ila

Umweltidentität braucht öffentliche Räume

Interview mit Luis Carvajal über die Umweltprobleme in Santo Domingo

Wenn wir etwas über die Umweltprobleme der Hauptstadt und des Landes wissen wollten, müssten wir mit Luis Carvajal reden, sagten uns Freunde in Santo Domingo. Der Vorsitzende der Umweltkommission der Nationaluniversität und der Akademie der Wissenschaften sei seit 20 Jahren eine anerkannte Autorität in Umweltfragen und verfolge zudem, anders als die PolitikerInnen, einen partizipativen Ansatz. Gemeinsam mit den Leuten in den Barrios arbeite er an konkreten Verbesserungen der Umwelt- und Lebenssituation.

Hans-Ulrich Dillmann
Gert Eisenbürger
Gaby Küppers

Was sind die wichtigsten Aktivitäten der Umweltkommission der Universität und des Umweltteams der Academia de Ciencias in Santo Domingo?

Am wichtigsten sind die Umweltaktionspläne in den Stadtvierteln und Gemeinden. Wir bitten die Leute in den Barrios, Listen mit ihren spezifischen Problemen im Bereich Umwelt zu erstellen und zu überlegen, welche gravierender sind und welche weniger, was die Ursachen sind und wer oder was dafür verantwortlich ist.

In den meisten Vierteln stehen ganz oben auf der Liste der Lärm, dann die Abfallentsorgung, das Trinkwasser und die Wasserqualität generell. Oft gibt es in dem Stadtviertel Betriebe, illegal oder manchmal auch ganz legal, die die Umwelt im Barrio stark belasten. Die Frage der Legalität ist für uns von untergeordneter Bedeutung, das ist die Herangehensweise des Staates, der nicht mit den Leuten zu kommunizieren weiß. Die ganze Wirtschaft ist ohnehin überwiegend informell, die Bevölkerung lebt unter höchst prekären Bedingungen. Wir müssen von der Realität der Leute und deren Sichtweise ausgehen.

Steht für Sie dabei die praktische Arbeit im Vordergrund oder betreiben Sie auch wissenschaftliche Forschung zu Umweltfragen?

Wir haben etwas ganz Surrealistisches geschafft. Wir machen etwas, was das System nicht vorsieht. Wir erheben nämlich alle Daten mit den Leuten, wir machen partizipative Forschung. Wir klassifizieren die Information nicht nach dem Kriterium, was für uns als Wissenschafter wichtig ist, sondern was für die Leute relevant ist. Das heißt, wir haben uns den Übergang vorgenommen vom Elfenbeinturm der Wissenschaft zu einem Instrument im Leben der Leute.

Es ist schwierig, zu verstehen, welche Auswirkungen die Handybatterien und andere toxische elektronische Bestandteile haben. Man kann den Leuten nicht mit chemischen und biologischen Formeln kommen. Aber man kann das Thema so angehen, dass sich die BewohnerInnen nützliches und brauchbares Wissen aneignen und handlungsfähig werden. So etwas braucht Zeit.

In der Uni sind alle Projekte zeitlich befristet, das anzuwendende methodologische Instrumentarium ist rigide. Wir haben dagegen flexible Methoden und Validationsmechanismen. Wir haben zum Beispiel mit KaffeeproduzentInnen ein Netzwerk zur Beobachtung des Klimawandels aufgebaut. Keiner unserer Indikatoren gehört zu den allgemein gebräuchlichen. Für uns ist zum Beispiel wichtig, in welchem Moment bestimmte fliegende Ameisen auftauchen oder ausbleiben. Solche Veränderungen registrieren die Leute sehr genau. Mit ihnen haben wir eine große Zahl von Indikatoren zusammengetragen, anhand derer die Leute beobachten. Das ist etwas ganz anderes als die Satellitenbilder und deren Parameter. Der Bauer, der jeden Tag in Kontakt mit der Realität ist, kann ganz andere Informationen liefern. Wir können ihn zu einem wissenschaftlichen Beobachter machen, der am Anfang gar nicht weiß, dass er einer ist. Aber wenn er sieht, wie die Information, die von ihm stammt, behandelt wird, merkt er es schon. Die Information wird veröffentlicht, nicht als Studie der Universität oder der Akademie, sondern als seine Beobachtung.

Können Sie etwas konkreter beschreiben, wie die Datenerhebung in einem Barrio vonstatten geht? Sie gehen hin, machen eine Versammlung...

Nein, nein, so nicht. Erst mal „gehen wir nicht hin“. Bevor wir mit einer Gemeinschaft oder einem Barrio arbeiten, müssen wir sicherstellen, dass wir die Kapazitäten haben, das längerfristig zu machen, also nicht nur einmal, und dazu noch von außen, hinzugehen. Oft entsteht der Kontakt, weil wir zu einem Vortrag oder irgendeinem Umwelttreffen eingeladen werden. Eine Gemeinde nimmt sich beispielsweise vor, einen Umwelttag zu veranstalten und einer schlägt vor, jemanden von der Uni aufs Podium zu setzen. Wir sagen bei solch einer Anfrage, wir kämen gerne, wir sollten uns aber erst einmal zusammensetzen, um zu klären, was es für Probleme gibt. Das heißt, die ersten Vorträge zu lokal besonders gravierenden Umweltproblemen kommen oft von den Leuten selbst. Wir fragen dann nach möglichen Lösungen, diskutieren Alternativen und bieten an, den Prozess zu begleiten, Daten zur Verfügung zu stellen und ähnliches.

Wenn etwa häufig Durchfallerkrankungen auftreten, offerieren wir, die Wasserqualität zu untersuchen. Wenn die Leute über Lärm klagen, schlagen wir vor, ihn mit ihnen zusammen zu messen. Wir generieren Informationen, bieten eine Dienstleistung an. Dann setzen wir uns mit den Leuten hin und sagen ihnen, es sei ihre Sache und Verantwortung, diese Informationen zu nutzen.

Wenn der Organisationsgrad bereits hoch ist, klappt es eigentlich immer. Wir machen dann einen Plan de Acción Barrial (Aktionsplan für das Stadtviertel), kurz Paba. Eine Paba, oder in der dominikanischen Verkleinerungsform Pabita, ist so etwas wie die Siesta. Mit dem Wort spielen wir. Wir treffen uns nach dem Essen, halten ein Schwätzchen, machen Pläne. Die Fragestellungen dabei sind: Um welche Probleme handelt es sich genau? Wer ist dafür verantwortlich? Wie gehen wir das Ganze an? Wer muss mitmachen, damit der Plan erfolgreich umgesetzt werden kann? Was muss zuerst getan werden?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich bei den Pabas die Frauen stärker engagieren als die Männer. Aber wir haben das innerhalb des Teams nicht gendermäßig reflektiert. Unsere Kultur ist von Grund auf machistisch, so ist es auch in den Gemeinden. Dort versuchen wir ein Gegengewicht zu sein. Aber es gibt kein explizites Programm in dieser Hinsicht.

Auf der anderen Seite sind wir auch im Parlament präsent. Ich gehe zu allen Sitzungen des Umweltausschusses. Man hört mir dort zu und respektiert meine Meinungen, weil ich Einfluss in den Barrios habe. Sonst wäre ich Luft für sie. So konnten wir eine Brücke zwischen dem Kongress und den Leuten auf der Straße bauen.

Die meisten Pabas haben wir außerhalb Santo Domingos entwickelt. Das größte Interesse besteht bei den KaffeeproduzentInnen. Das Programm, das wir mit ihnen durchführen, läuft schon 25 Jahre, da kann man die Effekte sehen. Wir haben dafür nie Finanzierungen bekommen. Wir glauben, dass Finanzierungen schlecht sind, weil sie die Prozessbildung verhindern. Und Prozesse sind wichtig für eine Gemeinschaft. Sie muss Kraft schöpfen, um zu laufen. Wenn sie einmal läuft und dann Geld auftaucht, in Ordnung. Aber Projekte dürfen nicht deswegen existieren, weil es Geld gibt. Viele Leute sehen das anders. Wenn ich mit Ausländern rede, verstehen sie meine Haltung oft nicht.

Ich finde es auch wichtiger, die Umweltfrage in die bestehenden Institutionen zu tragen, als neue spezialisierte Institutionen zu schaffen. Umweltprobleme gibt es überall. Wenn jemand an den Abgasen vorbeifahrender Autos leidet, ist das ein Problem der Raumordnung, nicht ein reines Umweltproblem. Da muss man als BürgerIn ran. Wenn diese BürgerInnen Mitglied eines Nachbarschaftsvereins, der Pfarrgemeine oder eines Sportvereins sind, sollen sie das Umweltproblem dort besprechen. Sie sollen die Umwelt aus ihrer jeweiligen Arbeits- und Lebensrealität betrachten, Gesundheitsthemen gehören zum Beispiel auch auf Gewerkschaftsversammlungen. Sonst schafft man „Umwelteliten“. Dann hat man Leute, die ihr Geld damit verdienen, Umweltberatung zu machen, abgetrennt vom Rest der Gesellschaft.

Stellen Sie sich vor, ich sei Bürgermeisterin, und ich fragte Sie: „Professor, was sind die, sagen wir, drei vorrangigen Probleme, die in dieser Stadt zu lösen wären?“

Das erste sind die Machtverhältnisse. Das große Problem der Bürgermeister ist, dass sie die Lösungen suchen wollen. Aber sie müssen die Leute suchen, sie einbeziehen in die Lösung der Probleme. Das ist viel billiger, effizienter und dauerhafter. Gleichzeitig wären die Auswirkungen auf die Lebensqualität enorm, sei es bei Fragen der Ernährung, der Wasserversorgung oder was auch immer. Es ist ein qualitativer Sprung, wenn die Leute beginnen, sich als mitgestaltende BürgerInnen zu verstehen.

Das zweite wäre, die bestehenden Netzwerke von Juntas de Vecinos (Nachbarschaftsräte), die von den Parteien aus Wahlkampfgründen aufgebaut wurden, aufzulösen. Die Kontrolle hat jemand von der PLD (neoliberale Regierungspartei – die Red.) oder der PRD (sozialdemokratische Opposition – die Red.) oder auch jemand von der PRSC – (rechtskonservative Opposition – die Red.) oder einer linken Gruppe. Die politische Debatte wird dorthin ausgelagert und dort werden Seilschaften aufgebaut. Wir haben ein Gesetz zu lokalen Nutzungsplänen, aber das kümmert die lokalen Behörden nicht. Sie finden immer einen Weg, dieses Gesetz zu umgehen. Immer geben sie den großen Lösungen und den großen Investitionen den Vorrang, oder den Lösungen, wo man sofort etwas sehen kann. Mit den Leuten zusammenzuarbeiten ist schwieriger, langsamer und dauert länger.

Ich würde also als Drittes die Vision der Arbeit mit den Leuten ändern. Natürlich muss man eine eigene strategische Vision haben, aber ich würde sie in einen breiten Mechanismus zur BürgerInnenbefragung einbetten und Strukturen schaffen, in denen es wirkliche Entscheidungsbefugnisse der AnwohnerInnen gibt, auch wenn es sich manchmal nur um kleine Fragen handelt. Zum Beispiel kann es doch nicht sein, dass die Barrios nicht selbst entscheiden dürfen, wie oft und wo die Müllautos vorbeifahren, um den Abfall einzusammeln. Da, wo dies probiert wurde, funktioniert es – unabhängig davon, ob es sich um einen gut situierten oder einen extrem marginalisierten Stadtteil im hintersten Winkel handelt. Egal wie arm die Leute sind, ob es in dem Viertel viel Kriminalität gibt oder nicht, wenn die Leute so etwas selbst organisieren, funktioniert es.

Wenn ich in die Barrios gehe, um die Organisierung dort zu unterstützen, bemühe ich mich, dort AktivistInnen zu fördern und finanziere sie gegebenenfalls auch, weil sie bleiben und die Bewegung aufrecht erhalten.

Zu jedem Paba gehört, eine Liste aufzustellen mit allen existierenden Organisationen. Wir haben festgestellt, dass die beständigsten Organisationen in jedem Viertel die Kirche und die Schulen sind. Wenn ich also einen Umweltplan machen will, muss ich diese beiden einbeziehen. Aber wenn ich in eine Schule gehe, muss ich die Kinder und deren Form, sich zu organisieren, respektieren. Ich darf sie nicht instrumentalisieren, ihnen nicht einfach Anweisungen geben. Deshalb muss man eine Verbindung herstellen zwischen Schule, Kirche und Gesundheitszentrum. Aber das ist schwierig, die Gesundheitszentren hier widmen sich nicht der Grundgesundheitsvorsorge, sondern behandeln Kranke.

Finden Sie in der Verwaltung Unterstützung für ihre partizipativen Ansätze?

Es gibt keine Stadtverwaltung, die das Ziel hätte, in einer organisierten Gesellschaft aufzugehen. Dafür müssten sie einen Teil ihrer Macht transferieren. Letztlich würde sie damit an Autorität gewinnen. Es müsste darum gehen, Autorität, nicht Macht aufzubauen.

Ein Beispiel: Der Strand dort drüben ist öffentlicher Raum. Doch in dieser Stadt gibt es keinen öffentlichen Raum, der von allen anerkannt wird. Es gibt hier wunderschöne Orte. Zum Beispiel die Gärten des Nationaltheaters. Da gibt es manchmal kostenlose Theateraufführungen. Wenn ein Stück gratis ist, sollte eigentlich jedeR hingehen können. Aber es gibt Hunderte, ja Tausende Kinder aus den marginalisierten Stadtteilen, die am Theater vorbeikommen, sich aber nie trauen würden hineinzugehen. Das ist den Muchachos aus der Mittelklasse vorbehalten. Wenn ein Jugendlicher aus einem armen Barrio doch reinginge, käme garantiert ein Polizist, der wahrscheinlich selbst aus einem marginalisierten Stadtteil kommt, und ihn anmachte, was er dort zu suchen habe. Und das in einem – eigentlich – öffentlichen Raum.

Das größte Problem, das einer effektiven Umweltpolitik in der Dominikanischen Republik und der gesamten Region entgegensteht, ist, dass die urbanen Zentren, in denen das Kapital zirkuliert und umverteilt wird, immer mehr von Vorstädten umgeben werden, die gar nichts mit ihnen zu tun haben. Es gibt also eine Bevölkerungskonzentration bei gleichzeitig fallender Partizipation der BürgerInnen im wirtschaftlichen und politischen Raum. Wahrscheinlich ist das überall in Lateinamerika so. Wir beginnen darüber zu diskutieren, auch wenn das Wissen noch nicht systematisiert ist. Die Leute kommen aus der fernen Marginalität der Berge und des ländlichen Raums und landen in einer völlig anders gearteten Marginalität. Aus Umweltsicht ist das sehr problematisch. Die Peripherie hat ökonomisch nichts mit dem Stadtzentrum zu tun, die große Mehrheit gehört nirgendwo dazu.

Es gibt keine Räume zur Identitätsbildung. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Immer mehr Gruppen in der Stadt sind vollkommen marginalisiert. Deswegen respektieren sie die Stadt auch nicht als solche, gehen nicht pfleglich mit den Dingen um, fühlen sich nicht als Teil von ihr. Daher rühren viele Probleme, die die Stadt hat.

Uns ist der Umgang mit Müll aufgefallen. Man hat den Eindruck, dass es die Leute überhaupt nicht kümmert, direkt neben Abfällen zu sitzen. Wenn sie aufstehen, lassen sie auch ihre Dosen, Plastiktüten und sonstigen Müll einfach liegen. Es scheint, dass sie weder der Dreck noch die damit verbundene Kontamination irritiert.

Die Umweltidentität bildet sich sehr langsam. Die Dominikaner stammen von zwei Gruppen ab, die mit der Umwelt hier überhaupt nichts zu tun hatten, EuropäerInnen und AfrikanerInnen. Die ursprüngliche Bevölkerung war von den EuropäerInnen in weniger als hundert Jahren eliminiert worden. Die afrikanischen SklavInnen kamen gezwungenermaßen in diese Umwelt. Sie waren ebenso wenig hier heimisch wie die EuropäerInnen. Letztere wollten reich nach Europa zurückkehren, die SklavInnen als freie Menschen zurück nach Afrika. Zur Ausbildung einer Umweltidentität kann ich mich nicht nur auf die Gegenwart beziehen, sondern muss auch die Vergangenheit einbeziehen, aber diese neuen BewohnerInnen aus Europa und Afrika hatten hier keine Vergangenheit. Sie hatten praktisch keine funktionalen Mythen über unsere Umwelt.

Die Kreolisierung schafft im Bereich der Kultur oder des Essens ganz Wunderbares. Aber im Bereich der Umwelt sorgt sie für eine irrtümliche Vorstellung von der Natur. Das ist in der Karibik sehr verbreitet. Deswegen sind die meisten Mythen hier nicht funktional, zum Beispiel die, was die Schlange mit Kindern macht. Das ist ein Mythos aus Afrika, wo es gefährliche Schlangen gibt. Aber hier hat dieser Mythos nichts verloren. Dennoch glauben viele Menschen daran. Er schafft Angst, aber das ist sinnlos. Wenn ich umweltmäßig erziehen will, müsste ich die Vorstellungswelt neu konstruieren, aber auf welcher Basis, wenn ich nicht weiß, woher die Mythen kommen?

Ein ganz anderes Thema: In Santo Domingo gibt es häufig Stromausfälle. Woran liegt das?

Die Energieversorgung ist in der Hand einer internationalen Mafia, die von der Regierung durchgesetzt wurde. Es gibt reale Engpässe und künstliche erzeugte Knappheiten. 18 Prozent des Stroms kommt aus Wasserkraftwerken. Bei nicht konventionellen Energieträgern wie Wind oder Sonne liegen wir bei unter einem Prozent. Das heißt, der große Rest – 80 bis 81 Prozent – wird mit fossilen Energieträgern erzeugt: 22 Prozent aus Kohle (vier Kraftwerke), neun Prozent aus Gas, (zwei Kraftwerke) und 50 Prozent aus Öl.

Wegen der ständigen Stromausfälle haben alle BewohnerInnen eigene Lösungen. Die sind teuer und belasten die Umwelt stärker, denn es wird noch mehr verbrannt, etwa in Generatoren. Zudem benutzen viele (Auto-)Batterien, die während der Stromausfälle die Versorgung gewährleisen. Hier gibt es eine enorme Konzentration von Batterien in den Mittelschichthaushalten, was die Verseuchung mit Blei und Cadmium forciert. Es gibt Stadtteile, in denen die gemessenen Werte besorgniserregend sind.

Viele Kraftwerke befinden sich in dicht besiedelten Gebieten. Die AnwohnerInnen leiden dort direkt unter den Emissionen. Wenn Pläne zum Bau neuer Kraftwerke bekannt werden, wehren sich die Leute, weil sie wissen, was auf sie zukommt. Aber der Energiesektor wird von der Mafia über die Verträge bestimmt, die die Regierung abschließt.

Die nicht konventionelle Energie ist sehr teuer für uns. Zum Beispiel Solarenergie, die hier sehr gut funktionieren könnte, aber die Kosten sind horrend. Eine Lösung wäre es, die Stromerzeugung aus Wasserkraft auszuweiten Aber die Pläne gehen immer in Richtung Megastaudämme, die negative Auswirkungen auf das Wassereinzugsgebiet haben, den Grundwassserspiegel senken und die Erosion verstärken.

Wir haben große Höhenunterschiede im Gebirge, die man ausnutzen könnte, ohne dass die Wasserläufe verändert würden. Aber da dort die Investitionen klein wären, interessiert das den Staat und die Unternehmen nicht. Diese Projekte werden immer wieder aufgegeben.

In Industrieländern wird bei der Energiefrage auch immer die Frage des Energiesparens, etwa durch effizientere Geräte, diskutiert. Wird das hier auch thematisiert oder geht es in der Dominikanischen Republik überhaupt erst mal darum, allen Leuten den Zugang zu Elektrizität zu gewährleisten, was zwangsläufig den Konsum erhöht?

Ein Teil des hohen Konsums hier hat damit zu tun, dass die Leitungen und die Technik schlecht sind und bei der Versorgung Energie verloren geht. Schon bei der Stromproduktion ist der Energieaufwand zu hoch bzw. die Energieausbeute in den mit Schweröl betriebenen Heizkraftwerken zu niedrig.

Wir wollen die Energieproduktion effizienter gestalten und dadurch Energie einsparen. Auch wenn die Energie knapp ist, kann beim Konsum gespart werden. Das fängt bei Energiesparbirnen an. Wenn der Staat dieses Einsparen als Chance sähe und förderte, würde es funktionieren, auch bei den Armen. (In Cuba wurden an alle Haushalte Energiesparbirnen ausgegeben und dadurch der Energieverbrauch der privaten Haushalte nachhaltig gesenkt. Die in den neunziger Jahren häufigen Stromausfälle sind inzwischen Geschichte – die Red.) Die Mittel- und Oberschicht schafft sich Energiesparbirnen an, weil Strom teuer ist. Die Armen bezahlen eine Flatrate oder gar nicht, daher gibt es für sie keine Anreize zu sparen. Man muss also eine explizite Sparpolitik machen.

Aber die größten Einsparungen lassen sich nicht in diesem Bereich erzielen, sondern bei der Energieerzeugung selbst. Wir müssen von der Öl, Gas- und Kohleverbrennung wegkommen.

Eine letzte Frage zu urbaner Landwirtschaft, die sich in letzter Zeit von Buenos Aires über Havanna bis nach Paris durchsetzt. Gibt es sie auch in Santo Domingo?

Wir haben damit schon in den 90er-Jahren begonnen. Damals hat uns das UNDP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, bei einem Programm der Universität unterstützt. Wir haben in zweierlei Hinsicht gearbeitet. In den Armenvierteln haben die Armen keinen eigenen Grund und Boden. Manchmal haben sie nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Aber es gibt immer irgendwo einen Quadratmeter, wo man ein Minimum an Gemüse anbauen kann. Einige Leute haben es sogar so weit gebracht, dass sie ihre Überschüsse verkaufen konnten. In Hochzeiten haben wir es auf 10 000 ProduzentInnen im Land gebracht. 

Das erste Projekt begann in Tres Brazos, einem marginalen Barrio, das immer mal wieder von Überschwemmungen heimgesucht wird. Eine Gruppe von Studierenden hat damals dort Praktika gemacht und die Leute ausgebildet. Ziel des Projekts war es, bei den diversen Instanzen der Gesellschaft, dem Staat, der Stadt, der Universität, dem Gesundheitsministerium, die städtische Landwirtschaft durchzusetzen. Heute ist der Anteil meines Erachtens gefallen, aber Anfang der 90er-Jahre stammten mehr als 15 Prozent des städtischen Konsums aus der urbanen Landwirtschaft. Das ist sehr viel. Aber es handelte sich nicht nur um die landwirtschaftlichen Produkte, sondern es gab auch eine häusliche Produktion für den Verkauf. Die eine stellte Süßigkeiten aus den Kirschen vom Baum im Patio her und verkaufte sie, die andere machte aus den Chinolas gegenüber ihrem Haus Punsch, die dritte Eis aus Obst, das in der Nachbarschaft wuchs. So wurde sehr viel aus lokalen Produkten hergestellt.

Aber die Stadtregierung hat der urbanen Landwirtschaft jegliche Unterstützung entzogen. Sie hat etwa Obstbäume aus den Parks verbannt. Aber durch die urbane Landwirtschaft wurde eine Identität mit der Stadt und mit der Umwelt geschaffen, die nun nicht mehr fortbesteht. Fakt ist, dass die Marginalisierung seither wieder wächst. Gleichzeitig wächst auch die Notwendigkeit, hier in der Stadt zu produzieren, aber die Räume dafür werden immer kleiner – weil sie entweder nicht mehr öffentlich sind oder weil sie durch Bebauung verschwinden.

Wir haben begonnen, die Kultur der Hausapotheke, der zu Hause hergestellten Medizin, zu verbreiten. Wir haben die Leute dazu angehalten, eine Bank von Heilpflanzen anzulegen, auf der Basis von dem, was sie wussten. Da die EinwohnerInnen Santo Domingos aus unterschiedlichen Teilen des Landes kommen, bringen sie unterschiedliches Wissen mit. In San Juan gibt es etwa eine Reihe von Heilpflanzen, die wir hier in die Behandlungsformen eingeführt haben. Zum Beispiel eine hübsche Pflanze, die gegen Flöhe hilft. Das ist eine praktische Lösung für ein ernstliches Gesundheitsproblem.

Das Gespräch führten Hans-Ulrich Dillmann, Gert Eisenbürger und Gaby Küppers im Dezember 2012 in Santo Domingo.