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Das kostet euch was!

Interview mit der Rechtsanwältin Katja Barth über Kriminalisierung in Deutschland

Auch in Deutschland wird sozialer Protest kriminalisiert. Neben den üblichen strafrechtlichen Verfolgungsmechanismen ist der Trend zu beobachten, dass Bewegungen verstärkt zur Kasse gebeten werden: „Wegtragegebühren“ bei Schienenblockaden, Kautionen für beschlagnahmte Samba-Trommeln oder auch Schadenersatzforderungen für ausgerupfte Maispflanzen. Mit der Freiburger Rechtsanwältin Katja Barth, die seit mehreren Jahren im Anwaltlichen Notdienst tätig ist, der AktivistInnen bei Demonstrationen und Aktionen betreut, hat sich die ila über die neuesten Einfälle des deutschen Staates unterhalten.

Britt Weyde

Bestimmte Protestbewegungen in Deutschland haben an Stärke gewonnen, bestes Beispiel ist die Anti-AKW-Bewegung – wie reagiert der Staat darauf?

Wir können im Moment mehrere Tendenzen beobachten, die bei der Anti-AKW-Bewegung – teilweise seit Jahren schon – ausprobiert werden und nun auch bei anderen sozialen Bewegungen zur Anwendung kommen. Im Wendland gab es schon viele Eingriffe in den 90er Jahren, gegen die KollegInnen erfolgreich Klagen am Bundesverfassungsgericht geführt haben. Dabei handelt es sich in der Regel um rechtswidrige Polizeimaßnahmen, wie z.B. „Wanderkessel“ oder auch Massengewahrsamnahmen, bei der die Leute durch Verzögerungstaktik bis zum nächsten Tag unter schlechten Bedingungen – Kälte, keine Verpflegung, keine Möglichkeit zur Toilette zu gehen – festgehalten werden. 

Ein Instrument, das sich bei den Castor-Transporten gezeigt hat und mittlerweile auch bei anderen Protestbewegungen angewandt wird, ist, dass die AktivistInnen nicht strafrechtlich verfolgt werden, sondern dass versucht wird, Gebühren zu erheben. In der Öffentlichkeit wird ja diskutiert, „was das alles schon wieder kostet“. So versucht der Staat die Kosten wieder zurückzubekommen, z.B. über eine „Wegtragegebühr“: Wenn man sich aufs Gleis gesetzt hat, muss man im Anschluss für diese Polizeitätigkeit zahlen. In Freiburg hat die Polizei auch bei der Räumung eines besetzten Hauses versucht, die Kosten für das Hinaustragen und den Transport zur Gewahrsamnahme den Betroffenen in Rechnung zu stellen.

In welcher Höhe trifft eine solche Gebühr die einzelnen AktivistInnen?

In Baden-Württemberg sind das 45 Euro pro Polizeibeamten pro angefangene Stunde. Bei der erwähnten Räumung in Freiburg waren 260 Euro pro Nase fällig, was noch relativ moderat wirkt und dazu führt, dass die Betroffenen meist dazu bereit sind, widerspruchslos zu zahlen. Die Gebühr liegt genau in dem Bereich, wo sich die Betroffenen überlegen, naja, das treib ich noch irgendwie auf, besser als eine Strafverfolgung – denn für eine Sitzblockade oder eine Hausbesetzung bekommt man in der Regel eine Geldstrafe in Höhe von 300 bis 600 Euro. Die Rechtsgrundlage für solche Gebühren sind die jeweiligen Landespolizeigesetze in Verbindung mit dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz. 

Die öffentliche Hand kann für eine Tätigkeit Gebühren verlangen und auf dieser Grundlage versucht man jetzt politisches Engagement durch Kostenregelungen einzudämmen. Noch ein anderes Beispiel, das noch nicht abschließend rechtlich entschieden worden ist: die Gebührenerhebung für die Anmeldung einer Demonstration. So geschehen in der schönen Stadt Pforzheim. Das basiert auf einer ähnlichen Logik: Für die Anmeldung einer Demonstration wird eine Gebühr erhoben, weil diese mit der Erteilung von Auflagen verbunden ist. Diese Gebühr hat sich auch in einem relativ moderaten Rahmen bewegt, zwischen 100 und 150 Euro. 

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat entschieden, dass dies rechtswidrig ist, doch die Stadt Pforzheim macht trotzdem weiter damit! Dabei nehme ich doch, wenn ich eine Demonstration anmelde, lediglich Grundrechte in Anspruch – und die sollte der Staat garantieren und unterstützen, statt mich mit Gebühren abzuschrecken.

Protestformen entwickeln sich weiter, Stichwort: Pink-Silver-Blöcke, Castor schottern, Samba-Gruppen. Aber auch dazu lässt der Staat sich was einfallen ...

In Freiburg hatte sich z.B. zum Anlass des Deutsch-Französischen Gipfels eine Samba-Gruppe zum Protest auf der Straße versammelt, allerdings in räumlich recht großer Distanz zum eigentlichen Geschehen. Ihre Instrumente wurden beschlagnahmt wegen „versuchter Körperverletzung“. Im Nachhinein hat sich die Stadt darauf berufen, dass die Veranstaltung durch den Lärm gestört worden sei und damit wäre die Durchführung des Gipfels gefährdet gewesen. Um die Instrumente wiederzubekommen, muss eine Kaution bezahlt werden. Auch hier wird versucht die Beschlagnahmung in Rechnung zu stellen. Das ist formal zunächst möglich, sie berufen sich auf einen Paragrafen in dem neuen, verschärften Polizeigesetz von Baden-Württemberg. Ob das im Einzelfall zulässig ist, müssen wir jetzt gerichtlich klären lassen. Auch hier wirkt der Preis zunächst nicht so drakonisch – 50 Euro pro Person –, doch für Studierende oder einkommenslose Personen ist das eine harte Nummer. 

Wir haben mit einem Eilverfahren versucht, die Instrumente wieder zurückzubekommen, doch das Gericht hat gesagt, dass die 50 Euro bezahlt werden sollen. Der nächste Schritt besteht darin, dass es ein Verfahren in der Hauptsache geben wird, in dem wir die eigentliche Maßnahme als solche angreifen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Instrumente im Rahmen einer Versammlung nicht beschlagnahmt werden dürfen, weil sie Teil der Versammlung sind. Und das Versammlungsrecht als eines der höchsten geschützten Rechtsgüter ist frei vom Eingriff des Staates bzw. es muss abgewogen werden, welche Mittel verwendet werden. Da hier auch kein unmittelbarer Zusammenhang in Form einer Störung da gewesen ist, dass z.B. eine Rede durch lautes Trommeln nicht zu verstehen war, sehen wir den Eingriff als nicht gerechtfertigt an. 

Bestimmte Formen von Aktivismus können also ganz schön teuer werden.

Genau, und das ist eine relativ neue Tendenz gegenüber den klassischen Instrumenten. Nach außen hin lässt sich damit sehr gut argumentieren: Wenn ich drakonische Strafen – wie z.B. in anderen Ländern – verhängen würde, käme es zu einem Aufschrei von Nichtregierungsorganisationen, die darauf hinweisen würden, dass das nicht verhältnismäßig ist. Deutschland hat schon ganz gut dazugelernt. Dazu gehört auch, dass sich der Staat zunehmend in privat- oder zivilrechtliche Rechtsformen zurückzieht. Beispiel Deutsche Bahn: Sie hat die staatliche Aufgabe, den Öffentlichen Personenverkehr zu gewährleisten, gleichzeitig ist sie zivilrechtlich organisiert. Bei Castor-Blockaden oder Anti-Militarisierungsprotesten kommt es nun immer wieder zu Einsätzen, bei denen Personen von den Schienen weggetragen werden müssen. Da entstehen unter Umständen Schäden, z.B. durch Verzögerungen im Bahnverkehr, die durchaus bezifferbar sind. Dazu gab es eine aktuelle Entscheidung vom Oberlandesgericht Schleswig: Ein bestimmter Schaden ist entstanden und die Frau, die sich im Rahmen einer Antikriegsaktion vor einem Militärtransporter auf den Schienen angekettet hatte, muss jetzt die Kosten dafür tragen. Das letzte Wort ist jedoch noch nicht gesprochen, auch gegen dieses Urteil sind noch Rechtsmittel möglich.

Ein anderes Beispiel sind die „Gendreck weg!“-Aktionen (gegen gentechnisch modifizierte Agrarpflanzen, d. Red.), in deren Rahmen es immer wieder Feldbesetzungen oder Feldbefreiungen gibt. Auch hier sind private Akteure involviert, also Unternehmen, teilweise aber auch staatliche Forschungsinstitute, die dann sagen, wir konnten die Aussaat nicht machen oder den Versuch nicht durchführen, ein Schaden in Höhe von Zehntausenden von Euro ist entstanden, der von den AktivistInnen beglichen werden muss. Der Abschreckungseffekt, der nach außen und ziemlich breit vermittelt wird, besteht in der Botschaft dahinter: Das kostet euch was! Ja, ihr dürft demonstrieren, wir sind in einem demokratischen Rechtsstaat, niemand will die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit einschränken, aber wenn ihr mit euren Protestformen von den üblichen, gesellschaftlich akzeptierten Versammlungen abweicht, dann soll das auch teuer werden. Eine weitere wichtige Entscheidung dazu hat es zu Abschiebeprotesten am Frankfurter Flughafen gegeben. Hier ist die Öffentliche Hand – die Stadt Frankfurt und das Land Hessen – Anteilhaber an der Fraport AG. Der Flughafen hat einer Aktivistin, die Flugblätter gegen Abschiebungen verteilte, Hausverbot erteilt: wieder ein zivilrechtliches Instrument, um unliebsame Menschen loszuwerden. Letztendlich hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Nutzung einer zivilrechtlichen Form den Staat nicht davon enthebt, die Grundrechte trotzdem zu beachten. Also darf am Flughafen auch demonstriert werden. 

Wie reagieren die Bewegungen darauf?

Es gibt verschiedene Ansätze, oft auf lokaler oder regionaler Ebene, die entstehenden Kosten solidarisch gemeinschaftlich zu tragen. Tatsächlich wird aber die Kostenfrage noch nicht so sehr beachtet: Wer auf eine Aktion will, überlegt sich im Vorfeld, wie weit er mit seinem zivilen Ungehorsam gehen will und welche strafrechtlichen Konsequenzen das haben könnte. Die zivilrechtlichen Folgen in Form von Schadenersatzansprüchen werden in der Regel noch nicht mit einkalkuliert.

Welche weiteren neueren Strategien gibt es?

Zentral ist der massive Anstieg der Speicherung und somit auch der Nutzung von Daten. Das hängt mit dem Schreckgespenst des Terrorismus zusammen, das seit dem 11. September 2001 wieder präsent ist. Damit werden die Ausweitung der Videoüberwachung, die Speicherung von Telekommunikationsdaten und das Anlegen von neuen Datenbanken gerechtfertigt. In Baden-Württemberg gibt es z.B. die „Arbeitsdatei politisch motivierte Kriminalität“, darin sind – nach unterschiedlichen Angaben – 10 000 bzw. 16 000 Personen gespeichert, darunter auch Kontakt- und Begleitpersonen. Insgesamt wird massiv aufgerüstet, gerade im Hinblick auf Vorratsdatenspeicherung, Telefonüberwachung, Erfassung von Handy-Verbindungsdaten. In dem Kontext gibt es eine neue Eingriffsbefugnis, die sich in der Praxis zwar noch nicht so niedergeschlagen hat, aber dennoch bemerkenswert ist: die Unterbrechung von Handykontakten. In Ägypten hat die ganze Welt mit Erschrecken festgestellt, wie der Staat eine Bewegung zu blockieren versucht, indem die Kommunikation abgeschaltet wird, und in Deutschland haben wir auch die rechtliche Grundlage dafür! 

Im Hinblick auf die Datensammelwut funktioniert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sehr gut. Die Repression hat in Deutschland im Weltmaßstab natürlich kein so gravierendes Ausmaß, wie wir es z.B. aus Lateinamerika kennen, die Bedingungen hier sind doch sehr freiheitlich. Aber was über uns gespeichert ist, das ist erschreckend, vor allem der Austausch mit internationalen Datenbanken, bis hin zum Austausch von Polizeieinheiten. Beim Castortransport im Wendland 2010 hat ein französischer Polizist vor Ort selbst mit Schlagstock Hand angelegt – das ist rechtswidrig. Ein anderes Beispiel für die Schnittstelle zwischen Datensammeln und grenzüberschreitender Zusammenarbeit waren die Spitzelaffären, die vor kurzem bekannt geworden sind. Prominentester Fall war Mark Kennedy aus Großbritannien, des Weiteren war in Heidelberg Simon Bromma als Spitzel tätig, der auch in Belgien beim Grenzcamp Informationen gesammelt hat; in Österreich ist in der Tierrechtsszene eine Frau, Danielle Durand, bekannt geworden, die bis nach Deutschland hineingewirkt hat. 

So viel wie möglich soll gespeichert werden, ohne Verdacht, ohne Anlass und vor allem ohne dass eine konkrete Straftat vorliegt. Ziel ist, sich ein flächendeckendes Bild zu verschaffen, frei nach dem Motto: „Wir kennen dich, und wenn wir dich kennen, können wir dich besser kontrollieren.“ Mit diesen Spitzeleinsätzen werden legitime und harmlose Protestzusammenhänge kriminalisiert: In Heidelberg wurden z.B. Hochschulgruppen infiltriert. Hinzu kommt das Werkzeug des agent provocateur, der zwar häufig als linke Verschwörungstheorie gehandelt wird, aber bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 haben wir das eindeutig dokumentieren können: Ein Beamter aus Bremen hat sich dem Black Block angebiedert und entsprechend zu Straftaten aufgerufen. Das gleiche Problem haben wir bei der Bewegung gegen Stuttgart-21, bei im Großen und Ganzen recht bürgerlichen Protesten, die sehr harmlos waren und wo gezielt zu kriminalisieren versucht wurde. Wenn die Leute schon von sich aus nicht den Rahmen der Legalität überschreiten, dann muss man halt nachhelfen!

Welches sind die häufigsten Straftatbestände, die AktivistInnen angelastet werden?

Ein Klassiker bei den Straftatbeständen ist der „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“, z.B. ein Schal, der als Vermummung gewertet werden kann. Oder es reicht schon aus, dass man als RädelsführerIn einer nicht angemeldeten Versammlung identifiziert wird, weil man einen Redebeitrag gehalten hat, dann ist das eine Straftat. Ein anderer Klassiker ist der „Widerstand gegen die Staatsgewalt“, nach unserer Erfahrung häufig die Sofortmaßnahme eines Polizisten, der seinerseits Gewalt angewandt hat, um seine über die Stränge geschlagenen Eingriffe zu rechtfertigen. Des Weiteren sind „Nötigung“ zu nennen oder der „gefährliche Eingriff in den Straßen- und Schienenverkehr“, wobei diese Delikte regelmäßig eingestellt werden, weil es sich häufig trotz des gefährlich klingenden Straftatbestandes nur um kleine Straßenblockaden gehandelt hat. Allerdings ist man dann wiederum in einer Datenbank gespeichert.

Schließlich sollte noch ein Klassiker erwähnt werden, der jedoch auf die wenigsten zutrifft, die in sozialen Bewegungen aktiv sind: der Terrorismusparagraph 129 a StGB. Dieser Paragraph hat in den 70er Jahren weite Eingriffsmöglichkeiten in der Strafverfolgung eröffnet, auf die man heute immer noch gerne zurückgreift, obwohl letztlich nur unter 5 Prozent der Verfahren zu einer Verurteilung nach § 129 a StGB führen. Beispiel ist hier das Strafverfahren gegen die „Militante Gruppe“, der vorgeworfen wurde, Bundeswehrfahrzeuge in Brand gesetzt zu haben, und die deshalb als terroristische Vereinigung deklariert wurde. Es hat erst die Entscheidung des Bundesgerichtshofes gebraucht, der feststellte, dass die Voraussetzungen für eine terroristische Vereinigung nicht vorliegen: Letztendlich wurden die Personen, die deswegen in Untersuchungshaft waren, auch entlassen. Die Ermittlungen im Vorfeld haben aber vieles ermöglicht: Telefonüberwachungen, Observationen, das Erstellen von Bewegungsprofilen durch GPS an Fahrzeugen usw. 

Interessant ist in dem Kontext auch die Einführung des § 129 b StGB: die Unterstützung oder auch Bildung einer terroristischen ausländischen Vereinigung. Hier stellt sich für mich das gravierende Problem der Definitionsmacht: Wer entscheidet, ob es sich um eine terroristische ausländische Vereinigung handelt? Hier liegen keine juristischen Maßstäbe zugrunde, die man im Inland vielleicht noch anwenden kann, nein, das sind politische Fragen! Das wird im globalen Weltmaßstab entschieden, ob je nach Beziehung zu welchem Land ein Interesse daran besteht, Bewegungen zu kriminalisieren oder auch nicht. Da keine Definitionsmaßstäbe gesetzt werden, besteht hier die Gefahr, dass z.B. die EZLN aus Chiapas durchaus als terroristische Vereinigung gewertet werden könnte – somit kann jedes kleine Solidaritätsflugblatt im Zusammenhang mit der Repression in Mexiko kriminalisiert werden! Je nachdem, wie also die jeweiligen politischen oder wirtschaftlichen Beziehungen sind, kann das dazu führen, dass Deutschland einen Staat, der enge Maßstäbe setzt und soziale Bewegungen kriminalisiert, unterstützt und seiner Logik folgt. Gerade in Hinblick auf die angesprochene grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Polizeibehörden muss diese Entwicklung Schwerpunkt kritischer Beobachtung sein.

Das Telefoninterview führte Britt Weyde im März 2011.