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Daumendrücken zwecklos

Endlich wieder lieferbar: Daniel Chavarrías Roman „Die Wunderdroge“

1996 war er mal kurzfristig als Heyne-Taschenbuch lieferbar, ging aber unter, weil man in dem Programm keinen anspruchsvollen, kritischen Kriminalroman erwartete. Die Rede ist vom Roman „Die Wunderdroge“ des cubanisch-uruguayischen Autors Daniel Chavarría, einem der interessantesten lateinamerikanischen Thriller der neunziger Jahre. Nun ist das Buch bei der Edition Köln erschienen, die vor zwei Jahren damit begonnen hat, Chavarrías Werk in Deutsch zugänglich zu machen. Gaby Küppers hatte den Titel vor zehn Jahren in der ila 208 besprochen. Da diese Ausgabe schon lange vergriffen ist, die Mehrheit der heutigen LeserInnen die ila damals noch nicht hatte und die Rezension auch elektronisch nicht verfügbar ist, bringen wir sie hier leicht gekürzt noch einmal, um auf die lobenswerte Neuausgabe hinzuweisen.

Gaby Küppers

Es beginnt alles ganz einfach: mit einem überschaubaren Ort und einer unspektakulären Gestalt. José Gamos de Andrade, genannt Zé Bonitinho, arbeitet in Santarem im Amazonasgebiet in einer Waldstation der FAO unter Leitung des US-Amerikaners Charles Reeds. Zé liebt das Erzählen, und der Forstingenieur Reeds hört nach der Arbeit gerne zu. Man kennt diese einheimischen Phantasten und Abergläubigen, unterhaltsam sind sie allemal. Die Geschichte von einem Zaubertrank aus Blättern ist eines Abends allerdings zuviel des Guten. Wer ihn trinke, tue danach angeblich alles, was man ihm im Schlaf einflüstere. Jetzt reicht's! Ruhe! Bald darauf macht Reeds Bekanntschaft mit dem Zaubertrank... Also, wenn das stimmt, dann könnte man... Nicht auszudenken. Da die Verhältnisse nun einmal nicht romantisch sind, gerät die Kunde vom Zaubertrank samt Probefläschchen postwendend in die Hände eines CIA-Agenten. Der erkennt schnell den Wert der Substanz für Spionage- und Sabotagezwecke. Ein Pharmakonzern macht sich fieberhaft an die Analyse der Grundstoffe, weil er Morgenluft auf dem Medikamentenmarkt wittert. Und die brasilianische Geheimpolizei will aus eigennützigen Gründen auch ihr Süppchen mitkochen. Woher stammen die Blätter, wer kennt die Rezeptur? Es beginnt eine rücksichtslose Jagd.

Daumendrücken für die Redlicheren ist zwecklos. Wer im Weg steht, sei es mit Absicht oder zufällig, muss dran glauben. Beim Lesen rinnt der Schweiß nicht weniger als am tropischen Ort des Geschehens.
Da schiebt sich eine neue, ganz andere Geschichte ins Bild. Unvermittelt wird der Werdegang einer Adelsfamilie in Spanien aufgeblättert. Don Ramón de Arnaiz kämpfte schon 1898 im Cuba-Krieg (gegen die Unabhängigkeitsbewegung), er und seine mit eiserner Disziplin erzogenen Nachkommen stehen in jedem folgenden Waffengang fanatisch, brutal, getreu einem erzreaktionären spanischen Heldenideal auf der Seite der Kolonialherren, der Monarchisten, der Faschisten. Ehrenhaft, gefühlskalt, hassbeseelt und gegen die Spanische Republik wie an der Seite Nazideutschlands gegen die Sowjetunion. Männlich schön, berechnend, intelligent. Aus den Sprossen dieser Familie, den männlichen wie den weiblichen, wird noch viel werden. Auf der falschen Seite. Bis zum bitteren Ende.

Wie nun diese beiden Erzählstränge mäandernd ineinander- und kontinentübergreifend am Ende zusammenkommen, ist ein literarisches (und nicht zuletzt auch medizinisch-chemisches) Geschicklichkeitsspiel, das Daniel Chavarría ausgezeichnet und begeisternd beherrscht. Der Autor ist, das merkt man auf Schritt und Tritt, ein profunder Kenner der Gegenden und historischen wie sozialen Verhältnisse, in denen die Personen agieren. Nachdem sich die Puzzleteile nach der Analyse der hypnotisierenden Substanz noch vermehren, lassen sie sich dennoch allmählich Stück für Stück und ohne eine einzige Leerstelle zusammensetzen. Nie ist es indessen beim Lesen vergönnt, erleichtert ob des Sieges eines Repräsentanten der guten Seite aufzuatmen. Mehr noch: in dem Maße, wie sich das Bild komplettiert, entlarven sich rundweg alle ProtagonistInnen als gute MienenträgerInnen zum bösen Spiel. Oder sollte da noch jemand einem verkorksten Männlichkeitsideal anhängen und die Männer der Arnaiz-Sippe mit spanischen James Bonds verwechseln? Auch im fidelistischen Cuba, wo die Wunderdroge zur Anwendung kommt, sind einige Figuren zwar vergleichsweise sympathisch, aber als an erster Stelle pflichtbewusste Bürokraten keine uneingeschränkten Sympathieträger.

Ein pessimistisches Buch also? Ja, was die ausbeuterischen Verhältnisse im Hinblick auf Menschen und Naturressourcen angeht. Ja auch, was den Grad der bestehenden Vernetzung von undercover, nur zu Machtzwecken operierenden Organisationen betrifft, seien es Geheimdienste, seien es multinationale Unternehmen. Ja auch, was die Unfähigkeit der ProtagonistInnen anbelangt, ihr Denken zu erneuern und auf solidarische Füße zu stellen. Es ist ein pessimistisches Buch, insofern es keine gesellschaftliche Vision aufbaut. Aber es ist kein rein pessimistisches Buch, weil zumindest die Vertreter der schlimmsten Gesellschaft, die spanischen, faschistischen Adligen, ein Auslaufmodell sind, im Wortsinn kollabieren. Und es ist überhaupt kein pessimistisches Buch, wenn man an die Kraft zu Kreativität und Phantasie denkt, die es entfaltet.

Der Titel der deutschen Ausgabe, „Die Wunderdroge“, war offenbar ein Versuch, mit der Unübersetzbarkeit des spanischen Titels „Allá ellos“ umzugehen. Man hätte den Roman sonst „Das ist ihr Bier!“ oder „Damit haben wir nichts zu tun!“ nennen müssen. Auch nicht gerade umwerfend! Schade dennoch, dass vom ironischen Unterton des Originaltitels im Deutschen so gar nichts übrig geblieben ist. Aber so oder so, der Roman, 1993 ausgezeichnet mit dem Dashiell-Hammett-Preis für das beste spanischsprachige Buch, ist ein einzigartiges Erlebnis.

Daniel Chavarría: Die Wunderdroge, Edition Köln 2007, 528 Seiten, 14,90 Euro