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Träume aus Plüsch

Ein Roman von Pedro Lemebel
Nina Küster

Sie ist die „Tunte von der Front“, über die sich die alten Weiber in der Nachbarschaft die Mäuler zerreißen. Ein Homosexueller, der im Santiago de Chile der späten 80er Jahre lebt, als weite Teile der Bevölkerung gegen die „Prügeldiktatur“ aufbegehren und gewaltsam niedergeknüppelt werden. Es nähert sich der September und somit der Jahrestag, an dem die Militärs gegen die Regierung Allende putschten. Die öffentlichen Proteste und Straßenschlachten zwischen oppositionellen Gruppen und Sicherheitskräften nehmen zu. Doch die Tunte von der Front lebt in einer anderen Welt, einer der Boleros und des Herzschmerzes. Gern lesen sie und ihre Freundinnen nach der Ausgangssperre herumirrende Männer auf, die sich im Gegenzug gefällig erweisen und ihnen die Nacht versüßen. Doch dann taucht Carlos mit dem feuchten Lilienmund auf, der sie aus ihrer rosaroten Welt herausreißt. Sie ist ihm sofort verfallen und stellt ihm und seinen angeblichen Kommilitonen ihren Dachboden für Versammlungen zur Verfügung. 

Die Treffen werden immer häufiger, schwere Kisten werden in ihr Haus geschleppt. Langsam beschleicht sie das Gefühl, dass es sich nicht um studentische Tutorien handelt. Doch solange sie Carlos sehen darf, spielt sie lieber die „dümmste aller Tunten, die bescheuerteste, eine, die nur sticken und alte Lieder singen konnte“. Die Versammlungen entpuppen sich bald als klandestine Treffen der „Patriotischen Front Manuel Rodríguez“. Sie planen den Umsturz der blutigen Diktatur und ein Attentat auf den Befehlshaber Augusto Pinochet. Der Diktator wird währenddessen von Alpträumen geplagt sowie von seiner plappernden Ehefrau, die ebenfalls in ihrer eigenen Welt lebt, fernab vom politischen Geschehen, in der nur die neuesten Modetrends aus Paris und das Urteil ihres persönlichen Beraters Gonzalo zählen. Doch während der Diktator ein homophober Tyrann ist, der einen jungen Kadetten feuern lässt, da er diesen für schwul hält, lässt sich der hübsche Revolutionär gerne die Schmeicheleien des Homosexuellen gefallen. Anfangs scheint es so, als ziehe er nur seinen Nutzen daraus, dass die „Trulluluschwuchtel in ihrem melancholischen Spinngewebe aus Plüsch und Flitterkram“ vor Liebeskummer fast vergeht, bis sich Carlos jedoch dann auch zu ihr emotional hingezogen fühlt.

Träume aus Plüsch“, im spanischen Original Tengo miedo torero, wurde 2004 erstmals auf Deutsch veröffentlicht und ist der erste Roman des chilenischen Autors und Chronisten Pedro Lemebel, für den er 2006 mit dem Anna-Seghers-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Lemebel wurde Mitte der 50er Jahre geboren und ist als ein sich öffentlich bekennender Homosexueller eine der schillerndsten Figuren der zeitgenössischen Kulturszene in Chile. In dieser Geschichte über Liebe und Leidenschaft in einem repressiven Staat bedient sich der Autor einer bildhaften und poetisch-schwülstigen Sprache und unterstreicht damit die fast schon karikierenden Züge seiner Figuren. Humorvoll und detailliert schildert er ihre teilweise grotesken Gedankengänge und gewährt dem Leser Einblicke in ihr innerstes Seelenleben, das ihr Denken und Handeln bestimmt. Er geht zurück bis zu ihren Kindertagen, als der kleine Augusto schon ein Fiesling war und keine Freunde hatte, während der homosexuelle Protagonist Opfer seines prügelnden Vaters wurde. 

So steuern in diesem Roman die zwei ungleichen Paare parallel auf ihr Schicksal zu, und ihre Wege kreuzen sich mehr als einmal. Immer wieder brechen die Durchsagen des Radio Cooperativa in die vermeintlich heile Welt der Tunte ein, aber auch in die der Präsidentengattin. Doch während die eine eine Wandlung durchlebt – und sei es auch nur, um ihrem Guerillero zu gefallen – und ein politisches Bewusstsein entwickelt, fährt die andere fort, auch noch nach dem missglückten Attentat ihren Mann mit Banalitäten zu quälen und sich über die grässliche Farbe seiner Uniform auszulassen – ganz so, als sei seine Ehe eine Strafe zu Lebzeiten gewesen, wenn Pinochet sich schon nicht für seine Verbrechen verantworten musste.

Pedro Lemebel, Träume aus Plüsch, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004, 201 Seiten, 8,50 Euro