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Abenteuer DDR

CubanerInnen im deutschen Sozialismus
Bettina Hoyer

Rund 30 000 CubanerInnen wagten den Aufbruch in die DDR. Für ein paar Jahre tauschten sie Karneval, Salsa und Reis gegen Fasching, FKK und Broiler. Warum um alles in der Welt brechen Menschen aus Cuba auf, um ausgerechnet in der DDR zu studieren oder zu arbeiten? 

Im Frühjahr 2009 erzählten 15 Cubaner und Cubanerinnen, die zwischen 1961 und 1989 in der DDR gelebt hatten, dem renommierten Lateinamerikajournalisten Wolf-Dieter Vogel in Cuba von ihren Erinnerungen an jene Zeit. Sie kamen in die DDR, um dort Musikwissenschaft, Sport oder Chemie zu studieren, Maschinen in Textilfabriken zu bedienen oder in Eisenach am Fließband Autos der Marke „Wartburg“ zusammenzuschrauben.

Bei den Interviews wurden sie einfühlsam von Ricardo Ramírez Arriola fotografiert. Bilder der Auslandsaufenthalte ergänzen das illustrierende Material des Buches. Ein Vorwort der Ko-Autorin Verona Wunderlich und ein Artikel von Wolfram Adolphi, die beide wesentlich am Zustandekommen des Buches beteiligt waren, runden die Ausgabe ab. Sie lassen die Leser wissen, dass das Buchprojekt auf der Buchmesse in Havanna im Jahr 2004 seinen Anfang nahm, auf Betreiben der Rosa-Luxemburg-Stiftung zustande kam und einen sehr langen Atem bis zur Umsetzung brauchte. 

20 Jahre nach dem Mauerfall erschien zunächst die spanische Ausgabe Regresé siendo otra persona – Cubanas y cubanos en la RDA (Ich kam als anderer Mensch zurück – Kubanerinnen und Kubaner in der DDR). Anfang des Jahres brachte der Karl Dietz Verlag die deutsche Version des Buches heraus, die um zwei Gesprächspartner erweitert ist und in der Wolf-Dieter Vogel die Interviews häufig in Essays oder Reportagen eingeflochten hat.

Entstanden ist ein schillerndes Kaleidoskop aus Erinnerungsfetzen, Bildern, Bewegungen. Spiegelungen des DDR-Alltags in cubanischen Biografien, so wie sie 2009 erinnert wurden. Darin zeigen sich zahlreiche Fußabdrücke des politischen Welttheaters: der Bau der Berliner Mauer 1961, die Raketenkrise 1962, das Einrücken Cubas in den sozialistischen Block, der Einmarsch in Prag 1968, der Mauerfall 1989, das Ende der DDR. Oft ist es nur eine Anmerkung im Interview, die der Autor in einem Essay an anderer Stelle leichthin mit Fakten und Hintergrund auffüllt. Manchmal werden explizite Interviewfragen gestellt, wie etwa die, in wieweit Rudi Dutschke ein Thema war.

Wie haben die CubanerInnen hier gelebt, geliebt, gearbeitet, gefeiert? Wie verlief ihr Leben nach der Rückkehr in die Heimat? Was haben sie mitgenommen aus der DDR? Woran konnten sie sich nie gewöhnen? Haben sie Rassismus erlebt? Und wie war das mit der Liebe? Um diese Fragen kreisen die Geschichten und geben vielfältige Antworten.

Alberto Suzarte etwa studierte mit 19 Jahren an der Bergakademie Freiberg Chemie. Als er 1963 in Berlin ankommt, ist er überrascht: „Die Stadt lag noch halb in Trümmern. Das hatte ich nicht erwartet“, sagt er. Suzarte hat heimlich ein Kind mit einer Deutschen, das er zurücklässt, als er heimkehrt. Erst nach dem Mauerfall kommt der Sohn ihn besuchen. Die DDR-Geschichte von Mercedes Portilla, die als Textilarbeiterin in Schmalkalden arbeitet, findet ein jähes Ende: Als die Wende kommt, muss sie von einem Tag auf den anderen zurück nach Cuba. Die Wissenschaftlerin Sonnia Moro erzählt davon, wie es ist, als junge Frau fernab der Heimat das erste Kind zu bekommen. Kinderkrippe, Kindergarten, Wohnheim, Studium. 

Das Kichern über den hölzernen Tanzstil der Deutschen, die gegenseitige soziale Kontrolle der CubanerInnen, die harte Arbeit am Fließband, die Feste, zu verheimlichende oder abzutreibende Schwangerschaften, weil sonst die Rückkehr droht, Kulturschocks wegen des freizügigen Umgangs mit Nacktheit in der DDR, Pöbeleien, der Kampf um Disziplin und Pünktlichkeit, die Rückkehr. Das alles wird angerissen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Nach Jahren werden Gäste in einem offiziellen Rahmen vom damaligen Gastgeber befragt: „Wie war's denn eigentlich? Damals. Bei uns. Hat's dir gefallen?“ Die Antworten auf diese Fragen sind ein munteres Plaudern. Das Ergebnis ein höfliches Buch. Und das ist gut so. Der Autor bleibt bei den ProtagonistInnen, auch wenn die großen Stränge der Politik, die wirtschaftliche Funktion der GastarbeiterInnen und anderes eingeflochten werden. Katastrophen und Glück werden kontextualisiert, bleiben aber immer persönliche und subjektive Erlebnisse. Aber sie finden statt. Genau darin liegt die Stärke dieses Buches.

Entstanden ist ein packendes Stück deutsch-cubanischer Erinnerungsgeschichte. Die Geschichten sind lebendig erzählt, das Buch nur schwer wieder aus der Hand zu legen. Diese Sammlung lädt dazu ein, deutsche Geschichte – DDR-Geschichte – mit den Augen von BewohnerInnen einer sozialistischen Karibikinsel der Dritten Welt zu betrachten. Geschaffen wurde damit auch ein wertvoller Beitrag für die Diskussionen darüber, was die DDR gewesen sein mag und wo ihr Platz in der deutschen Geschichte ist.Wer allerdings weder mit der DDR-Geschichte vertraut ist oder nicht über Vorwissen zu Cuba verfügt, dem sei empfohlen, zuerst das Nachwort zu lesen. Dort wird vieles zusammengebunden und in einen Kontext gestellt, was unbedarfte LeserInnen sonst überfordern könnte.

Abenteuer DDR. Kubanerinnen und Kubaner im deutschen Sozialismus von Wolf-Dieter Vogel und Verona Wunderlich, Berlin: Karl Dietz Verlag Berlin, 2011, 184 Seiten, 16,90 Euro