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Was kommt nach dem Öl?

Ecuador: Gespräch mit Ermel Chávez von der Frente de la Defensa de la Amazonía und Victor López von der Stiftung Ecociencia

Ein Vorschlag aus Ecuador lässt die interessierte Öffentlichkeit seit einiger Zeit aufhorchen. Ein amazonisches Ölfeld soll unangetastet bleiben, wenn die Hälfte der entgangenen Einnahmen von den Ländern des Nordens ersetzt wird. In den vom Erdölabbau betroffenen Gebieten im Osten Ecuadors hatten sich bereits in den 1990er Jahren Widerstandsgruppen formiert, die gegen die negativen Folgen der Ölförderung kämpften. Seit dieser Zeit forderten die AktivistInnen ein Moratorium der Ölförderung. Als das indigene Prinzip sumak kausay („gutes Leben“) in die Verfassung von 2008 mit aufgenommen wurde, gewann diese neuartige Initiative an Gewicht. Zwei Aktivisten, der Präsident der „Front zur Verteidigung des Amazonas“, Ermel Chávez, und der Anthropologe Victor López von der Stiftung Ecociencia waren im Oktober in Deutschland zu Gast und berichteten an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt über ihren Kampf. 

Zeljko Crncic

Die Organisation Frente de la Defensa de la Amazonía ist in den nordöstlichen Provinzen Sucumbios und Orellana tätig. „Wir kämpfen für die Umwelt- und Menschenrechte der Bewohner dieser Regionen“, berichtet Ermel Chávez. „Seit 40 Jahren wird in dieser Region Erdöl abgebaut und seit mehr als 17 Jahren setzen wir uns gegen die negativen Folgen ein.“

Zunächst war der Konzern Texaco, heute Chevron, in dem Gebiet tätig, was gravierende Folgen für Mensch und Umwelt mit sich brachte. „Es war eine richtige Katastrophe, die einen Jahrhundertprozess nach sich zog. Dieser Prozess ist seit 1993 anhängig, hat jedoch bis jetzt keine Ergebnisse gezeitigt“, meint Chávez. Im Verlauf dieses Gerichtsprozesses konnte nachgewiesen werden, so der Aktivist, dass die Ölförderung den Boden und das Wasser schwer belastet hat. Diese Umweltverschmutzung wirkt sich ihrerseits negativ auf das Leben der hier ansässigen Menschen aus. „Wasserproben in der Provinz Orellana haben ergeben, dass das dortige Wasser mit krebserregenden Ölrückständen verseucht ist“, führt Chávez aus. Die sozialen Organisationen forderten vor diesem Hintergrund zunächst den Förderstopp. Danach entwickelte sich Mitte der 1990er Jahre die Idee eines Fördermoratoriums.

„Präsident Correa hat diese Idee aufgegriffen: Ecuador verzichtet auf die Förderung von 846 Millionen Barrel Öl, so der Vorschlag, und schützt im Gegenzug den Nationalpark Yasuní, der durch eine Förderung im Gebiet der Flüsse Ishpingo, Tampococha und Tiputini gefährdet wäre. Die internationale Gemeinschaft stellt im Gegenzug 2,7 Milliarden Dollar zur Verfügung, das entspräche den Einnahmeausfällen, die dem Staat durch das Projekt entstünden. Die Mittel der internationalen Gemeinschaft würden in einen Treuhandfonds eingezahlt“, so Chávez. Die internationalen Geldmittel sollten demnach alternativen Energieprojekten, der Verwaltung der Wasserquellen und der Umweltbildung zugute kommen, ergänzt Victor López. 

Das Projekt stieß im Ausland auf viel Interesse. Im August wurde eine Vereinbarung zwischen der ecuadorianischen Regierung und dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP unterzeichnet. Leider gab es auch Rückschritte, so z.B. die Weigerung des deutschen Entwicklungsministers Dirk Niebel, das Projekt mitzutragen. 

In der öffentlichen Meinung Ecuadors gibt es verschiedene Standpunkte zum Thema. „Der kritische Punkt wurde zur Jahreswende 2009/2010 erreicht“, berichtet López, „als es um das Dilemma ging, ob die Ölmenge, deren Existenz bewiesen war, im Boden belassen oder ob mit dem Geld aus den Reserven der Staatshaushalt maßgeblich finanziert werden sollte.“ Die Bevölkerung stand der Idee jedoch grundsätzlich positiv gegenüber: „In Umfragen sprachen sich 70 bis 80 Prozent der Befragten für das Projekt aus, sie forderten aber auch eine internationale Politik, die Themen wie soziale Gleichheit, Entwicklung und gemeinsame Verantwortung für Klimawandel und Armut berücksichtigte“, betont der Aktivist und Anthropologe.

Grundsätzlich ablehnende Reaktionen sind kaum zu beobachten: „Es ist sehr schwierig zu wissen, wer die Ideen explizit ablehnt“, meint Ermel Chávez, „Nur durch bestimmte Handlungen der Ölkonzerne kann man erkennen, dass sie gegen das Projekt sind. So versuchen sie das Projekt im Ausland zu diskreditieren.“ Aber auch die Regierung Correa hat gewissermaßen ein zweites Ass im Ärmel. „Die Regierung vertritt folgende Position: Wenn in einem bestimmten Zeitraum das Geld für den Fonds nicht zusammenkommt, würde sie – unter Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien und sozialen Aspekten – die Förderung wieder aufnehmen. Das ist der so genannte Plan B“, legt Chávez dar. Auf diesen Plan B reagieren die AktivistInnen jedoch kategorisch: „Die Leute in unserem Gebiet sagen, dass die Ölförderung hier – mit oder ohne Geld – nicht weitergehen sollte“, sagt der Präsident der Frente de Defensa de la Amazonía. Vielmehr sei es nötig, nach alternativen Einkommensquellen zu suchen. Denn für ihn ist eine Förderung von Ölderivaten wie Benzin seitens der Regierung fragwürdig, da damit finanzierte Subventionen selten bei den Bauern ankommen. Auch sollten bestehende Ölfelder besser genutzt werden, meint Chávez. 

„Länder wie Ecuador, die ihr Entwicklungsmodell auf dem Extraktivismus, der Ausbeutung von Rohstoffen aufbauen, befinden sich in einem ständigen Dilemma“, erklärt Victor López. „Das heißt, wir exportieren Primärgüter zu niedrigen Preisen und importieren veredelte Güter zu hohen Preisen. Das wurde schon vor 60 Jahren in der Theorie gesagt. In dieser Situation befindet sich Ecuador heute noch. Keine Regierung Lateinamerikas, sei sie revolutionär, neoliberal oder populistisch, hat dieses strukturelle ökonomische Schema verändert.“ Das Neue an der Initiative, so López, sei die Idee, das bestehende Schema aufzubrechen. 

Die indigene Bewegung CONAIE und ihre amazonische Unterorganisation CONFENIAE kämpfen bereits seit Jahren für ein anderes Modell. Auf gesellschaftlicher Ebene sind sie jedoch mit einem Problem konfrontiert: „Das Amazonas-Gebiet umfasst ungefähr 50 Prozent des gesamten Territoriums und etwa acht Prozent der Bevölkerung. Es kommt also zu Konflikten zwischen den Bewegungen dieser Zone und den BewohnerInnen der Ballungszentren, die von den Gewinnen aus der Ölförderung profitieren“, erläutert Ermel Chávez. Die Ereignisse vom 30. September 2010 (siehe Beitrag zum Putschversuch in Ecuador auf S. 44f.) können, so die Gesprächspartner, auch vor dem Hintergrund der extraktivistischen Politik erklärt werden. 

„Ein Haushalt, der sich auf eine extraktivistische Politik stützt, hat zu einem hohen Grad an Instabilität und Korruption geführt, wie er auch in anderen Staaten zu beobachten ist. Ich glaube, dass die Ereignisse vom 30. September teilweise durch die partikularen Interessen bestimmter Gruppen erklärt werden können, die eben diese Interessen verteidigen wollten“, ist Victor López überzeugt. Die Suche nach postextraktivistischen Entwicklungsmodellen, unterstreicht der Anthropologe, könne auch die Demokratie und die Institutionen des Landes stärken. Ermel Chávez fügt abschließend hinzu, dass die partizipativen Elemente der Demokratie gestärkt werden sollten, um die Institutionen sowie die Demokratie an sich zu festigen. Es bleibt zu hoffen, dass die positiven Ansätze der Organisationen aus dem Amazonas auch in einer Phase voller politischer Turbulenzen Gehör finden.