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Der Prozess muss weitergehen

Lehren aus dem Putschversuch in Ecuador

Präsident Rafael Correa sagt es selbst: Der 30. September 2010 war der schwierigste Tag in seiner gesamten Regierungszeit und seit im Jahr 2006 ein neuer politischer Prozess zur Umgestaltung Ecuadors aufgenommen worden ist. Der Putschversuch an diesem Tag hätte Erfolg haben können; vor allem aber hat er die Verletzbarkeit des Regimes aufgezeigt und lässt Fragen über mögliche Neujustierungen der Regierungsstrategie aufkommen. 

Francisco Hidalgo Flor

Bis in die Abendstunden hinein bot sich ein düsteres Bild: Der Präsident wurde seit 11 Uhr morgens in einem Polizeikrankenhaus festgehalten. Das Parlament war von der Nationalpolizei besetzt worden, der Flughafen von Quito geschlossen und von der Luftwaffe besetzt, der staatliche Fernsehkanal von ultrarechten Demonstrierenden umzingelt. Es stimmt, dass gleichzeitig die Unterstützungsdemonstrationen für die Regierung im Laufe des Tages immer größer wurden – letztlich aber sehr langsam angesichts der Schwere der Vorfälle.

Was war passiert? Die Verärgerung der Nationalpolizei und der Streitkräfte über ein Gesetz zur Neuregelung des Öffentlichen Dienstes, das spezielle Bonuszahlungen und Extragehälter für langjährige Angestellte abschafft sowie den Zeitraum für den innerbehördlichen Aufstieg für alle öffentlichen Angestellten verlängert, wurde zum Nährboden für ultrarechte Sektoren, die auf dieser Grundlagen einen landesweiten Aufstand anzettelten. Hinzu kam das höchst unbedachte Vorgehen von Correa und seinen Beratern. Der Präsident begab sich persönlich in die Höhle des Löwen, in die zentrale Polizeikaserne Nr. 1 von Quito, und die Aufständischen nutzten die Situation, um ihn im angeschlossenen Polizeikrankenhaus gefangen zu nehmen. Der synchrone Ablauf der Ereignisse – darunter die Kontrolle über die Flughäfen, die Besetzung von Anlagen des Verteidigungsministeriums und die verspätete Erklärung der Armeeleitung – stützen die Hypothese, dass es sich um eine geplante Verschwörung gehandelt hat, die über Militär- und Polizeikreise hinausgeht.

Wer kann sonst noch in den Putschversuch verwickelt gewesen sein? Bis Ende Oktober müssen Banken, Eigentümer und Aktionäre der Medien ihre Aktien verkaufen, ein Verfassungsmandat verlangt diesen Schritt. Dies betrifft vor allem die Interessen der größten Finanzgruppe des Landes, der Banco Pichincha, Eigentümerin des Fernsehsenders Teleamazonas und verschiedener Zeitschriften, sowie der großen Bankengruppe El Juri, der der Sender Telerama gehört.

Die Vorfälle zeigen auch, dass der politische und soziale Prozess in Ecuador auf wackligen Beinen steht, da die Streitkräfte als politische Entscheidungsträger und als destabilisierender Faktor wieder in Erscheinung getreten sind. Wenn sich die Armee dem Putschversuch angeschlossen hätte, wäre das Ganze vielleicht anders ausgegangen. Gleichzeitig zeigte sich die Unterstützung von großen Teilen der Bevölkerung, die sich in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit doch in einem Punkt einig waren: An diesem Tag war nicht nur der Posten von Correa in Gefahr, sondern auch alle Erfolge, die im Rahmen der Verfassunggebenden Versammlung erreicht worden waren.

Binnen weniger Stunden versammelten sich in Quito BürgerInnen und soziale Organisationen und verurteilten den Putschversuch, stellten sich hinter die Verfassung, verlangten aber auch Fortschritte und tiefgreifenden Wandel. Dazu muss gesagt werden, dass sich in der Regierung in den vorhergehenden Wochen ein strategischer Richtungswandel angedeutet hat, der ein Bündnis mit den Unternehmen begünstigt, vor allem mit den agroindustriellen Unternehmen. Das spiegelt sich im sog. Código de la Producción wider, der u. a. neue Steuern und Abgaben festlegt. Gleichzeitig schwächten sich die Verbindungen zwischen Regierung und Gewerkschaften ab, vor allem bei den öffentlichen Angestellten, was sich in den neuen Gesetzen zum Öffentlichen Dienst und zum Hochschulsystem zeigt. 

Die Regierung Correa hat den Putschversuch überlebt, geht aber geschwächt daraus hervor. Am dringlichsten ist nun die Säuberung der Streitkräfte und der Polizei. Langfristig muss die Regierung jedoch eine Antwort auf die Frage finden, mit welchen sozialen Kräften Bündnisse geschlossen werden sollen.
Die Regierung muss anerkennen, dass es nicht ausreicht, Gutscheine, Lebensmittelkörbe und Schulmaterialien zu verteilen sowie Schul- und Armenspeisung zu organisieren. Sie muss programmatische Allianzen mit den sozialen und den politischen Bewegungen eingehen. Die Regierung hat ein weitgestecktes Ziel – die Inhalte der neuen Verfassung. Daraus sollte sie die Grundlage für ein politisches Bündnis schaffen, das den Fortgang des aktuellen Prozesses gewährleistet. Außerdem hat Correa noch eine Prüfung abzulegen. Er muss einen demokratischen Prozess erschaffen, im tiefergehenden Sinne des Konzepts. Damit ist vor allem die Beteiligung der Bevölkerung und ihrer Organisationen als politische Subjekte gemeint. Und deshalb muss es dringend Fortschritte bei den tiefgreifenden Veränderungen geben.

Der Autor ist Soziologe und arbeitet an der Universidad Central, Ecuador. • Übersetzung: Britt Weyde