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Wenn bei Bola de Monte die Sonne im Meer versinkt

Mittlerweile ziemlich brotlos: Küstenfischerei in El Salvador

Man muss ihn schon kennen, den Strand von Bola de Monte in der äußersten Nordwestecke El Salvadors, dort wo der Río Paz die Grenze zu Guatemala bildet, um sich dorthin zu verirren. Und doch ist es womöglich der schönste Strand des Landes. Keinerlei Tourismus, kilometerlanger Sandstrand, dahinter Abertausende von Kokospalmen, zwischen denen vor dem Wind geschützt die Häuser und Hütten von fast 450 Familien kauern. Hier fahren die Männer aufs Meer oder fischen mit Wurfnetzen im Delta des Río Paz und zwischen den Mangroven. Die Frauen nehmen die Fische aus und vermarkten sie, die Händler kommen vorbei, um die Kokosnüsse gegen ein geringes Entgelt zu ernten und in die Städte zu bringen. Viele Familien haben weiter landeinwärts Parzellen, auf denen sie Mais, Bohnen und Wassermelonen anbauen. Dazwischen ein paar Kühe, Pferde und Maultiere, viele Hunde und jede Menge kleine Pfingstkirchen.

Eduard Fritsch

Die Fischer von Bola de Monte haben eigene Boote aus Polyester mit Außenbordmotoren, die Lanchas, oder arbeiten auf den Booten ihrer Nachbarn. Um auf das offene Meer zu kommen, müssen sie zuerst die manchmal hohe Brandung überwinden, was sie denn auch bleiben lassen, wenn Sturm aufkommt. Aber auch ohne Sturm ist ihr Gewerbe ziemlich brotlos. Stundenlang sind sie draußen, senken die Trasmayos, die großen Netze ab, markieren sie mit Bojen und ziehen sie nach einem Tag oder einer Nacht wieder hoch – oft mit keinem oder nur einem geringen Fang. Die Älteren erzählen, wie früher die Fische von der Brandung an den Strand gespült wurden oder sie schwer beladen mit etlichen Zentnern Fang zurückkamen. Seit weiter draußen die Trawler mit ihren Schleppnetzen die Fischbrut zerstören, das Meer bis in den Bereich der Küstenfischer hinein abfischen und oft über die Hälfte des Ertrages als Beifang wieder ins Wasser kippen, bleibt für die Fischer von Bola de Monte nicht viel übrig. Der zu dichte Besatz mit Lanchas und die Verschmutzung des Meeres tun ein Übriges. 

Die Familie Sibrián (Namen geändert) wohnt in der Mitte des Küstenstreifens, der Bola de Monte heißt, weil die ersten, die hier herkamen, nur Monte, Gestrüpp, vorfanden. 1967 kamen die Sibrián aus dem weit entfernten Usulután; sie ist mit fünf Booten die vermögendste Familie des Dorfes. Don Victor, der Patriarch der Familie, erzählt: „In meiner Jugend war ich Bauer. Ich bin im Norden, in Ilobasco, geboren, aber in ganz El Salvador aufgewachsen. Meine Eltern waren arm, hatten kein eigenes Land, mussten Jahr für Jahr eine Parzelle pachten. Als wir deshalb nach langen Wanderjahren hier an den Strand zogen, wo der Boden nichts kostete, fingen wir an zu fischen. Heute brauchst du mir nur einen Faden zu geben und ich mache ein Netz daraus. Mit einem Kredit haben wir Anfang der 1980er-Jahre, da waren wir schon ungefähr 15 Jahre hier, die erste Motor-Lancha gekauft. Mit Maultieren brachten wir die getrockneten Fische auf die Märkte. Heute transportieren wir die ausgenommenen Fische im Eis mit einem Pickup, denn inzwischen gibt es eine Straße.“

Mit seiner Frau Susy hat Victor fünf Kinder, von denen eines gestorben ist. Der älteste Sohn, Gerardo, der 1965 geboren und mit der Tochter eines Nachbarn verheiratet ist, hat das Fischen als Kind gelernt. Bis zur sechsten Klasse ging er auf die Schule von Bola de Monte und hat dann angefangen, Außenbordmotoren zu reparieren. Er hat genug zu tun, denn allein in Bola de Monte gibt es an die 50 Lanchas und noch einmal 60 im benachbarten Garita Palmera. Seine Schwester María ist vor zwei Jahren zu ihrem Sohn in die USA gezogen. Ihre Schwester Ana, deren Sohn Gerardo Fischer ist und zusammen mit einem Nachbarn eines der Boote der Familie fährt, ist bei der Familie in Bola de Monte geblieben. Die Frauen der Familie sind Hausfrauen, aber auch zuständig für das Ausnehmen und Putzen der Fische und ihre Vermarktung. Jaime, der jüngste Sohn, hatte seine eigene Lancha und war der einzige, der zwar auch in Bola de Monte, aber nicht mehr im Familienverbund lebte. 

Im März 2009, an dem Sonntag, an dem Mauricio Funes als Kandidat der FMLN zum Präsidenten gewählt wurde, fuhr Jaime mit einem Begleiter zum Fischen. Die beiden kamen nie zurück. Wochen später wurde die Lancha kieloben ein paar Kilometer weiter östlich im Meer vor Barra de Santiago gefunden. Der Außenbordmotor fehlte, weshalb die Polizei davon ausging, dass es sich um einen Raubmord handle, und die Ermittlungen einstellte. Die Leute in Bola de Monte glauben nicht so recht daran. Hinter vorgehaltener Hand vermuten sie, Jaime hätte etwas mit den guatemaltekischen Drogenhändlern zu tun gehabt, die in diesem Küstenabschnitt die Pazifikroute von Kolumbien in die USA kontrollieren. 

Camilo ist auch nicht arm, aber unbeliebt. Er hat auch gefischt, baut etwas Mais an und hat als ungelernter Tierarzt für die Großgrundbesitzer im Hinterland von Bola de Monte gearbeitet. Außerdem hat er die Schule am Ort gegründet und sammelt Schildkröteneier ein, die er, einmal geschlüpft, in einer Vollmondnacht ins Meer entlässt, wofür er von einer Umweltschutzorganisation bezahlt wird. Am Strand unbeliebt gemacht hat er sich, als er sich Mitte der 1990er-Jahre für ein Hotelprojekt stark machte. Im Zuge dessen sollten über 400 Familien von Bola de Monte vertrieben werden, die fast 700 Hektar Land bewohnen, ohne auch nur einen einzigen Besitztitel zu haben (weil die Strände nach dem Gesetz Staatsland sind). Während es, wie bei einer so großen Gemeinde nicht verwunderlich, im Alltag vielfältige Konflikte gibt, schlossen sich die Leute von Bola de Monte damals wie schon 20 Jahre zuvor, als sie schon einmal vertrieben werden sollten, zusammen. Der salvadorianischen Tourismusbehörde und den mexikanischen Investoren war es dann doch zu riskant, 2000 bis 3000 Menschen von der Polizei oder womöglich der Armee gewaltsam vertreiben zu lassen. 

Hören wir noch die Geschichte von Ester, die im benachbarten Guatemala aufgewachsen ist. Als sie sechs Jahre alt war, kam ihr Vater 1965 auf die salvadorianische Seite, weil er in Guatemala erpresst worden war. „Dort drüben, erzählt Ester, war das immer so. Solange ein Salvadorianer arm ist, passiert nichts, aber wenn er es zu etwas bringt, fängt der Neid an und die Nachbarn denunzieren den Ausländer als Subversiven bei der Polizei. In der Schule von Bola de Monte hab ich es bis zur sechsten Klasse gebracht. Wir haben die Schule selbst gebaut, denn angefangen hat es in einer Hütte aus Palmblättern. Mein Mann ist hier geboren, aber kaum hatte ich ihn geheiratet, als ich 18 war, gingen wir für zwei Jahre zum Arbeiten nach Chalatenango (im Norden El Salvadors). Dort hatte mein Schwiegervater eine Parzelle und wir pachteten noch eine dazu. Hier haben wir jetzt eine halbe Manzana (ca. ein Drittel Hektar), ohne Landtitel. Das benutzen wir als Weide für unsere zwei Kühe. Ich bin Hausfrau und habe eine Nähmaschine, mit der ich vor allem Schuluniformen mache. Ich nehme auch Blutproben zur Malariakontrolle für das Gesundheitsministerium.“ Im September 2003 ist Ester mit einem Schlepper für teures Geld zu ihrem Sohn nach Los Angeles gegangen. Die Kinder sind bei ihrem Mann in Bola de Monte geblieben.

Die Textauszüge stammen aus einer 2006 vom Autor verfassten und von FESPAD, der Studienstiftung für angewandtes Recht, herausgegebenen Geschichte des Fischerdorfes: „Unser Leben, unser Land, unser Kampf – Geschichte der Gemeinde Bola de Monte.“