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Die Last der neoliberalen Steuerreform

El Salvador: Warum der finanzielle Handlungsspielraum der Regierung Funes so eng ist

Während der 20 Jahre, in denen in El Salvador die rechtsextreme ARENA-Partei regierte (1989 bis 2009), wurde eine wahrhaft mustergültige „Strukturanpassung“ umgesetzt, die den Staat schwächte und die großen nationalen und ausländischen Unternehmen stärkte. Diese Wirtschaftspolitik hatte drei Bestandteile: die Privatisierung von 32 öffentlichen Unternehmen, die Liberalisierung der Wirtschaft (d. h. der Preise, der Zinssätze und des Wechselkurses) und eine regressive Steuerreform, also eine, die diejenigen, die die höchsten Gewinne bzw. Einkommen haben, entlastete.

César Villalona

Die wichtigsten Elemente der neoliberalen Steuerreform in El Salvador waren folgende: Die Exportsteuern auf Kaffee, Zucker und Krabben, auf Schenkungen, Erbschaften und Vermögen wurden abgeschafft. Die Gewinnsteuern für große Unternehmen wurden von 35 auf 25 Prozent gesenkt, desgleichen die Steuern auf Firmenverkäufe. Die Importzölle wurden gesenkt. Es wurden Gesetze erlassen, nach denen Tourismus-, Saatgut- und andere Unternehmen ganz von Steuern befreit werden. Um Teile der Einnahmen, die dem Staat auf diese Weise verlorengingen, zu kompensieren, führten die ARENA-Regierungen eine Mehrwertsteuer (IVA = Impuesto de Valor Agregado) von zunächst 10 Prozent ein, die später auf 13 Prozent erhöht und auf Grundnahrungsmittel, Obst, Gemüse, Milch und Medikamente ausgedehnt wurde. Außerdem wurden spezielle Steuern auf Kraftstoffe, alkoholische Getränke, Tabak und Waffen eingeführt. Insgesamt reduzierte das Strukturanpassungsprogramm das Gewicht des Staates in der Wirtschaft, indem es staatliche Unternehmen und Einnahmequellen abschaffte. Das staatliche Hoheitsrecht der Geld- und Wechselkurspolitik entfiel durch die Dollarisierung. Zwar erhöhte sich das Steueraufkommen leicht von 10 auf 13 Prozent, aber gleichzeitig wurde das Steuersystem ungleicher und regressiv.

Vor dem Krieg (1980 bis 1992) trugen die Unternehmer und Reichen mit 50 Prozent Steuern auf ihre Gewinne und Einkommen und durch die Steuern auf ihre Exporte von Kaffee, Zucker und Krabben, auf ihre Vermögen und auf Verkäufe von Eigentum zum Staatshaushalt bei. Die anderen 50 Prozent bezahlte die Bevölkerungsmehrheit als Lohnabhängige und als KonsumentInnen über Lohn- und indirekte Steuern. Am Ende der letzten ARENA-Regierung (2009) erhielt der Staat seine Einnahmen zu 84 Prozent aus Lohn- und indirekten Steuern, während nur 16 Prozent aus Unternehmenssteuern und den Steuern auf Eigentumstransaktionen der Reichen kamen.

Dergestalt ist die lohnabhängige Bevölkerung El Salvadors, deren Einkommen 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachen, die Hauptstütze der Staatseinnahmen, während die Unternehmer, die 61,3 Prozent des BIP kontrollieren, den kleinsten Teil des Steueraufkommens beitragen. Die gegenwärtige FMLN-Regierung unter Präsident Mauricio Funes, die bei Amtsantritt (Juni 2009) eine ruinierte Wirtschaft mit einem um 3,1 Prozent geschrumpften Volkseinkommen, einer erhöhten Arbeitslosigkeit und einem Haushaltsdefizit von 1,15 Milliarden US-Dollar, was 5,7 Prozent des BIP entspricht, vorfand, hat Maßnahmen ergriffen, um den regressiven Charakter des Steuersystems, das sich nach wie vor auf die indirekten und die Lohnsteuern stützt, zu verändern.

Ende 2009 brachte die Regierung Gesetzentwürfe über die Besteuerung von Eigentumstransfers ein, begann damit, die Steuerverwaltung zu verbessern, und führte eine Steuer auf die Registrierung von Fahrzeugen, Booten und Schiffen ein. Diese Entscheidungen haben gleichwohl den regressiven Charakter des Steuersystems nicht verändert, zumal sie begleitet wurden von anderen Maßnahmen, die den Konsum betreffen. Der Import von Maschinen und der Handel mit gebrauchten Maschinen, Gebäuden und Grundstücken wurden mit Mehrwertsteuer belegt, auf im Land hergestellte oder importierte alkoholische Getränke werden zehn Prozent Steuern und auf Softdrinks fünf US-Cent pro Liter erhoben. Ende 2011 befreite die Regierung 82 000 Lohnabhängige, die zwischen 317 und 503 US-Dollar im Monat verdienen, von der Einkommenssteuer, erhöhte diese von 25 auf 30 Prozent bei Monatseinkommen über 6200 US-Dollar.

Die Steuern auf Gewinne über 150 000 US-Dollar im Jahr wurden um fünf Prozent angehoben, Dividenden wurden mit fünf Prozent Steuern und die Bruttogewinne der Unternehmen, die zwei Jahre lang Verluste erklärt haben, aber weiter arbeiten, mit einem Prozent Steuern belegt. Mit all diesen Maßnahmen hat die Regierung Funes das Steueraufkommen auf 15 Prozent erhöht und 2012 das Haushaltdefizit auf 826 Millionen US-Dollar gesenkt, was 3,4 Prozent des BIP entspricht. Heute tragen die Unternehmer 18 Prozent zum Steueraufkommen bei (zwei Prozent Steigerung) und sind mit 60 Prozent am BIP beteiligt, während die Bevölkerungsmehrheit 82 Prozent beisteuert und 25 Prozent des BIP einnimmt. Die Veränderung ist also sehr gering gewesen, denn das Steuersystem ist immer noch ungerecht und das Haushaltsdefizit hoch.

Die großen Unternehmer und ihre Partei, ARENA, sagen, die Regierung habe ein Haushaltsdefizit, weil sie viel ausgebe und die Wirtschaft nicht wachse. Das ist nicht sicher, denn die Besteuerung in El Salvador ist mit 15 Prozent eine der niedrigsten in Lateinamerika, wo der Durchschnitt bei 25 Prozent liegt, und das Wirtschaftswachstum schlägt sich vor allem in höheren Unternehmensgewinnen nieder. In den Jahren 1992 bis 1995 ist die Wirtschaft durchschnittlich um sieben Prozent im Jahr gewachsen. 1995 gab es dann einen Einbruch und die damalige ARENA-Regierung erhöhte prompt die Mehrwertsteuer um drei Prozent.

Die wirklichen Ursachen des anhaltenden Haushaltsdefizites sind die folgenden: Erstens ist das Steuersystem nach wie vor regressiv. Zweitens hinterziehen die Unternehmen in erheblichem Umfang Steuern. Die letzte Untersuchung der Regierung dazu („El Salvador verändert sich“ von 2013) hat ergeben, dass die Steuerhinterziehung 2010 bei 33 Prozent lag, was 1,4 Milliarden US-Dollar entsprach, also nur 67 Prozent der nach dem Gesetz zu erwartenden Steuereinnahmen, entsprechend 2,8 Milliarden US-Dollar, eingetrieben wurden. Der Umfang der Steuerhinterziehung war mithin um 482 Millionen US-Dollar höher als das Haushaltsdefizit. Mit anderen Worten, gäbe es keine Steuerhinterziehung, wäre der Staatshaushalt nicht nur ausgeglichen, sondern könnte erhöht werden. Dazu muss noch gesagt werden, dass die Bevölkerungsmehrheit keine Steuern hinterziehen kann, denn die Firmen, bei denen sie beschäftigt sind, behalten die Lohnsteuer ein und kassieren die Mehrwertsteuern, wenn sie ihre Waren und Dienstleistungen verkaufen.

Drittens sind viele Unternehmen mit den Steuern in Verzug. Das Finanzministerium hat unlängst mitgeteilt, dass 955 Steuerzahler dem Staat insgesamt 418 Millionen US-Dollar schulden. Dieser Betrag ist höher als jener der staatlichen Subventionen auf Elektrizität, Gas, Personennahverkehr und Wasser. Allein zwei Unternehmen schulden 100 Millionen US-Dollar.

Viertens gibt es 26 Gesetze, die die großen Unternehmen vollständig befreien. Dazu zählen das Gesetze über die Freien Produktionszonen (Maquiladoras), über den Saatguthandel und das Tourismusgesetz. Die Analyseabteilung des salvadorianischen Parlamentes, die Haushaltsfragen untersucht, erklärte, dass diese Gesetze eine legale Steuerhinterziehung erlauben, die man dann Steuerumgehung nennt und die die Regierungen in den Jahren 2001 bis 2009 insgesamt etwas mehr als neun Milliarden US-Dollar gekostet hat. 2011 hat die Steuerumgehung 1,2 Milliarden US-Dollar ausgemacht, was doppelt so viel ist wie die gesamten öffentlichen Investitionen im Gesundheits- und Bildungsbereich.

Fünftens ist da die von den ARENA-Regierungen geerbte Staatsverschuldung. In den Jahren 2010 bis 2012 hat die Funes-Regierung 2,9 Milliarden US-Dollar an Schuldendienst geleistet, was 33 Prozent der Staatseinnahmen in diesen drei Jahren entspricht. Alles in allem: Dafür zu sorgen, dass die Reichen mehr bezahlen, ist der einzige Weg, der der Regierung bleibt, um ihr Haushaltsdefizit abzubauen, ihre Verschuldung zu bremsen und die öffentlichen Investitionen zu erhöhen.

César Villalona ist Wirtschaftswissenschaftler, der in Venezuela und El Salvador forscht und publiziert.

Literatur zum Thema: 

Aus: Que pague más quien gana más. El problema fiscal en el gobierno. (Wer mehr verdient, soll mehr bezahlen. Das Steuerproblem der Regierung.), Equipo Maíz, 8. Oktober 2010, San Salvador. Übersetzt, bearbeitet und leicht ergänzt von Eduard Fritsch.