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Hat sich im Quito der Bürgerrevolution etwas geändert?

Die Kommunalpolitik unter Bürgermeister Augusto Barrera

Gleichzeitig mit der Wiederwahl von Rafael Correa zum Präsidenten Ecuadors und dem Erfolg bei den Parlamentswahlen erzielte Alianza País auch bei den Provinzpräfekt- und Bürgermeisterwahlen gute Ergebnisse. Einen ihrer vielleicht wichtigsten Siege feierte sie mit der Wahl Augusto Barreras zum Bürgermeister von Quito. Dies ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch die zweitgrößte Stadt des Landes. Und interessant waren die Begleitumstände. Das politische Szenario nämlich war geprägt vom Konflikt zwischen der Regierung und der Opposition der Rechten (welche seit der „Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit“ von 1978 bis zur Wahl von Correa die Kontrolle über Regierung und Staat innegehabt hatte). Und der Haupttrumpf dieser Opposition ist wohl bis heute Jaime Nebot, der Bürgermeister von Guayaquil, der bevölkerungsreichsten und ökonomisch stärksten Stadt des Landes, die seit 16 Jahren von der rechten Christlich-Sozialen Partei regiert wird.

Mario Unda

Wenn die Macht der Rechten heute auch mehr oder weniger auf Guayaquil reduziert ist, ist dies alles andere als ein unbedeutendes Überbleibsel. Denn die Rechte versucht diese Stadt zu einem Brückenkopf für spätere Erfolge zu machen. Nebot spricht von einem „Entwicklungsmodell“ à la Guayaquil und zieht damit nicht nur die Wählerstimmen der Stadt, sondern auch die Hoffnungen der gesamten Rechten auf eine Revanche auf sich. So erhielt Quito für das Regierungsprojekt eine ganz zentrale politische Bedeutung: Es war die Gelegenheit, ein „eigenes“ Modell für die kommunale Verwaltung unter Beweis zu stellen, das sich von der rechten Opposition abhob, als Beginn einer Alternative für das ganze Land. Daneben stand Quito für die Notwendigkeit, die Anziehungskraft zu bestätigen, die das Vorhaben der Regierung – oder der Diskurs des Präsidenten, was nicht ganz dasselbe, aber doch das Gleiche ist – auf das Bewusstsein eines wichtigen Teils der Bevölkerung von Quito und des Hochlandes ganz allgemein hat. 

So wurde Quito also zum Schaukasten einer progressiven kommunalen Verwaltung oder zumindest zum sichtbarsten Schaufenster. Worin kann also nun die progressive Verwaltung einer Stadt wie Quito bestehen? Oder, ganz direkt gefragt, hat sich in Quito mit der Bürgerrevolution irgendetwas verändert? 
Der Metropolenbezirk von Quito umfasst heute etwa zweieinhalb Millionen EinwohnerInnen. Die Mehrheit lebt im Stadtgebiet von Quito, aber die stärker bevölkerten vorstädtischen oder ländlichen Gebiete sind in den vergangenen Jahren im Zuge des Wachstums der Stadt insgesamt gewachsen, und zwar schneller als der innerstädtische Raum (vgl. Beitrag „Randerscheinungen in Quito“ in dieser ila). Andererseits zählt Quito zu den Städten mit der wenigsten Armut im Land, gemessen an der Befriedung der Grundbedürfnisse (wenngleich am Einkommen gemessen die Armut steigt).

Nichtsdestotrotz ist Quito eine von enormer Ungleichheit geprägte Stadt. In einigen Gebieten gibt es so gut wie keine Armut, wie die Ebenen, die wohlhabenden Seitenhänge des nördlichen Zentrums oder bestimmte Gebiete im nahegelegenen Valle de Tumbaco. Die Zahl der Armen liegt hier unter vier Prozent. In anderen Teilen der Stadt ist die Situation jedoch genau umgekehrt: In den südlichen Außengebieten und im Nordosten betrifft die Armut über 83 Prozent der Bevölkerung und damit ebenso viele oder sogar mehr als in den ärmsten ländlichen Gebieten des Landes.

So ist das Wachstum in Quito also von einer sozialen und räumlichen Segregation geprägt. Das ist kein neues Phänomen, sondern reicht weit in die Geschichte zurück, in die Anfänge des 20. Jahrhunderts, als die Eisenbahn ins Land kam und der Bahnhof im Süden gebaut wurde. Seitdem sind die bessergestellten Sektoren der Gesellschaft in der innerstädtischen Migration immer nach Norden oder ins nördliche Tal gezogen und der Süden blieb der Besiedlung durch das einfache Volk vorbehalten. Dies war bis in die siebziger Jahre so, als eine Kombination von mindestens drei Faktoren vorübergehend dieses segregative Muster durchbrach: Einerseits die Angst der Landbesitzer vor einer Agrarreform, die sie bewog, einige nahe der Stadt gelegene Ländereien zu urbanisieren – meist auf illegalem Wege, da es gegen städtische Vorschriften verstieß, aber das ist nicht so wichtig. Andererseits die Präsenz einer Militärregierung, die sich letztlich wenig um die konventionelle territoriale Organisation scherte und sowohl im Süden als auch im Norden große Komplexe für vivienda de interés social (etwa: sozialen Wohnraum, Anm. d. Übs.) schuf, sie damit zu Anziehungspunkten für die Neuansiedlung machte und die Tendenz der Ausdehnung der Gesellschaft des Südens in den Nordteil der Stadt verstärkte. Drittens (wenngleich chronologisch an erster Stelle) das Entstehen einer starken Bewegung von MieterInnen, die nach eigenem Besitz von städtischem Land strebten und sich schließlich im Nordosten ansiedelten.

Es sollte zwei Jahrzehnte dauern, bis die herrschenden Klassen mithilfe der Stadtverwaltung wieder die Oberhand über das segregierte Wachstum der Stadt gewinnen würden. Hierbei verstärkten sie durch politische Maßnahmen die Tendenzen des Kapitals, das die Ware städtischer Boden als Mechanismus nutzt, die Ansiedlung der verschiedenen sozialen Sektoren nach Gebieten zu organisieren. Bis dahin enthielt der Norden jedoch bereits kleine, aber zahlenmäßig bedeutende „Inseln“ von Ansiedlungen einfacherer Gesellschaftsschichten, so dass die Nord-Süd-Trennung der Stadt nun durch die Trennung Zentrum-Peripherie ergänzt wurde: Mehr Armut und Bedürftigkeit in der städtischen Peripherie – von der eine im Süden weiterbesteht und eine zweite in den Norden hineingeschnitten ist – und weniger Not und Armut in den zentralen Bereichen jedes dieser Gebiete. 

Diese Segregation ist der gesellschaftlich-territoriale Inhalt des Wachstums der Stadt Quito. Sie gehorcht den Befehlen von Immobilienkapital und -besitz, die über den Markt weiterhin die gesellschaftliche Nutzung der Stadt definieren. Danach kommen die Mittelschichten mit Land- oder Wohneigentum, die mit dem Kauf und Verkauf im Allgemeinen der vom Großkapital vorgegebenen Linie folgen und sie gesellschaftlich mit Abertausenden von Einzelgeschäften verstärken. Und dahinter folgen schließlich die einfachen gesellschaftlichen Schichten, die zumeist versuchen sich auf zugelassenen Ländereien anzusiedeln. Bis vor einigen Jahren bauten sie sich ihre Häuser schlichtweg selber. Jetzt aber werden sie als eine Marktnische entdeckt, die allmählich für einige Bauherren interessant wird.

In der Regel segnet die Stadt ein solches Verhalten ab und legalisiert es, was dazu führt, dass es sich wiederholt. Die Zentralregierung trägt derzeit mit dem bono de la vivienda (einer staatlichen Wohnungszulage) dazu bei, dass weniger zahlungsfähige Wohnungsuchende, zu denen auch Teile der Mittelklasse gehören, mehr Liquidität für die Investition in den Bau erhalten. Das jüngste Beispiel: In der städtischen Verordnung vom 29. April 2010 zur Festlegung der Grundstücke, die für sozialen Wohnraum und kommunale Bauten vorgesehen sind, heißt es: „…befinden sich beinahe ausschließlich in den Gebieten, in denen sich bereits einfache Schichten angesiedelt haben, vor allem in den neuesten Siedlungsgebieten Quitumbe im Süden und Calderón im Norden.“

Das hier gezeichnete Bild von Quito bleibt jedoch unvollständig, wenn wir die Wirtschaft nicht mit einbeziehen. Quito ist wirtschaftlich gesehen die zweitwichtigste Stadt im Land. Acht der 20 größten Wirtschaftskonzerne des Landes agieren aus dieser Stadt heraus, darunter die größte Bank, die größte Handelskette und der wichtigste Hersteller von Lebensmitteln. Außerdem steht Quito an zweiter Stelle, was die industrielle Produktion anbelangt: beinahe 23 Prozent der Bruttoindustrieproduktion des Landes und beinahe 35 Prozent, wenn man die Erdölindustrie herausrechnet. Anders gesagt beherbergt Quito einen wichtigen Teil der wirtschaftlichen Macht des Landes. Wenngleich es nicht so scheint, als hätte diese ein besonderes Interesse an der territorialen Organisation und der Verteilung des Bodens, hat sie doch ein sichtbares Interesse daran entfaltet, dass der Staat (bzw. in diesem Fall die Stadtverwaltung) ihr angemessene Konditionen zur Reproduktion des Kapitals bietet. 

Wenn wir uns nun die Maßnahmen der gegenwärtigen Verwaltung einmal ansehen, werden wir mehrere zentrale Achsen erkennen. Dazu gehört zum Einen die administrative Umstrukturierung des städtischen Apparats. Diese hat zum Teil mit den Erfordernissen der neuen Bestimmungen der nationalen Politik zu tun. Infolge des von Alianza País vorangetriebenen „neuen Modells“ bedeutet das vor allem die Rückübernahme einer Reihe von Aktivitäten und Befugnisse, die zuvor aus dem städtischen Apparat, wenngleich nicht unbedingt aus der städtischen Kontrolle, ausgegliedert wurden. Zum Anderen wurde ein institutionelles Organigramm geschaffen, das stark an die Vorgabe der von der nationalen Regierung errichteten koordinierenden Superministerien erinnert. In jedem Fall behält die Umstrukturierung die Struktur bei, in der die Zuständigkeiten in die Zonen verlagert werden, was seit 1993 eingeführt wurde und anscheinend sowohl eine Reihe von Vorteilen enthält als auch gleichzeitig das Regieren einfacher macht.

Eine weitere Handlungslinie besteht in der Fortsetzung der von der Vorgängerregierung begonnenen Großprojekte. Dazu gehört insbesondere der neue Flughafen. Wenn dieser fertig ist, wird er riesige Flächen, die bisher fern der Zentren stärkeren städtischen Wachstums waren, aber dennoch zur Achse des Valle de Tumbaco gehören, für die städtische Nutzung zugänglich gemacht haben, auch wenn das eigentliche Ziel darin besteht, die globale Anbindung der wirtschaftlichen Aktivitäten enorm voranzubringen und Quito als Pol für die regionale Entwicklung zu stärken. 

Als dritte Achse ließe sich die Mobilität nennen oder einfach der Verkehr. Bürgermeister Barrera hat angekündigt, mit dem Bau einer U-Bahn beginnen zu wollen. Angeblich soll so das Problem des öffentlichen Transports gelöst werden, aber es geht hier um ein langfristig angelegtes Projekt, das über seine Amtszeit hinausgeht (wenngleich er nach der Verfassung auch ein zweites Mal gewählt werden könnte). Bislang hat er mit einigem Erfolg und mit der Unterstützung der BürgerInnen den Individualverkehr eingeschränkt. Dabei hat er das Pico y placa-Modell aus Bogotá übernommen, bei dem es in der Hauptverkehrszeit (hora pico) an je einem bestimmten Tag der Woche für Fahrzeuge, deren Kennzeichen auf je eine bestimmte Nummer enden, Fahrverbot (placa) gibt. Viertens schließlich geht es um Partizipation. Auch wenn die städtischen Beamten diese als etwas ganz Neues darstellen, gibt es augenscheinlich bisher wenig Unterschied zu in früheren Regierungsperioden verwendeten Modellen. Auch die klientelistischen Strukturen unterscheiden sich höchstens dadurch von den alten, dass die „Patrone“ heute andere sind und die Schaffung einer neuen Schicht von Führungspersonen und Zwischenmännern befördert wird.

So zeigt sich schließlich auch in der Verwaltung nicht viel Neues. Die städtischen Widersprüche drehen sich um Segregation und soziale Ungleichheit, aber es gibt keine Anzeichen in der städtischen Politik, die hier eine Änderung erwarten lassen. Im Gegenteil, die stadtpolitischen Maßnahmen passen sich weiterhin den gleichen Mustern von Segregation und Ungleichheit an. Weder die vorgegebenen Schablonen noch die grundsätzlichen Interessen der herrschenden Schichten werden angetastet. So könnte man zuletzt – auch das nicht überraschend – auf das Wohlgefallen oder vielleicht die Nachsicht hinweisen, mit der die Gruppen an der Macht die neue Verwaltung sehen. Auch war die Presse, normalerweise ein Sprachrohr von deren Interessen und höchst kritisch gegenüber der Landesregierung, mit dem Bürgermeister sehr vorsichtig. Sie hat sich sogar zum Fürsprecher für einige seiner Maßnahmen gemacht, wie wir nach der Ankündigung des Pico y placa-Verkehrskonzepts erlebt haben.

Mario Unda ist Soziologiedozent an der Zentraluniversität von Quito, Mitarbeiter des unabhängigen Stadtforschungszentrums CIUDAD und Herausgeber der linken Debatten-Zeitschrift R.

Übersetzung: Helgi Kaissling-Woubayehu