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Wal-Mart und die Mühen des Kaffeeberges

Wie sich der Multi in El Salvador noch breiter machen will

Wer in El Salvador in eine Despensa de San Juan, eine Despensa Familiar oder in einen Hiper Paíz geht, merkt nicht, dass sie oder er bei Wal-Mart einkauft. Auch Wal-Marts Vorhaben, oben am Hausberg von San Salvador, dem Vulkan El Boquerón, ein riesiges Einkaufszentrum zu errichten, hat nur in den umliegenden Gemeinden Furore gemacht. Die liegen im Municipio Mejicanos, das zum Hauptstadtdistrikt von San Salvador gehört. Sein gerade wiedergewählter Bürgermeister, Roger Blandino Nerio, Ex-Guerilla-Kommandant und Mitglied der Politischen Kommission der FMLN, erzählt die Geschichte von der Auseinandersetzung mit Wal-Mart und von der Befürchtung, dass sie noch nicht zu Ende ist.

Roger Blandino Nerio
Eduard Fritsch

Wal-Mart ist auf leisen Sohlen nach El Salvador gekommen. Im September 2005 kaufte Wal-Mart Stores Inc. dem Einzelhandelsmulti Royal Anhold NV dessen Anteil von 33 Prozent an der Central American Retail Holding Company (CARCHO) ab. Zur CARCHO gehörten die 1928 von Carlos Paíz Ayala in Guatemala gegründete Supermarktkette La Fragua, die 1960 in Costa Rica gegründete CSU und die Corporación de Compañias Agroindustriales (CCA), an der salvadorianische Einzelhändler beteiligt waren. Im März 2006 erhöhte Wal-Mart seinen Anteil auf 51 Prozent und aus CARCHO wurde Wal-Mart Centroamérica. Zu dieser Tochter des größten Einzelhandelskonzerns der Welt gehören heute Supermarktketten in Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica. In El Salvador sind es die Ketten Despensa de San Juan mit 32 Läden, Despensa Familiar mit 46 Läden und Hiper Paíz mit zwei Einkaufszentren.

Das Municipio Mejicanos, mit heute ca. 250 000 EinwohnerInnen das drittgrößte im Hauptstadtdistrikt San Salvador (AMSS), wird seit 1997 von der FMLN regiert. Das alte Zentrum von Mejicanos liegt am Fuß des Vulkans Boquerón und war einst in weiten Teilen noch ländlich geprägt. Wie überall im Ballungsgebiet von San Salvador hat sich die Urbanisierung in den letzten Jahrzehnten den Berg hoch in die Kaffeeplantagen, die vormals den Vulkan bewaldeten, gefressen. Unter der FMLN-Bürgermeisterin María Flores del Cid wurde 1999 der Flächennutzungsplan geändert; die Bebauungsgrenze wurde nach oben verschoben, um den Bau des Stadtteils La Gloria zu ermöglichen. Der Logik des Plan Puebla Panama folgend, nämlich die physischen Voraussetzungen für den Freihandel zu schaffen, wurden in der Regierungszeit von Francisco Flores (1999-2004) und Tony Saca (2004-2009, seine Amtszeit läuft gerade aus) der parallel zum Berg verlaufende Boulevard Constitución und oberhalb davon eine zweite Ringstraße, die 75. Straße Nord, verlängert bzw. ausgebaut, beides Bestandteile des anillo periférico, einer Art Autobahnring um San Salvador herum, der den Schwerverkehr zwischen den Pazifik- und Atlantikhäfen und entlang der Panamericana erleichtern soll. Damit wurden zwei alte Straßen durchschnitten, die dereinst angelegt worden waren, um den Kaffee den Berg hinab zu transportieren. So kreuzen sich an den Hängen des Boquerón die geographischen Linien der Kaffeewirtschaft mit jenen der neoliberalen Anbindung an den Weltmarkt und hinterlassen zerstückelte Kaffeeplantagen, die Parzelle um Parzelle gefällt und bebaut werden. 

Was hat das mit den Investitionsplänen von Wal-Mart zu tun? Wer die Pläne für den anillo periférico frühzeitig kannte, und das pflegen die Wirtschaftsmächtigen der Gegend zu sein, kaufte noch schnell Kaffeeland zu ländlichen Bodenpreisen. Zu den Früherwissern zählte offenbar Wal-Mart. Der Konzern kaufte sich Ende 2004, Anfang 2005 ein verbleibendes Stück von über zwei Hektar der vormaligen Kaffeefinca San Fernando, das unmittelbar an der Verlängerung des Boulevard Constitución gelegen ist. Das Gelände lag unterhalb der neuen Bebauungsgrenze von Mejicanos, so dass von dieser Seite her dem Bau eines neues Hiper Paíz-Einkaufszentrums nichts im Wege stand. 

Als die Vertreter von Wal-Mart, zwei Architektinnen und ein Rechtsanwalt aus der Abteilung für institutionelle Beziehungen des Konzerns, Ende 2007 zum ersten Mal im Rathaus von Mejicanos aufkreuzten, hatte die Gemeinde wegen des seit 1999 geltenden Flächennutzungsplanes keine juristische Handhabe, die Bauerlaubnis zu verweigern – umso weniger als die Konzernvertreter die entsprechende Bescheinigung des nationalen Umweltministeriums mitbrachten. Dazu muss man wissen, dass nach dem salvadorianischen Umweltgesetz die Firma, die einen Bau plant, die Umweltverträglichkeitsstudie machen muss, die daher kaum unabhängig ausfällt. Auch ist der derzeitige Umweltminister mit großen salvadorianischen Baufirmen verbandelt. 

In den Umwelt- und Stadtentwicklungsabteilungen von Mejicanos und im Gemeinderat war schnell klar, dass man nur noch an den konkreten Bebauungsplänen, die Wal-Mart vorlegte, einhaken konnte. So behauptete der Konzern, lediglich 67 Bäume müssten geopfert werden. Gemeindevertreter zählten über 240. Des Rätsels Lösung: Wal-Mart hatte nur Bäume eines gewissen Durchmessers zählen lassen, die Kaffeebäume, die aus Bewirtschaftungsgründen klein und „dünn“ gehalten werden, sollten unter den Verhandlungstisch fallen. Der riesig dimensionierte Parkplatz sollte total zubetoniert werden. Das Regenwasser – in der tropischen Regenzeit heftig niederprasselnde, große Mengen –, das wegen der Bodenversiegelung nicht mehr versickern kann, sollte oberirdisch in die Bergschluchten geleitet werden. Aber im Rathaus von Mejicanos erinnert man sich noch gut an die Katastrophe im benachbarten Stadtteil Montebello, als 1982 fünf Millionen Quadratmeter Erde den Berg herunterkamen, und an den August 2006, als wegen des Ausbaus der 75. Straße Nord zum ersten Mal in der Geschichte von Mejicanos das alte Stadtzentrum überschwemmt wurde.

Im Laufe der Verhandlungen reagierte Wal-Mart mit dem Vorschlag, die Schluchten zu bewalden und darüber hinaus bis zu 30 000 Bäume pflanzen zu lassen. Auch in unseren Breiten hat sich aber allmählich herrumgesprochen, dass kompensatorisches Bäumchenpflanzen keine Biotope ersetzen kann. Zunächst lagen aber noch die Wal-Mart-Vorschläge für soziale Kompensationen auf dem Tisch1: Fußgängerbrücken über den Boulevard Constitución an den beiden Ecken des künftigen Einkaufszentrums. Da es an einer Ecke bereits einen mit einer Verkehrsampel geschützten Überweg gibt, war klar, dass die Brücken vor allem den künftigen Wal-Mart-KundInnen zugute kommen. Des Weiteren versprach der Konzern, einheimische Arbeitskräfte zu bevorzugen. Die Gemeindevertreter machten klar, dass sie mehr als ein Versprechen wollten, nämlich die Kontrolle darüber, wer denn wirklich eingestellt wird. 

Da die Gemeindeverwaltung von Mejicanos von Anfang an in der Defensive war, wurde parallel zu den Verhandlungen Ende 2007 ein Konsultationsprozess eingeleitet, der von November 2007 bis 2008 dauerte, einschließlich Besuche der Wal-Mart-VertreterInnen in den betroffenen Gemeinden. In einer ersten Phase legte die Gemeindeverwaltung den VertreterInnen der betroffenen Gemeinden dar, dass man beim Stand der Dinge keine juristischen, sondern lediglich moralische und technische Argumente habe. Weil viele Leute noch die Niederlagen im Kampf gegen den anillo periférico in frischer Erinnerung hatten, entschied man sich für eine Verhandlungslinie. Schnell waren 35 Forderungen unterschiedlicher Art zusammen. Daraufhin schlug die Gemeindeverwaltung vor, sich auf ein paar Kernforderungen zu konzentrieren. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass sich der Widerstand zersplittert, und der Konzern würde versuchen, auf die einfachen Forderungen Stück für Stück einzugehen, um den Widerstand insgesamt zu befrieden. Der Vorschlag wurde angenommen und heraus kamen drei Hauptforderungen – eine Zufahrtsstraße zum Armen-Stadtteil Las Marías; der Ausbau der Straße vom Stadtteil Tres Caminos hinunter zum Boulevard Constitución sowie die Anlage eines Freizeitparks im Stadtteil La Gloria Außerdem fordert die Gemeinde Mejicanos, das Parkplatzproblem zu entschärfen, mit Hilfe von gramoquinas – Betonrahmen, in denen Gras gesät wird – statt die ganze Fläche zuzubetonieren. Des Weiteren sollten die anfallenden Massen von Regenwasser nicht schnurstracks in die Schluchten, sondern in unterirdische Tanks geleitet werden, aus denen sie dann geordnet abfließen können.

Als die Forderungen und Änderungsvorschläge für den Bebauungsplan ausgearbeitet wurden, versuchten die Wal-Mart-VertreterInnen, Druck auf die Gemeindeverwaltung auszuüben, offenbar um noch vor Beginn der Regenzeit 2008 (Ende April, Anfang Mai) mit den Terrassierungsarbeiten anfangen zu können. In diesen Verhandlungen wedelte Wal-Mart mit seinen Umwelttauglichkeitsbescheinigungen und drohte indirekt mit einer Klage. Doch seit Beginn der Regenzeit 2008 hat der Konzern den Druck auf die Gemeinde Mejicanos eingestellt. 

Zurück bleibt eine Gemeinde, in der spekuliert wird, ob es die Regenzeit, die Gemeinde-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Januar und März 2009 oder die Wirtschaftskrise in den Metropolen ist, oder alles zusammen, was die Wal-Mart-Pläne vorläufig gestoppt hat. Sollte es dabei bleiben, droht eine neue Gefahr: Wal-Mart könnte eine Klage gegen den salvadorianischen Staat nach den Regeln der ICSID-Konvention anstrengen (International Convention for Settlement of Investment Disputes). Seit Bolivien Ende 2007 die „Gemeinschaft“ der Vertragsstaaten dieser Konvention, die Streitigkeiten zwischen Staaten und Privatinvestoren schlichten soll, verlassen hat, sind es noch 155 Staaten, die die Konvention unterzeichnet, und 143, die sie ratifiziert haben. Nach dem Jahresbericht 2008 der ICSID erhöhte sich letztes Jahr mit der Rekordzahl von 48 neuen Klagen der Bestand des Pseudo-Gerichtes auf 268 Fälle (155 sind abgeschlossen, unseres Wissens nach alle zu ungunsten der „verklagten“ Staaten). 

„Drei multilaterale Handels- und Investitionsverträge, NAFTA, DR-CAFTA, der Freihandelsvertrag zwischen Zentralamerika und der Dominikanischen Republik und den USA, und der Energiecharta-Vertrag (ECT) sind die juristische Grundlage für fünf der neuen Fälle. Die Mehrzahl der neuen Klagen sind auf der Grundlage von bilateralen Freihandelsverträgen eingereicht worden“, heißt es in dem Jahresbericht. 

Schlussbemerkung des Nacherzählers: Wal-Mart kann nach ICSID-Regeln nicht gegen die Gemeinde Mejicanos klagen, nur gegen die Zentralregierung. Sollte ARENA wieder die Präsidentschaftswahlen gewinnen, wird es von der Zentralregierung heftigen Druck auf die Gemeinde Mejicanos geben; bei der FMLN und vor allem bei ihrem Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes ist nicht klar, wie sie, falls sie die Regierung übernehmen, auf ausländische Investitionsangebote reagieren werden.