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Castro ohne Ende

Neues Buch zur erstaunlichen Stabilität von Kuba
Edgar Göll

Wie kann das sozialistische Kuba selbst zwei Jahrzehnte nach dem Ende der einst mächtigen realsozialistischen Partner in Osteuropa und der schwersten ökonomischen Phase des Landes selbst immer noch weiter existieren? Schließlich waren damals 85 Prozent des Außenhandels von heute auf morgen weggebrochen und sowohl die USA als auch die EU verstärkten den Druck, um einen Systemwechsel zu erzwingen. Hinzu kommt nun, dass vier Jahre nach dem Abtreten des máximo lider Fidel Castro, nach der Weltfinanzkrise und zerstörerischen Wirbelstürmen kein Systembruch absehbar ist – trotz entsprechender Erwartungen in und Bemühungen aus westlichen Metropolen. 

Das Buch Castro und kein Ende: Zur politischen Stabilität auf Kuba von Hans-Jürgen Frieß widmet sich dieser Thematik. Es basiert auf einer politikwissenschaftlichen Dissertation des Autors an der Universität Augsburg. Frieß analysiert die Stabilität des Regimes und diskutiert die politischen, historischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Macht Fidel Castros. Der Schwerpunkt der Analyse liegt in den Jahren von 1990 bis 2006, wobei auch historische Entwicklungslinien beleuchtet werden. 

Sehr erhellend sind die ausführlichen Kapitel über die immensen Herausforderungen der Spezialperiode der 1990er Jahre, die Kuba mit zahlreichen Experimenten, Reformen und pragmatischen Maßnahmen mehr oder weniger heil überstehen konnte. Positiv hervorzuheben ist die Darstellung der meist von den USA unterstützten Oppositionsbestrebungen und der vielgestaltige Umgang des kubanischen Staates damit, darunter „fünf größere Repressionswellen“ (205 f.). Frieß erwähnt dabei auch die Phasen intensiver öffentlicher Debatten über die Lage, wie vor allem Anfang der 1990er Jahre, im Zuge des sog. llamamiento (Aufruf): „Die Führung selbst hatte diese Debatten initiiert und allein für den llamamiento bis zu drei Millionen Menschen für Diskussionsveranstaltungen mobilisiert. (Sie versuchte) auf diesem Weg, das Volk in die politische Erneuerung innerhalb des bestehenden institutionellen Rahmens einzubinden; die Debatte sollte der Bevölkerung ein Gefühl von plebiszitärer Beteiligung und Mitbestimmung in einer Zeit wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit geben. Tatsächlich ließ die Regierung eine offene Diskussion zu und schritt selbst gegen harsche Kritik an politischen und wirtschaftlichen Missständen nicht ein. So erlebte Kuba in dieser Zeit eine erfrischende und auch unkonventionelle Diskussion über das kubanische System und seine Zukunft.“ (190) Dies kann übrigens auch für die heutige Zeit unter Raúl Castro konstatiert werden. 

Frieß berücksichtigt die wesentlichen Studien zu Teilaspekten seiner Fragestellung: die Persönlichkeit Castro und sein Charisma, die relative Geschlossenheit der Eliten, das Fehlen bzw. die Schwäche von organisierter Zivilgesellschaft und Opposition, eine für den Machterhalt günstige Wirtschaftsstruktur, die destruktive und kontraproduktive Politik der USA, den starken Nationalismus und Antiimperialismus, Flucht und Auswanderung als „Ventil“, Kontrolle der Öffentlichkeit und „Repressionsfähigkeit des Regimes“ (18f.). Er ergänzt sie durch Aspekte wie starke Loyalität zu Castro und verbreitete „Einstellungs- und Verhaltensmuster“. 

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der schwierigen letzten zwei Jahrzehnte schreibt Frieß: Viele dieser Faktoren „sorgten für die Verbreitung einer Gemengelage innerhalb der Bevölkerung, die sich zur gesellschaftlichen Marginalisierung der Opposition als äußerst effizient erwies: Angst vor Repression, allgemeine Verunsicherung und Zukunftsangst, aber auch Heuchelei und Misstrauen sowie politische Apathie, Resignation und Eskapismus.“ (256). Hinzu kommt aber auch die politische und realistische Einschätzung der KubanerInnen, dass sie von einer Öffnung zum Westen hin oder durch westlich orientierte Reformen nicht viel erwarten können, wie die Beispiele der osteuropäischen Transformationsländer oder auch Vietnam, Jugoslawien oder Nicaragua zeigten, wo brutaler Manchesterkapitalismus, Mafia, Bürgerkrieg und Chaos dominieren: „Zahlreiche Studien ergaben, dass gerade diese negativen Beispiele bei einer Mehrheit der Kubaner für eine weiterhin ungebrochene Befürwortung spezifisch sozialistischer Politikansätze, wie die freie Gesundheitsversorgung und Bildung, aber auch die subventionierte Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, Wohnungen, Energie und Transportmöglichkeiten, sorgen.“ (250)

Das Buch ist sehr fundiert, differenziert, bietet ausgeglichene Schilderungen und eine faire Diskussion der wesentlichen wissenschaftlichen Befunde. Aufschlussreich ist auch, wie das komplexe Zusammenspiel von internen und externen Trends dargestellt wird. Trotz einer stellenweise leicht eurozentrischen Haltung und einigen Dopplungen ist das Buch gleichwohl eine sehr lesenswerte Studie. 

Hans-Jürgen Frieß: Castro und kein Ende: Zur politischen Stabilität auf Kuba, Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2009, 279 Seiten, 14,50 Euro