ila

Ein großer Panameño

Abschied von Raúl Leis (1947-2011)
Gert Eisenbürger

Im April/Mai 1988 planten die Bonner Lateinamerikagruppen „Lateinamerika-Tage“ in der Stadt. Irgendwann in der Vorbereitungszeit fragte uns das Infobüro Nicaragua an, ob wir nicht auch eine Veranstaltung zu Panama machen wollten. Ende Mai käme Raúl Leis nach Deutschland, ein guter Bekannter eines ihrer Mitarbeiter und Direktor einer großen NRO im Bereich Erwachsenenbildung. Zu der Zeit war der panamaische Militärchef und ehemalige CIA-Mitarbeiter Manuel Noriega mit seinen früheren Chefs aus den USA in Konflikt geraten. Noriega gab sich plötzlich als Antiimperialist aus, während die US-Regierung Panama in die Riege der Schurkenstaaten einreihte. Das Ganze einmal von einem kompetenten Panameño aufgeschlüsselt zu bekommen, fanden wir spannend und setzten für den 1. Juni eine Veranstaltung mit Raúl Leis an. Er wollte einen Tag vorher schon nach Bonn kommen. Wir organisierten die Übernachtung und in der WG Wilhelmstraße, damals eine Hochburg der Bonner linken Szene, sollte es ein Abendessen für den Genossen aus Panama geben. Als es klingelte, erlebten wir die erste Überraschung: Vor der Tür stand ein Riese, Raúl war fast zwei Meter groß! Damals kamen viele MittelamerikanerInnen vorbei, in der Regel VertreterInnen der Freiheitsbewegungen und Volksorganisationen aus Nicaragua, El Salvador und Guatemala – meistens sehr nette Menschen, die bei den politischen Diskussionen aber immer voll auf der Linie ihrer demokratisch-zentralistischen Parteien waren. Wenn sie die politischen Prozesse in ihren Ländern aus der Sicht ihrer Organisationen skizzierten und wir unsere Debatten um Autonomie, Geschlechterverhältnisse oder Basisdemokratie darstellten, schienen wir bei aller Solidarität Lichtjahre voneinander entfernt.

Mit Raúl war das völlig anders, wir hatten von Beginn an das Gefühl, auf dem gleichen Dampfer zu sein und dieselbe Sprache zu sprechen. Es wurde ein spannender und wunderschöner Abend, der allen Beteiligten in Erinnerung geblieben ist. Am folgenden Abend hielt er einen großartigen Vortrag im Hörsaal 17 der Bonner Uni. Ein panamaischer Bekannter einer ila-Kollegin war extra aus Frankfurt/M. gekommen, um den „wichtigsten Intellektuellen Panamas“ (so sein O-Ton) zu hören. Wir blieben seitdem mit Raúl in Kontakt. Als es am 19. Dezember 1989 zur befürchteten US-Invasion in Panama kam, versuchten wir ihn telefonisch zu erreichen – E-Mail war noch nicht angesagt – und uns nach seinem Befinden zu erkundigen. Wir änderten unsere Heftplanung und stellten für die folgende ila einen Panama-Schwerpunkt zusammen. Über das Fax der Bundestagsfraktion der Grünen schickte uns Raúl dafür „Neun Thesen zur aktuellen Situation in Panama“, die den Einleitungsbeitrag und das Herzstück des Schwerpunktes bildeten. Als im Januar 1991 in Bonn 250 000 Menschen gegen den ersten Krieg der USA gegen den Irak demonstrierten, sandte Raúl auf unsere Bitte hin eine „Botschaft derer, die eine vorherige US-Invasion überlebten“ an die DemonstrantInnen. Darin hieß es u.a. „Weder Noriega noch Saddam Hussein sind Helden oder große Führer. Beide sind Symbole autoritärer Herrschaft und schlimmer Menschenrechtsverletzungen gegenüber ihren Völkern. Aber es ist nicht richtig, dies als Vorwand zu nehmen, um eigene Interessen zu verdecken und ganze Völker zu bestrafen. Panama und Irak, beide Fälle beweisen die Unfähigkeit der Weltgemeinschaft, internationale Konflikte friedlich zu lösen.“ Würde man heute noch den Namen al-Gaddafi und Libyen hinzufügen, wäre seine Botschaft von gerade zu bestürzender Aktualität.

Auch in den Folgejahren gab es sporadische Kontakte, mal war Raúl wieder in Europa, mal traf ihn eine ila-Mitarbeiterin in Panama, immer wieder schickte er uns – oft über Boten – ein neues Buch von ihm. Seine Produktivität war enorm, er schrieb Sachbücher über Erziehung und Erwachsenenbildung, Romane und Erzählungen, politische Analysen. Er leitete die NRO CEAAL und als sich 1994 in Panama rund um die Präsidentschaftskandidatur des Musikers Rubén Blades ein linkes Wahlbündnis konstituierte, war er auch daran beteiligt. 

Im November 2003 veröffentlichte die ila zum 100. Jahrestag der Staatsgründung Panamas erneut einen Schwerpunkt zu diesem Land (ila 270) und wieder stammte der Einleitungsartikel aus der Feder von Raúl Leis. Dies wird sein letzter ila-Artikel bleiben. Am 30. April starb Raúl Leis im Alter von 63 Jahren nach einer allergischen Reaktion auf ein Medikament in Panama-Stadt.