gegen Konsumgesellschaft, Narcogewalt und deren Verherrlichung im Hiphop, will Residente seine eigenen Widersprüche thematisieren, da auch er nicht gegen protzige Statussymbole gefeit sei: „Unsere Konsumgesellschaft gibt selbst in den heutigen Krisenzeiten den exzessiven Luxusgütern so viel Bedeutung, dass sich viele Jugendliche sprichwörtlich dafür umbringen lassen“, erklärt er seine Botschaft des Stücks. Im dazugehörigen Videoclip wird der Vokalist gezeigt, wie er mit einem Baseballschläger seine Luxuskarre, einen sündhaft teuren Maserati, zerstört und in Flammen aufgehen lässt: Vandalismus trifft Consciousness, was jedenfalls schön anzusehen ist. 

Im Juli vergangenen Jahres traf sich René Pérez mit Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London. Zusammen mit der Wiki-Leaks-Ikone nahmen Calle 13 das titelgebende Stück „Multi Viral“ auf, in dem die Manipulation einiger Medien kritisiert wird. 

Für den dubbigen Reggae-Track „Perseguidos“ wurde der französische Sänger Biga Ranx mit ins Boot geholt. Musikalisch überrascht die zweite Singleauskopplung, „El Aguante“: Keltische Flöten und Fideln treffen auf digitale Bässe und wahnwitzige Reime über Dinge, Personen, Umstände, die der moderne Mensch ertragen muss. Warum diese irisch anmutende Ode an das „Aushalten“? „Irland hat den Ruf, fröhliche, trinkfeste und vor allem im Widerstand erprobte Menschen zu beheimaten“, erläutert René Pérez, „deshalb die Analogie zu allem, was wir in Geschichte, Gegenwart und Zukunft aushalten müssen“. 

Neben den aufwändig produzierten Videos zu einzelnen Stücken, den fetten Bässen, streichergesättigten Arrangements sowie den beteiligten Promis ist und bleibt die wichtigste Zutat das, was Calle 13 schon immer auszeichnete: die begnadeten Textsalven von Sänger/Rapper René Pérez, die in Gänze nur von des Spanischen mächtigen Fans genossen werden können. Und alle, die schon das Gänsehautstück „América“ der letzten Calle 13 CD liebten, werden auch von „Multi Viral“ begeistert sein.

Calle 13, „Multi Viral”, El Abismo 2014

Videoclip von „Adentro”: www.youtube.com/watch?v=HR3MI-Ukldc