ila

Bittersüßes Abdriften

Die neue CD „Al Garete“ von Josué Avalos
Britt Weyde

Es gibt sie, die Musik, zu der man gut schreiben kann, obwohl man die Texte versteht (die nicht im Entferntesten flach sind). Diese Musik, die auch so herrlich zum Spätherbst bzw. zum Fastwinter passt. Akustische Instrumente (Gitarre, Akkordeon, Bass, Percussion) und gefühlvolle, aber niemals billige Inhalte. So lief die zweite CD des mexikanischen Kölners Josué Avalos, „Al garete“ die letzten Wochen des Jahres 2013 zur Schreibtischarbeit. Doch an dieser Stelle soll sie jetzt im Mittelpunkt stehen und deshalb wurde zuletzt noch mal genauer hingehört. Und Mann, ja, diese Musik inspiriert nicht nur, sie rührt an. Ruft Erinnerungen wach, holt irgendwo von ganz hinten Momente hervor, etwa die erste beglückende Begegnung mit der Musik des cubanischen Trovadors Silvio Rodríguez, eines ganz Großen seines Metiers. Und wirklich, bei Josué Avalos gibt es einige Stücke, die mit ihren Melodielinien, ihrer melancholischen Grundierung und auch in der Sprache an den cubanischen Meister erinnern, dabei aber absolut eigenständig sind: etwa „Al garete“ oder auch „Enlace“.

Bei Track 5 schon wieder ein Beamen in die Vergangenheit, wohin? Nun in die frühen 1990er Jahre, zu den ersten Alben von Element of Crime auf Deutsch, z.B. „Weißes Papier“, wo es Schwermut satt, eine feinsinnige Sprache und viel Innenwelt gab (das war noch lange vor Herrn Lehmann). Ja, und daran erinnert „Peque“, ein Stück mit schönem Akkordeon-Intro (wobei Josués Stimme tausendmal sonorer und besser ausgebildet ist als diejenige des ehemaligen Punkrockers Sven Regener). Hier singt Josué über das Liedschreiben über und für eine gerade in die Brüche gegangene Liebe; er sinniert, wie dieses Lied zu sein hat, von der Melodie, der Instrumentierung, natürlich auch vom Text her, subtil, aber gleichzeitig klar erkennbar soll sich die Verflossene angesprochen fühlen und letztlich aufgrund des famosen Songs doch endlich erkennen, dass die vergangene Beziehung etwas Besonderes war, was sie nicht so einfach dahingeben sollte. Ein zartes „Wish you were here“ wird eingeflochten, fein gemacht.

Auf Josués facebook-Seite gibt es einen kleinen Text zu seiner neuen CD: „‚Al garete' – (‚treiben', aber auch ‚scheitern') ist ein sehr lateinamerikanischer Ausdruck. Er kündet von dem Verlorenen, dem Scheitern oder dem Verlust von etwas und sogar von einem selbst.“ Das trifft es. Ein Großteil der Texte ist auf der Suche, hier singt keiner, der vorgibt, ein Bescheidwisser zu sein. Warum ist diese Welt so merkwürdig, so dass Juanito nur ein ärmliches und kurzes Leben beschert wird, während Johannes im Überfluss und in Einsamkeit aufwächst („Los 4 Juanes“). Oder immer diese „Fehlversuche mit jener süßen und seltsamen Erfindung namens Liebe“ („El ecuador de esta noche“). Trotz der Unsicherheit und der Rückschläge, von denen die Lieder handeln, ist der Grundton doch hoffnungsfroh.

Cover und Booklet sind in schwarz und bordeauxrot gestaltet, gefaltete Papierschiffchen trudeln daher. Da das Schiffchen aus Papier ist, wirkt das Ganze tröstlich und erinnert an die Kinderwahrnehmung: Die Welt ist groß, aufregend, irgendwie undurchschaubar, aber ich werde sie entdecken und mir aneignen. Damit ist keine Naivität gemeint, sondern ein gewisses Urvertrauen, ein überlebensfähiger Optimismus, was sich auch in der Musik widerspiegelt. Auf Josué Avalos' CD wird die Vielfalt und Tiefe seiner musikalischen Kenntnisse deutlich, verschiedene Folklore-Stile geben sich mal ein Stelldichein mit Flamenco (treibend, dringlich: „Talismán“), mal mit Blues („El ecuador de esta noche“ mit amüsanter inhaltlicher und musikalischer Wendung). Der Vollblutmusiker, der klassische Gitarre studiert und in Mexiko in Folkloregruppen gespielt hat, verfügt über einen reichen musikalischen Erfahrungsschatz. Und dabei ist der Mann noch keine 40.

Im Rheinland kennen viele Josué Avalos, der kurz nach der Jahrtausendwende nach Deutschland kam und seitdem in Köln lebt, von „La Papa Verde“ und „Los Chupacabras“, beide ausgemachte Party-Bands. Seine nachdenklichere Seite zeigte er schon mit den musikalischen Lesungen des Colectivo Tonali, z.B. zum Thema der Frauenmorde in Ciudad Juárez, und auf seinem ersten Solo-Album „Escafandra“. Im Interview mit der ila (ila 357) erzählte der Sänger, dass alles, was ihn umtreibe, auch automatisch in seine Lieder einfließe. Und da Josué Avalos ein politisch sensibler und engagierter Mensch ist, hat er auch einige Stücke, bei denen der zeitkritische Hintergrund auf der Hand liegt: In „Fronteras de agua” wird der Abschied eines Mannes von seiner Familie erzählt, der „in den Norden“ zum Arbeiten geht. In die USA? Nein, hier ist Europa gemeint, denn zum einen spielt der arabische Gesang zu Beginn des Liedes darauf an, zum anderen liegt zwischen Abschied und Ziel das Meer, in dem schon so viele ertrunken sind. „Sag den Kindern, dass ich zu der Möwe und der Note geworden bin, wenn der Wind pfeift“.

Und in „Al garete” schimmert wieder diese Ratlosigkeit durch über eine Welt, die „ziellos dahin treibt, ohne erkennbaren Grund, den man entziffern könnte“. Vor lauter Erinnern und Abdriften beim Zuhören sind die zehn Stücke des Albums schnell vorbei. Egal, noch mal.