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Es geht nicht um Zelaya

Honduras: Der Putsch, die Oligarchie und die Interessen der internationalen Mächte

Als Hintergrund des Militärputschs in Honduras führen die großen Medien von ARD bis RTL und von der Frankfurter Rundschau bis zur Welt den „Linksruck“ des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya an, der sich von einem gemäßigten Liberalen zu einem Anhänger des venezolanischen Präsidenten Chávez entwickelt habe. Und da letzterer bekanntlich ein Roter ist, war das Panorama der Journaille, die überwiegend noch in den Kategorien des Kalten Krieges denkt, klar. Es ging einmal mehr um die Abwehr der kommunistischen Gefahr. Der folgende Beitrag der französischen Lateinamerikawissenschaftlerin Hélène Roux zeigt, welche Interessen die Putschisten bedienten und warum die Regierungen der USA und der EU darüber nicht besonders glücklich waren. Deren Problem ist nicht Zelaya, sondern die erstarkende soziale Bewegung, die sich gegen ihre Interessen richtet.

Hélène Roux

Es wäre stark untertrieben zu sagen, dass es in Honduras ein enges Geflecht von Massenmedien, Geschäftswelt, Militär und Politikerklasse gibt. Wie der ehemalige Präsident Carlos Flores Facussé (Liberale Partei, Eigentümer der Tageszeitung La Tribuna) stehen ausnahmslos alle großen Medienbesitzer als einflussreiche Persönlichkeiten im Machtzentrum der beiden bedeutendsten Parteien (Liberale und Nationalisten), die sich von jeher in der Macht abwechseln – mit Ausnahme der insgesamt 16 Jahre, in denen das Militär in der jüngsten honduranischen Geschichte regierte.1

2006 beschrieb die honduranische Journalistin Thelma Mejía in einem Kommentar zu einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über die Machtgruppen in Zentralamerika die Praktiken der lokalen Oligarchie folgendermaßen: „Die Unternehmer der arabischstämmigen Community – Miguel Facussé Barjum, Investor in der Agroindustrie, sein Schwiegersohn Fredy Nasser, Schucry Kafie, Wärmeenergiemagnat, und der Bankier, Industrielle und Handelschef Jaime Rosental, sind die mächtigsten Menschen in Honduras. Nasser und Kafie kontrollieren das Wärmeenergieimperium, und die Handelsaktivitäten des ersteren umfassen die Konzession der wichtigsten nationalen Flughäfen sowie Aktienanteile an verschiedenen Telefongesellschaften. In dieser Wirtschaftsgruppenhierarchie folgt an Bedeutung der kubanischstämmige Unternehmer José Lamas, der im Holzgeschäft tätig ist und Aktien an Banken und Kraftstoffunternehmen hält.

Im Bereich der Medienunternehmen, die seit Beginn der neunziger Jahre an Einfluss gewonnen haben, sind die wichtigsten Unternehmer Rafael Ferrari (Televicentro, Emisoras Unidas, HRN), Carlos Flores Facussé ( Liberale Partei – Tageszeitung La Tribuna), Ex-Präsident des Landes (1998-2002) und Neffe von Miguel Facussé, und Jorge Canahuati Larach (Nationale Partei – El Heraldo, La Prensa). Nach Ansicht des Jesuitenpriesters Ismael Moreno‚ Direktor des fortschrittlichen Radiosenders Radio Progreso haben [diese Gruppen] Beziehungen untereinander und zum honduranischen politischen System, in dem sie so außerordentlichen Einfluss haben, dass sie sogar von sich behaupten, Regierungen einzusetzen; sie bestimmen die Prioritäten in den Medien und sind die Hauptfinanziers von politischen Kampagnen'.

‚Es ist kein Zufall, dass diese Familien im Parlament oder in der Exekutive vertreten sind. Sie beherrschen die Kunst einzugreifen, zu verlangen und einzufordern. Der Staat scheint ihrer Gnade ausgeliefert und die Regierungen sind ein Mittel, ihre Macht und Profite zu mehren.' (...) Ein Präsidentenberater, der seinen Namen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen möchte, erklärte gegenüber IPS, dass diese Gruppen unersättlich sind, sie fordern immer mehr. Vor zwei Monaten erklärten sie anlässlich eines Treffens mit Präsident Manuel Zelaya, dass in den Achtzigern die grundlegenden politischen Entscheidungen für das Land in den Kasernen fielen, doch dass nunmehr sie, die Unternehmer diese Rolle übernommen hätten.“2
Hieraus folgt zunächst, dass der Zugriff der Wirtschaftsmacht auf den Staatsapparat jede Regierung – unabhängig ihrer Parteicouleur – zwingt, die Interessen der wahren Entscheider zu wahren; vor allem aber die einträglichen Geschäfte von bestimmten Personen nicht als unrechtmäßig zu bezeichnen.

Wirtschaftliche Interessen stimmen auch nicht unbedingt mit politischen Loyalitäten überein. Es überrascht daher nicht, dass konservative Medien und Unternehmer gemeinsam mit liberalen aktiv den Staatsstreich unterstützt haben. Die Furcht vor Einschränkungen oder Einschnitten ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten war für die lokale Oligarchie ein mehr als ausreichendes Motiv, um zu versuchen, einen Präsidenten loszuwerden – selbst einen, der ihren eigenen Reihen entstammt –, der so rücksichtslos war, ihre ansehnlichen Interessen zu gefährden. Dieses komplexe Bild wird zusätzlich durch den Umstand kompliziert, dass die verschiedenen Regionen unterschiedliche Wirtschaftssektoren fördern. Die Förderung der Wirtschaftsentwicklung bestimmter Regionen kann so als Benachteiligung anderer erscheinen.

Das EU-Strategiepapier 2007-2013 über die Kooperationsprogramme der Europäischen Union hebt etwa „eine Fragmentierung des Territoriums einhergehend mit zunehmenden Ungleichgewichtserscheinungen im Bereich der territorialen Entwicklung“ hervor. „Die Handelsliberalisierung im Rahmen des CAFTA wird mit Sicherheit den bereits exportierenden Regionen zugute kommen und gleichzeitig zu einer Verarmung jener Regionen führen, die weniger wettbewerbsfähige Güter produzieren, insbesondere in der Landwirtschaft. Dieselbe Wirkung dürfte der Ausbau eines wichtigen Infrastrukturnetzes, das Honduras mit seinen Nachbarn verbinden soll, haben: Vermutlich fördert er den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung entlang der Hauptverbindungsachsen, während die ländliche Bevölkerung, die ohnehin am schlimmsten unter der Armut leidet, davon ausgeschlossen bleibt. Besonders die überwältigende Mehrheit der ländlichen Bevölkerung in den Waldgebieten läuft Gefahr, massiv von Landflucht betroffen zu werden.“3

So vertritt also der industrialisierte Norden nicht unbedingt die selben Wirtschaftsinteressen wie der Westen, wo Kaffee angebaut wird, oder das Departement Olancho, wo sich die Holzabbauaktivitäten konzentrieren. Insofern haben bestimmte politische Maßnahmen direkt die Wirtschaftsaktivitäten bestimmter Familien begünstigt, wofür Miguel Facussé als Vorstand der Gruppe DINANT und Eigentümer u.a. von Palmölraffinerien ein gutes Beispiel bietet. Nachdem er 1992 aktiv das Gesetz zur Modernisierung der Landwirtschaft unterstützt hatte, das den Zugang zu Grundeigentum neu festlegte und die Bodenprivatisierung erleichterte, hat er sich nach und nach – und zu lächerlich geringen Beträgen – einen Großteil von Ländereien angeeignet, die bis dato landwirtschaftlichen Genossenschaften gehört hatten. Diese waren in den 60er und 70er Jahren gefördert worden, in einer Phase, als Honduras im Rahmen der „Allianz für den Fortschritt“ einen Bodenumverteilungsprozess erlebte. Das Ziel war damals die Kontrolle der ländlichen Gebiete. Die neu gegründeten Genossenschaften wurden schon sehr früh angehalten, Palmöl zu produzieren. Heute ist Honduras der unangefochten führende Hersteller in der Region. Das Palmöl stellt zehn Prozent des BIP des Landes dar. Im Zeitalter des Aufschwungs der Agrokraftstoffe ist es daher wohl das Wohlwollen der Institutionen, die im Bereich der Energieträger das entscheidende Wort haben, ausschlaggebend.

Sowohl auf politischem wie auch auf dem Gebiet des „Green Business“ können Entscheidungen der einen Seite die Interessen der anderen beeinträchtigen. Nun steht aber in Honduras für beide Seiten sehr viel auf dem Spiel; vor Ort können Rivalitäten zwischen den Interessengruppen, wenn es etwa um Subventionen oder Marktzwänge geht, schärfere Form annehmen, als es die Auseinandersetzungen zwischen Lobbyisten tun, die in Form höflicher Vorträge in den Räumen von internationalen Institutionen und Geldgebern stattfinden. Man muss die Rolle der lokalen Akteure im Blick haben, dabei jedoch auch ihre Positionierung im übergreifenden Rahmen regionaler Wirtschaftsinteressen berücksichtigen. Um die bisher von vielen internationalen Beobachtern – aber nur wenigen Honduranern – bevorzugte geopolitische Interpretation zu überwinden, muss man den aktuellen Konflikt und die internationalen Verhandlungen zu seiner Lösung aus einer geostrategischen Perspektive erfassen, indem man untersucht, inwieweit die aktuell auf dem Spiel stehenden internationalen Wirtschaftsinteressen mit den unmittelbaren Sorgen der lokalen Akteure übereinstimmen oder von ihnen abweichen.

Tatsächlich reicht es nicht allein aus, das Gespenst des Kommunismus in seiner aktualisierten Version „Sozialismus für das 21ste Jahrhundert“ hervorzuholen, noch ist es hinreichend, an die Biographien der honduranischen Militärs und ihre Verbindungen zur School of the Americas zu erinnern – selbst wenn letztere nicht unterschätzt und noch weniger verborgen werden sollten –, um das gesamte Ausmaß der wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen zu erfassen, die gegenwärtig verhandelt werden.

Plan Mesoamérica

Honduras ist ein Schlüsselelement in verschiedenen Projekten zur regionalen Integration, in denen sowohl die USA als auch die Europäische Union teils konkurrierende, oft aber sich ergänzende Interessen vertreten. In ersterem Fall handelt es sich um den Plan Mesoamérica, in letzterem um die Verhandlungen rund um das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den Ländern Zentralamerikas. Der Plan Mesoamérica ist ein ambitioniertes Projekt zum Infrastrukturausbau, der ursprünglich im Jahr 2000 als Plan Puebla-Panamá das Licht der Welt erblickte. Nach mehreren Jahren in der Warteschleife wurde der Plan 2006 reaktiviert und auf Kolumbien ausgedehnt. Von großer Bedeutung ist das Projekt, die Stromversorgung des gesamten Zentralamerika (SIEPAC) zu vernetzen. Es soll hauptsächlich zur „Begünstigung des Geschäftsklimas“ beitragen – so die offiziellen Dokumente – d.h. die Ad-hoc-Mittel bereitstellen, um den Betrieb von Unternehmen zu sichern, die sich in der Region ansiedeln würden, auf lange Sicht jedoch auch das zentralamerikanische Stromsystem an den US-Markt anzuschließen. Aus diesem Grund stehen verschiedene Unternehmen, vor allem aus der EU, in den Startlöchern für den Bau von Infrastrukturmaßnahmen (Staudämme, Windkraftprojekte) und den Vertrieb (besonders die spanische Unión Fenosa).

Auch der Ausbau des Straßen- und Hafennetzes, mit dem der Warenfluss gesichert werden soll, ist ein wichtiger Bestandteil des Plan Mesoamérica. Und hier spielt Honduras eine entscheidende Rolle. Tatsächlich ist es das einzige zentralamerikanische Land mit modernen und vor allem gut angebundenen Hafenanlagen am Atlantik. So liegt Puerto Cortés, das New Orleans direkt gegenüber liegt, ganz in der Nähe von San Pedro Sula, der Industriehauptstadt des Landes und wichtigster Maquiladora-Standort. Die IDB (Interamerikanische Entwicklungsbank), die BCIE (Zentralamerikanische Bank für wirtschaftliche Integration), die Weltbank, zwischenstaatliche Organisationen und regionale Regierungen weisen dem Bau des interozeanischen Korridors4, einer Schnellstraße (auch als Trockenkanal bekannt) zwischen Puerto Cortés und dem Hafen La Unión an der Pazifikküste El Salvadors, ein Budget von 250 Millionen Dollar zu. Erinnern wir uns, dass auch El Salvador ein Hauptstandort für die Ansiedlung von Maquiladoras ist. Vor allem ist jedoch das strategische Interesse an einer Verbindung zwischen den beiden Küsten zu berücksichtigen; zwischen der Küste, die den USA zugewandt ist und der, die Asien im Blick hat mit seinen riesigen Märkten und seinen noch billigeren Lohnkosten als die zentralamerikanischen Standorte. Zwei weitere Korridore sollen die honduranische Atlantikküste mit El Salvador verbinden, für deren Bau ebenso Hunderte Millionen Dollar vorgesehen sind. Geplant ist ferner ein Tourismuskorridor, gleichfalls von der Atlantikküste Honduras' zum mexikanischen Hafen Coatzalcoalcos (Veracruz), ein wichtiger Industrie- und Erdölterminal, der seinerseits eine nicht minder strategische Verbindung mit Salina Cruz am Pazifikstreifen des Tehuantepec-Isthmus (Oaxaca) hat.

Abschließend muss man Honduras' politische Position in den übergreifenden Kontext des die gesamte Region betreffenden Energieprojekts stellen. Zum einen entwickelt sich Honduras – wie bereits erwähnt – zu einem wichtigen Glied in der Agrokraftstoffproduktionskette. Gespräche mit Kolumbien und Brasilien über die Ansiedlung von Palmölverarbeitungsbetrieben sind bereits im Gange. Zum anderen hatte sich Honduras, wie andere Länder der Region, um den Standort einer vom Plan Mesoamérica vorgesehenen zentralamerikanischen Erdölraffinerie beworben. Auch hier profitiert Honduras von seiner Topographie, wogegen Guatemala aufgrund starker Gefälle schlechtere Aussichten hat. Die seit 2006 diskutierte Raffinerie sollte im Rahmen des IPEM (Programm über den mittelamerikanischen Energieverbund) entstehen, das Belize, Kolumbien, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Mexiko, Nicaragua, Panama und die Dominikanische Republik umfasst. Doch obgleich die BID die Mittel für die Prospektionsarbeiten freigab, scheint das hauptsächlich von Mexiko vorangetriebene Projekt wieder an einem toten Punkt zu sein. Darüber hinaus gibt es jetzt ein neues (von Venezuela betriebenes) Konkurrenzprojekt, das Nicaragua als Raffineriestandort vorsieht. Nun ist es aber interessant, dass Präsident Zelaya mit seinem Beitritt zu ALBA auf die Vorteile aus der Unterzeichnung des PETROCARIBE-Abkommens setzte. Da die lokale politisch-ökonomische Klasse übrigens auf die Profite rechnete, die ein preiswerterer Kraftstoff einspielen könnte, war sie im Ganzen für dieses Abkommen. Dieser Übersicht sind noch die Interessen der Bergbauunternehmen hinzuzufügen, insbesondere der kanadischen, deren aggressive Prospektions- und Schürfpolitik seit Jahren die regional zusammenarbeitenden sozialen Bewegungen mobilisiert, die den Kern der Widerstandsfront gegen die Bergbauindustrie stellen.

Die EU und ihre Unternehmen bleiben in diesem Spiel auch nichts schuldig und setzen ihre eigenen Spielsteine. Angefangen mit den Wiederaufbauprojekten nach dem Hurrican Mitch (nach zehn Jahren noch aktuell) über Wasserversorgungsverträge und die weitgehend von der mächtigen deutschen Entwicklungsagentur GTZ kontrollierten Bewirtschaftung von Naturressourcen bis zu den aktuellen Handelsabkommensverhandlungen (AdA) ist die EU ein sehr präsenter Akteur, einflussreich nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf politischem Terrain. Im Rahmen des „politischen Dialogs“, einer der Säulen der AdA-Verhandlungen, fließen Mittel für die Instrumente der regionalen Integration. Diese Ausführungen lassen den Schluss zu, dass die aktuell aufgeführte diplomatische Choreographie, die in Honduras für die Wiederherstellung der institutionellen Ordnung sorgen soll, ganz anderen Interessen gehorcht als nur einer ideologisch begründeten Unterstützung oder Ablehnung Präsident Zelayas. Angesichts der auf dem Spiel stehenden Interessen war es nicht anzunehmen, dass die USA oder gar die EU das Putschabenteuer abgenickt hätten, das die laufenden Geschäfte mit Sicherheit stören würde. Auch von zentralamerikanischer Seite hört man verärgerte Töne: Ein kurzer Blick auf die regionalen Medien – hauptsächlich in Costa Rica – zeigt, wie aufgebracht die politischen Führer und die Unternehmerklasse sind, die sich über die resultierenden Verzögerungen in den Handelsgesprächen, insbesondere mit der EU, beschweren.

Am 30. Juni berichtete die New York Times, ein offizieller Vertreter der US-Regierung habe erklärt, dass „man die Frage diskutiere, wie man den Präsidenten seines Amtes entheben könne, wie er verhaftet werden könnte und womit man dies begründen könne“. Doch die Zeitung fuhr fort: „Der Regierungsvertreter sagte, dass sich die Spekulationen auf juristische Manöver zur Absetzung des Präsidenten beliefen, nicht auf einen Staatsstreich“. (New York Times, 30. Juni 2009) Tatsächlich hatten die vorbereitenden Schritte ziemlich genau darauf abgezielt, so etwa Otto Reichs Erklärungen von vergangenem April, in denen er Präsident Zelaya der Korruption bezichtigte, da dieser Angestellte des Staatsunternehmens Hondutel gedeckt – und sogar ermutigt – hätte, die Bestechungsgelder von der US-Firma Latin Node angenommen haben sollen. In Miami wurde ein Verfahren eingeleitet und während Latin Node auf schuldig plädierte und eine Strafe von zwei Millionen US-Dollar zahlte, reiste ein wütender Präsident Zelaya dort hin, um seine Gegner wegen Diffamierung anzuklagen. Er argumentierte, es handele sich um bösartige Verleumdungen, weil Otto Reich, vormals hochrangiger US-Funktionär und nunmehr Anwalt für Handelsrecht, die Interessen von direkten Konkurrenzunternehmen von Latin Node vertrete. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, die für dieses Argument sprechen, kann man in dieser Auseinandersetzung nicht die Augen davor verschließen, dass der wachsende Telekommunikationsmarkt heiß umkämpft ist. Ebenso wenig kann man übersehen (ohne im Moment einen offensichtlichen Zusammenhang mit dieser Affäre herstellen zu können), dass zwei honduranische Expräsidenten, Leonardo Callejas und Ricardo Maduro (Nationale Partei), 2006 vom Telekommunikationsunternehmen Witel angeheuert wurden, um bei der Eroberung und dem Ausbau der zentralamerikanischen Kommunikationsdienstleistungsmärkte zu helfen.

Die Korruptionsvorwürfe sollten die Absetzung des Präsidenten rechtfertigen und solch ein juristisches, streng legalistisches Szenario würde jedenfalls gut zum Image passen, das US-Regierung und Europäische Union als Wahrer demokratischer Normen für sich reklamieren. Um so mehr, als das Vorgehen von den Beziehungen zwischen US-Lobbyisten und hohen Beamten des Obersten Gerichtes von Honduras profitiert hätte. Doch während sich ihre entfernten Mentoren mit einem Szenario anfreunden konnten, das ihre langfristigen Wirtschaftsinteressen nicht gefährdete, musste die honduranische Oligarchie aus nächster Nähe mit ansehen, wie die vor Vitalität strotzende soziale Bewegung immer stärker wurde, und war daher nicht bereit, einen günstigen Augenblick abzuwarten. Paradoxerweise hat die klarsichtige Beobachtung, dass die Veränderungsbestrebungen aus der Bevölkerung zu einer neuen Definition von Macht und Demokratie führen würden, die politische Klasse und das Militär zu diesem brutalen Ausfall gedrängt. So urteilte Bertha Oliva de Nativi, die Präsidentin der Menschenrechtsorganisation COFADEH: „Die Gruppen, die Leute, die von jeher dieses Land kontrollieren, lebten im Zustand ewiger Straflosigkeit, der ihnen die Macht über das gerade mal so überlebende Volk sicherte. Sie haben also begriffen, dass sie, sollte das honduranische Volk einmal gefragt werden, die Kontrolle und die Fähigkeit zur Manipulation des Obersten Gerichts, des Kongresses, des Obersten Rechnungshofs, des Wahlleiteramts, der Behörden verlieren würden. Das machte ihnen nämlich Angst. Also haben sie sich beeilt und diese Tolpatschigkeit begangen.“

In Honduras mehren sich die Zweifel am Fortbestand des nach außen bekundeten Zusammenhalts zwischen putschenden Politikern und Militärs. Mit der Dauer der Krise bekunden Politiker Zweifel und als ihr Wunsch, ihre politische Karriere und ihre ökonomische Zukunft zu sichern, Oberhand gewinnt, versuchen einige, sich unauffällig aus dem Spiel zu stehlen. Dies gilt etwa für den Expräsidenten Carlos Flores Facussé, der seit Anfang Juli versucht haben soll, als Vermittler mit Washington aufzutreten. „Sie sahen den Staatsstreich als Mittel, uns Angst zu machen. Meiner Ansicht nach haben wir hier eine extrem gierige politische Klasse, die zudem Straflosigkeit genießt. Diese Konstellation hat dazu geführt, dass sie immer weitergingen, weil sie davon ausgingen, dass die Bevölkerung es wegen ihrer sicheren Straflosigkeit hinnehmen würde... Ich glaube aber, dass sie sich darin täuschen, sie haben sich verrechnet“, meint Bertha Oliva de Nativi.

Wenn am Ende ein Sündenbock die Krise beenden muss, wird sich die Armee mit Sicherheit dagegen sträuben, diese Rolle zu übernehmen, die bestimmte Politiker und Unternehmer ihr anscheinend schon zuschreiben möchten, die hoffen, sich von ihrer eigenen Beteiligung am Putsch reinzuwaschen. Zwar haben zahlreiche Militärangehörige in puncto Widerstandsbekämpfungstechniken eine „gute Schule“ durchlaufen (die School of the Americas), doch scheint diesmal der Schüler beim Versuch, den Meister zu übertrumpfen, nicht rechtzeitig erkannt zu haben, dass die altbewährten Rezepte inzwischen nicht mehr gelten: „Es gibt jetzt eine Kraft, die sie nicht kontrollieren, und ich glaube, dass sie diesen Aspekt nicht genügend berücksichtigt haben, weil sie sich auf in der Vergangenheit erzielten Resultate bezogen haben, d.h., als die Leute sich in ihre Häuser einschlossen“, erklärt Bertha Oliva de Nativi. Wie der Großteil der von der internationalen Solidarität verkannten und oft vergessenen sozialen Organisationen wurde die COFADEH unter den Schlägen der Repression stärker – man könnte auch sagen härter.

Gestärkt durch diese Erfahrung, durch die Lehren aus den dunklen Stunden der Diktatur, erwiesen sich die von den Putschisten bemerkenswert unterschätzten honduranischen Volksorganisationen in diesem neuen Test als das konsequenteste Element in der Widerstandsfront. Den Anhängern der amtlichen Verhandlungen hinter den Kulissen und den wetterwendischen Politikern wird es schwerfallen, eine Lösung von oben durchzusetzen, denn wenn der Putsch wenigstens einen positiven Aspekt haben könnte, dann wäre es die Gelegenheit für die honduranische soziale Bewegung, das volle Ausmaß ihrer Stärke und die bis dato unvermutete Fähigkeit, die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen, zu erkennen.

Anders als einige wohl annehmen, liegt die Lösung des Konflikts und die Zukunft Honduras' nicht in der Wiederherstellung einer Demokratie, deren Fassade von Washington gepriesen wird, noch in den Zukunftsversprechungen von ALBA. Vielmehr wurzelt sie in der unaufhörlichen Mobilisierung der Garífuna-Communities (Nachfahren afrikanischer SklavInnen an der Karibikküste) gegen die Invasion ihrer Küstengebiete durch Touristenzentren; im unermüdlichen Kampf der Bauern von Olancho, die sich an Bäume ketten, um sie vor Holzschmugglern zu schützen; im Widerstand der Bauern vom Movimiento Campesino del Aguán gegen die Enteignung ihrer Böden; in den Lohnkämpfen der Bananen- und MaquiladoraarbeiterInnen; in der Weigerung der Lehrer, den Unterricht unter einer Diktatur wiederaufzunehmen; im Aufruf der Indigenen Völker im COPINH, deren „lebensvolle Stimmen mit der Kraft der Vorfahren der Iselaca, Lempira, Mota und Etempica Gerechtigkeit, Würde und Frieden“ verlangen; und im Slogan, der auf den COFADEH-Demonstrationen den Takt angibt: „Taten und Täter – kein Vergessen, kein Vergeben!“

„Taten und Täter – kein Vergessen, kein Vergeben!“

Diesen Slogan rufen die von der internationalen Öffentlichkeit ignorierten Menschen. Er ertönt zwischen den Kommuniqués der „Widerstandsfront gegen den Staatsstreich“, in der sich sowohl die Anhänger Zelayas als auch Kritiker seiner Amtsführung in der Zurückweisung der Diktatur und der Forderung nach einer „wahren Demokratie“ vereint haben. Aus den Reden der sozialen Organisationen hört man heute heraus, dass die Rückkehr des abgesetzten Präsidenten weniger wichtig ist als die „vierte Urne“, das Projekt einer Verfassunggebenden Versammlung. Was immer geschieht, nichts wird in diesem weitgehend unbekannten Land unverändert bleiben.

Hélène Roux war freie Journalistin in Mexiko und Mittelamerika (1990-2003) und nahm an mehreren Menschenrechtsdelegationen in Mexiko und Honduras teil. Derzeit schreibt sie an der Sorbonne in Paris eine Dissertation über Landrekonzentration und Machtverhältnisse in Nicaragua. - Übersetzung aus dem Französischen von Carina Ceschi – Der Text wurde von der ila-Redaktion auf rund zwei Drittel seines ursprünglichen Umfangs gekürzt.