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DAS darf doch nicht wahr sein

Interview mit Luis Guillermo Pérez, Anwalt von Opfern des kolumbianischen Geheimdienstes DAS

Anwälte, Gerichte und Menschenrechtsorganisationen fördern seit Jahren Aspekte eines Skandals ohnegleichen zutage. Die Rede ist vom DAS, Kürzel für den kolumbianischen Geheimdienst. Die Regierung Alvaro Uribe versuchte, das Thema auszusitzen, auch noch nachdem im März 2010 eine Durchsuchung des DAS die Empörung hochschwappen ließ. Auch die neue Regierung Santos tut alles, um die wahren Ausmaße der höchst kriminellen Machenschaften des DAS zu vertuschen. Europäische Regierungen und Institutionen winken auf Anfragen nach gezielten Verleumdungen, Auftragsmorden, Wahlfälschungen und Drogenhandel ab. Es sieht ganz danach aus, als würden auch sie am liebsten selbst die bislang bekannte Spitze des Eisbergs wieder unter Wasser drücken. Gerade sie aber müssten Stellung beziehen, um die mutigen, aber höchst gefährdeten Anwälte und Ankläger gegen den staatlichen Geheimdienst Kolumbiens in Bogotá am Interamerikanischen Gerichtshof in Costa Rica und am Internatonalen Strafgerichtshof in Den Haag zu schützen. Gaby Küppers sprach mit dem kolumbianischen Anwalt Luis Guillermo Pérez vom Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo, CAJAR, sowie der Menschenrechtsorganisation Federación Internacional de Derechos Humanos, FIDH.

Gaby Küppers

Im März 2010 durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Räume des kolumbianischen Geheimdienstes DAS, um dem Verdacht illegaler Abhörmaßnahmen nachzugehen. Was kam seither nach und nach ans Licht?

Beim Sichten zahlreicher Gerichtsakten haben wir festgestellt, dass der DAS nicht nur Personen und Institutionen illegal abhörte und bedrohte. Der DAS stand zudem in der ersten Amtszeit Alvaro Uribes (2002-2006) vollkommen im Dienst der Paramilitärs und des Drogenhandels. Die erste Schlüsselfigur war Jorge Noguera. Er war 2002 Leiter des Wahlkampfteams von Alvaro Uribe. Zusammen mit Rodrigo Tovar Pupo, alias „Jorge 40“, dem berüchtigten Boss der Paramilitärs und Drogenhändler an der Küste, hatte er bei den Parlamentswahlen im März 2002 in einem großangelegten Betrug dafür gesorgt, dass im Norden Paramilitärs in den Kongress gewählt wurden. Bei den Präsidentschaftswahlen zwei Monate später wiederholte er den Betrug und verschaffte Uribe die nötigen Stimmen zum Sieg im ersten Wahlgang.

Noguera war von 2002 bis 2005 Direktor des DAS. In dieser Zeit arbeitete der DAS für „Jorge 40“.1 Zehn Prozent der Abschlusssummen von Verträgen des DAS mit privaten Firmen flossen direkt an „Jorge 40“. Er lieferte dafür u.a. Listen von Personen, die umgebracht werden sollten. Viele von ihnen wurden tatsächlich umgebracht. Wir vertreten drei der Opfer im Prozess, den wir gegen Uribe am Obersten Gerichtshof anstrengen.

José Miguel Narváez, ebenfalls Freund Uribes und ab 2003 Vizedirektor des DAS, nach mehr als 30 Jahren Dienst als Berater der Streitkräfte, brachte das Konzept des politischen und juristischen Kriegs ein. Er stand einer ganz anderen Strömung des Paramilitarismus nahe, nämlich der von Carlos Castaño. Laut Aussagen verschiedener paramilitärischer Chefs wie „Don Berna“ oder „El Alemán“ gab José Miguel Narváez ihnen Unterricht in Antikommunismus. Kommunisten zu töten sei legitim und nötig, um den Staat zu verteidigen. Er war Ermittlungen zufolge derjenige, der die Paramilitärs um Carlos Castaño instruierte, den Senator Manuel Cepeda Vargas und den Journalisten und Humoristen Jaime Garzón umzubringen sowie die Senatorin Piedad Córdoba zu entführen. Außerdem haben wir Zeugenaussagen, nach denen er die Paramilitärs anwies, den Sitz des Anwaltskollektivs José Alvear Restrepo (CAJAR) und den der Kolumbianischen Juristenkommission zu sprengen.

Andrés Peñate, Chef des DAS seit Ende 2005, sagte später öffentlich, Narváez sei ein culebrero (Gaukler, Heuchler, Vorspieler falscher Tastachen) des Geheimdienstes, der die Demokratie schwer geschädigt habe. Eines der Ziele von Narváez war, die Nichtregierungsorganisationen zu zerstören. Für ihn sind Förderer der Menschenrechte Kommunisten oder sie sind Teil des politischen und juristischen Kriegs der FARC-Guerilla.

In der zweiten Regierungsperiode von Alvaro Uribe wurden diese Skandale bekannt. Einige Mitarbeiter des DAS machten die Zusammenhänge mit den Mafias und dem Paramilitarismus öffentlich. Narváez und Noguera gerieten aneinander. Und beide verließen schließlich den DAS.

Damit begann eine neue Phase des DAS. Uribe setzte die politische Verfolgung seiner Gegner fort; Piedad Córdoba, Gustavo Petro, Wilson Borja und andere wurden bespitzelt, NRO weiter ausspioniert. Aber etwas änderte sich: Der Oberste Gerichtshof nahm Untersuchungen über Verbindungen von Mitgliedern des Kongresses mit Paramilitärs auf. Erste Kongressmitglieder wurden verhaftet. Inzwischen laufen Verfahren gegen 130 ParlamentarierInnen und mehr als 40 sind im Gefängnis. Uribe beschloss daraufhin, den Obersten Gerichtshof kaltzustellen. Seine Arbeit wurde als Unterstützung des Terrorismus diffamiert. Richter wurden bis in ihr Privatleben und Familien hinein verfolgt. Darin zeigte sich, wie sehr Uribe aus dem DAS eine politische Polizei gemacht hat, wie in totalitären Regimen. María del Pilar Hurtado, Chefin des DAS 2007/2008, etwa führte DAS-Mitarbeitern den Film „Das Leben der anderen“ über die Arbeit der Stasi gegen verdächtige DDR-BürgerInnen vor. Aber nicht etwa als abschreckendes Beispiel, sondern als Modell, um zu zeigen, wie man in das Privatleben eines Bürgers eindringen kann, den man als Feind betrachtet.

María del Pilar Hurtado hat heute politisches Asyl in Panamá?2

Genau. Alvaro Uribe hat das in Gesprächen mit der dortigen Regierung persönlich erreicht. Damit entzog sie sich disziplinar- wie strafrechtlich relevanten Verantwortlichkeiten für den Aufbau einer politischen Polizei, die im übrigen auf alle Leiter des DAS, einschließlich des derzeitigen, Felipe Muñoz, zutreffen. Dafür gibt es Beweise.

Felipe Muñoz wusste, dass seine Institution Richter und Oppositions-politikerInnen verfolgte. Er hat sich dem wiedersetzt und dem Gericht Unterlagen übergeben, aus denen hervorgeht, wie versucht wurde, das CAJAR und darüber auch weitere NRO zu zerstören. Aber wir fragen uns, wie es möglich ist, dass gegen ihn und den jetzigen Vizedirektor des DAS strafrechtliche und disziplinarische Untersuchungen laufen und Präsident Santos sie trotzdem an der Spitze des weiterhin nicht aufgelösten DAS behält. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass Santos kein Außenstehender ist und er seine eigene Rolle und Verantwortung während der Regierung Alvaro Uribe vertuschen möchte, als er selbst Verteidigungsminister war.

Damit ist nicht nur die kolumbianische Justiz betroffen?

Richtig. Aus unserer Sicht wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, die in der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof liegen. Politische Verfolgung, zu der in diesem Fall Drohungen und sogar Mord von AktivistInnen bis hin zu Richtern am Obersten Gerichtshof gehörten, ist als Verbrechen vom kolumbianschen Strafrecht nicht erfasst. Zudem wandte der DAS psychologische Folter an, Minderjährige wurden mit dem Tode bedroht, der DAS drang in das innerste Privatleben von „Verdächtigen“ ein und terrorisierte sie, selbst Babys wurden fotografiert. Doch die kolumbianische Staatsanwaltschaft scheute davor zurück, Untersuchungen aufnehmen, weder im Hinblick auf politische Verfolgungen noch auf psychologische Folter. Sie beschränkte sich auf Anklage wegen Absprache zum Verbrechen in besonders schwerem Fall zwischen Mitgliedern des Regierungspalasts und Mitgliedern des DAS, dazu wegen einer Reihe von Verbrechen wie Machtmissbrauch, illegale Abhöraktionen, Rechtsbeugung. Aber das reicht uns nicht. Damit liegt der Untersuchung keine integrale Vision zugrunde. Niemand aus der direkten Umgebung des Präsidenten wurde festgenommen, außer den Genannten aus seiner ersten Amtszeit, Noguera und Narváez.

Wie viele MitarbeiterInnen hatte der DAS, wie hoch ist die Zahl seiner Opfer?

Wir gehen von mehr als 600 Opfern aus. Die gesamte Struktur des DAS stand im Dienst der politischen Verfolgungen. Im Zentrum existierte eine Geheimdienstabteilung, die sogenannte G3, deren Aufgabe darin bestand, das Anwaltskollektiv CAJAR zu bespitzeln. Allein im G3 arbeiteten mehr als 40 Personen. Alle Unterabteilungen, alle Außenbüros des DAS, einschließlich denjenigen mit Kontakten zu ausländischen Geheimdiensten, wurden für politische Verfolgung eingesetzt. Damit kommt man auf mehrere hundert MitarbeiterInnen.

Was ist über die Tentakel im Ausland, einschließlich Europa, bekannt?

Es ist nachgewiesen, dass der DAS sich auf Zusammenarbeit mit europäischen Geheimdiensten stützte. Außerdem ist nachgewiesen, dass Noguera und Narváez einen Experten im Anwerben von Informanten nach Europa schickten. Sein Name ist Germán Villalba und er sitzt heute im Gefängnis. Er hat zugegeben, dass sein Einsatz in Europa dem Rekrutieren von Spitzeln diente, die NRO und jedwede Person mit irgendwelchen Verbindungen nach Kolumbien auszuspionieren hatten. Villalba ließ sich in Italien nieder und reiste regelmäßig nach Spanien, Deutschland, Frankreich, Holland und Belgien. Er hat bestätigt, dass er in Belgien zwei Personen angeworben hat und hat die Namen dieser beiden Personen der Justiz weitergegeben. Ein- bis zweimal pro Monat fuhr er nach Belgien, um von diesen Personen Informationen zu erhalten und sie dafür zu bezahlen.

Welche weiteren Geständnisse sind im Hinblick auf Europa von ihm noch zu erwarten?

Villalba hat sich zu einer sogenannten vorgezogenen Strafe bereit erklärt, um einem Gerichtsverfahren zu entgehen. Dafür hat er Absprache zum Verbrechen in besonders schwerem Fall und illegales Abhören gestanden. Aber er wollte keinen Prozess, keine weiteren Aussagen. Das heißt, er sitzt jetzt zehn oder zwölf Jahre ab. Und das war's.

Wie ist die Zusammenarbeit der Anwälte mit europäischen Stellen?

Wir bekommen Unterstützung von Organisationen wie dem Diakonischen Werk und Brot für die Welt. Auf gerichtlicher Ebene haben wir zwei Strafprozesse auf den Weg gebracht. Ein Verfahren wurde in Belgien eröffnet. Darin geht es um Angriffe auf Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit wie um Solidaritätsgruppen, aufgrund einer Sammelklage von sechs Parteien. Das zweite Verfahren wurde in Spanien eröffnet, es liegt dem Generalstaatsanwalt vor. Eine Richterin hat sich für zuständig erklärt und das Verfahren an sich gezogen. Dort gibt es bereits fünf angenommene Zivilklagen. Wir arbeiten aber auch an Verfahren in Panama und den Vereinigten Staaten.

Welches müssten die nächsten Schritte in Europa sein?

Es wäre wichtig, den Angriffen auf Institutionen weiter nachzugehen, wie dem auf den Menschenrechtsausschuss des Europäische Parlaments (EP). Dieser Ausschuss sollte dazu eine Anhörung veranstalten. Delegationen des EP wie der nationalen Parlamente sollten nach Kolumbien reisen, ebenso JournalistInnen, RichterInnen, AnwältInnen. Es müsste nachgewiesen werden, welche Verbindungen europäische Geheimdienste zu einer kolumbianischen Geheimdiensteinheit unterhielten, welche im Dienst von Paramilitärs und Drogenhandel stand.

Die europäischen Geheimdienste müssen sich dieser Tatsache stellen. Schließlich wurden wir vom DAS als Terroristen verunglimpft, weil wir in Kolumbien zu erreichen versuchten, dass die internationalen kriminellen Aktivitäten von Verbrechern untersucht und bestraft werden. Aber statt diese Verbrecher zu verfolgen, ging die Hetzjagd gegen uns los.
Die Situation ist kompliziert. Es gibt viele Drohungen gegen uns, auch Todesdrohungen. Der ganze Prozess kann noch drei, vier Jahre dauern.

Was wird in den kommenden Monaten geschehen?

Die Staatsanwaltschaft hat sich geweigert, eine integrale Untersuchung zu führen, und zerstückelt die Verfahren Mit dieser Taktik sollen ganz offensichtlich einige Mitglieder der Regierung Uribe außen vor gehalten werden. In einem Sonderausschuss des Parlaments für Immunitätsfragen von Regierungsmitgliedern wird verhandelt, ob Uribe belangt werden kann. Obwohl dieser Ausschuss ein politisches Organ ist, das entscheidet, ob ein Justizverfahren eingeleitet wird, muss er die Strafgesetze sowie von Kolumbien unterschriebene internationale Menschenrechtsstandards und -verfahren einhalten. Der Ausschuss hat uns bislang nicht als Opfer anerkannt, die ein Recht darauf haben, dass die Ausschussberatungen öffentlich sind. Außerdem wollen wir Uribe befragen. Wir haben deswegen beim Obersten Gerichtshof auf Rechtsbeugung geklagt. Er hat uns zu den ersten beiden Aspekten bereits Recht gegeben, aber der Ausschuss versucht weiterhin, uns auszutricksen.

Neben Uribe müssen des Weiteren die angeblich Immunen vor Gericht gestellt werden, d.h. die verschiedenen Leiter des DAS und der Generalsekretär des Präsidialamtes. Sie müssen direkt von der Generalstaatsanwaltschaft untersucht werden. Gegen sie liegen viele Beweise vor. Mit weniger Beweisen haben andere Angeklagte bereits acht Jahre Haftstrafe akzeptiert. Daher ist uns unverständlich, warum die Genannten weiterhin frei herum laufen und die Gefahr besteht, dass auch sie sich wie María del Pilar Hurtado ins Ausland absetzen und Asyl beantragen.

Andererseits laufen Prozesse gegen José Miguel Narváez, Jorge Noguera, Marta Leal und andere Mitglieder des G3 und werden bald abgeschlossen. Ich bin sicher, dass die Angeklagten verurteilt werden. Im Falle von Noguera3 schließt die Anklage mehrere Morde ein.

Wird Uribe eines Tages tatsächlich vor Gericht stehen?

Es gibt viele Beweise gegen ihn. Wenn das Parlamentsverfahren gegen ihn erst einmal öffentlich ist, wird es für die Abgeordneten sehr schwierig sein, ihn von strafrechtlicher Verantwortung freizusprechen. Viele Opfer sind bekannte Persönlichkeiten und es gibt Verfahren beim Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof und wir werden auch das Internationale Strafgericht in Den Haag anrufen. Darüber können die Abgeordneten nicht hinweggehen.

Was ist die Haltung der KolumbianerInnen im allgemeinen zu dem Thema DAS?

Viele kennen das ganze Ausmaß der Verbrechen noch nicht und glauben, es handele sich lediglich um ein paar Lauschangriffe auf Verdächtige. Daher unterstützen viele Anhänger Uribes den Ex-Präsidenten weiterhin.

Welches Risiko gehen die Anwälte persönlich ein?

Nun ja, wir müssen davon ausgehen, dass wir in jedem Augenblick umgebracht werden können. Bei jeder Anhörung stehen überall Angehörige der betroffenen militärischen und zivilen Dienste herum. Denen steht der Hass auf uns ins Gesicht geschrieben. Aber sie müssen aufpassen, weil sie wissen, dass wir in den USA und Europa große Unterstützung genießen. Aber wir haben natürlich trotzdem Angst.

  • 1. „Jorge 40“ demobilisierte 2006 mit seinen paramilitärischen Truppen und wurde 2008 in die USA ausgeliefert.
  • 2. Im Mai 2011 erließ die kolumbianische Justiz Haftbefehl gegen María del Pilar Hurtado.
  • 3. Uribe hat ihn 2007 als Konsul nach Mailand/Italien geschickt, woher er unvorsichtigerweise nach Kolumbien zurückkehrte.

Das Interview führte Gaby Küppers im März und Juni 2011 in Brüssel.