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Ein Geschäft mit vielen Seiten

Die Geldüberweisungen der Armen wecken Begehrlichkeiten bei den Reichen

Die Geldsendungen von ArbeitsmigrantInnen an ihre Familien in den Herkunftsländern, in Lateinamerika „remesas“ genannt, nützen natürlich diesen Familien. Mehr und mehr machen aber auch transnationale Banken mit diesen Schnittchen Schnitte. Noch perverser: Weltbank und Co. haben seit einigen Jahren in den Groschen der metropolitanen Unterschichten für die Unterklassen der Peripherie ein „Entwicklungspotential“ entdeckt. Und während die Empfänger der Remesas gerade einmal wissen, mit was sie, wenn alles gut geht, rechnen können, rechnen das Migration and Remittances Team der Weltbank und andere alle möglichen Zusammenhänge durch. Wir haben es dann mit perversen Zahlen perverser Verhältnisse zu tun – stellen aber einige davon trotzdem mal vor.

Eduard Fritsch

Im November hat die Weltbank in ihren „Remittance Trends 2006“ die Gesamtsumme der von MigrantInnen aus Entwicklungsländern an ihre zurückgebliebenen Verwandten geschickten Gelder auf 199 Milliarden Dollar geschätzt – sechs Prozent mehr als 2005 und praktisch eine Verdoppelung seit 2001. Hinzu kommen 68 Milliarden Dollar an Überweisungen zwischen OECD-Ländern mit hohen Einkommen. Ökonometrische Berechnungen, aus vorliegenden Haushaltsumfragen extrapoliert, legen die Vermutung nahe, dass auf informellen Wegen (persönliche Kuriere, Verwandte mit Reisevisa und FreundInnen) 50 oder mehr Prozent dazu kommen. Die so geschätzte Summe ist mehr als jene der ausländischen Direktinvestitionen und doppelt so hoch wie die offizielle „Entwicklungshilfe“. Remesas sind damit die wichtigste Finanzierungsquelle aus dem Ausland – und waren außerdem in den 90er Jahren weniger unberechenbar als andere Devisenquellen. 

Lateinamerika und die Karibik sind in absoluten Zahlen mit für 2006 geschätzten 53 Milliarden Dollar die größten Empfängerinnen, während der prozentuale Anteil der remesas am Bruttosozialprodukt im Mittleren Osten und in Nordafrika am höchsten ist. In Europa, Zentral- und Ostasien und in der Pazifikregion sind die Remesa-Flüsse am stärksten gewachsen. Aus Afrika südlich der Sahara gibt es zu wenige Daten, so dass die vorhandenen Zahlen die wirkliche Situation grob unterschätzen. Die Verdoppelung der Gesamtsumme in den letzten fünf Jahren ist das Ergebnis einer strengeren Überwachung der Devisenflüsse nach dem 11. September 2001, einer Verminderung der Überweisungskosten und sich ausdehnender Netzwerke im Remesa-Geschäft, der faktischen Abwertung des US-Dollar, was die Remesa-Beträge überall dort steigen lässt, wo die Währungen im Empfängerland stabiler geblieben oder weniger abgewertet worden sind, und einer Zunahme der MigrantInnen und ihrer Einkommen. 

Mit den wachsenden Erkenntnissen über den Umfang und die Entwicklungswirkung der remesas versuchen immer mehr Regierungen in den Empfängerländern aktiv an diese Devisen zu kommen. Während die Zentralbanken und Regierungen in Mexiko, den Philippinen und El Salvador ihre Banken seit geraumer Zeit ermuntern, durch Senkung der Transferkosten in dieses Geschäft einzusteigen, haben die entsprechenden Instanzen unter anderem in Bangladesch, Indien und Sri Lanka jüngst Maßnahmen ergriffen, um den Zustrom von remesas zu erhöhen, indem sie in ihren Diasporas für Einfachwohnungsbaukredite, Versicherungen und dergleichen für die Verwandten zu Hause werben oder die Einrichtung von Konten in den Währungen des Immigrationslandes erleichtern.

Im Frühjahr 2006 teilte der Geldkurierdienst Western Union mit, dass seine Umsätze auf dem mexikanischen Markt zurückgegangen seien. Prompt fielen die Aktienkurse der First Data Corporation, zu der Western Union gehört, um 16 Prozent. Im selben Zeitraum fielen jene von MoneyGram, dem einzigen anderen börsennotierten Geldkurierdienst, um fast 20 Prozent. Befürchtungen, dass der Zustrom von remesas zurückgehen könnte, scheinen aber nicht berechtigt. Zwar waren sie dieses Jahr unregelmäßiger als in früheren Jahren, aber es gibt keine Hinweise darauf, dass der langjährige Aufwärtstrend gebrochen ist. Hingegen zeigen die monatlichen Vergleiche, dass die Geldtransfers der MigrantInnen aus den USA nach Mexiko saisonal schwanken: Sie nehmen im nordamerikanischen Sommer zu und in der Weihnachtszeit ab, weil dann annähernd eine Million MexikanerInnen zu Besuch in ihre alte Heimat fahren. Die aus den statistischen Trends fallende Zunahme dieser remesas im Mai 2006 könnte etwas mit der zunehmenden Unsicherheit über die US-Einwanderungsgesetzgebung zu tun haben. 

Da die remesas in den Entwicklungsländern normalerweise in der Leitwährung US-Dollar gemessen werden, können Veränderungen im Währungsverhältnis zwischen Dollar und Euro für all jene MigrantInnen von Bedeutung sein, die in der Eurozone arbeiten. Wenn Ende 2001 ein überwiesener Euro den EmpfängerInnen der remesas 0,89 Dollar brachte, waren es Ende 2005 1,19. Das entspricht 5,7 Milliarden Dollar oder im Durchschnitt sieben Prozent der Devisenmehreinnahmen aus remesas in den entsprechenden Entwicklungsländern in der Zeit zwischen 2001 und 2005. 

Insofern viele ecuadorianische MigrantInnen in der EU leben und arbeiten und ihre Verwandten die remesas auf jeden Fall in US-Dollar erhalten, weil Ecuador seit dem Jahr 2000 formal dollarisiert ist, hat der Währungseffekt hier 86 Prozent der Devisenmehreinnahmen aus remesas im Zeitraum 2001-2005 ausgemacht. Ganz anders in El Salvador: Die allermeisten MigrantInnen aus diesem Land leben und arbeiten in den Vereinigten Staaten, ihre Verwandten dagegen in einer voll-dollarisierten Volkswirtschaft. Da gibt es keinen Währungseffekt. Gäbe es die Alternative, die remesas in der alten Währung, dem Colón, zu erhalten, was nach dem Gesetz von 2000, das einen Bimonetarismus beinhaltet, eigentlich der Fall sein müsste, sähe die Sache ganz anders aus, zumal der Colón in den Jahren seit der Dollarisierung wahrscheinlich hätte abgewertet werden müssen. Zwar hätten die Remesa-EmpfängerInnen dann mit einer Colón-Inflation zu kämpfen, so aber haben sie es in der Diktatur der rechtsextremen ARENA-Partei, die auf ihre eigenen Gesetze pfeift, mit einer Dollar-Inflation zu tun. 

Die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID) schätzt die Summe der remesas, die dieses Jahr insgesamt an ca. 20 Millionen Familien in Lateinamerika geschickt werden, auf 45 Milliarden Dollar – also acht Milliarden weniger als die Weltbank. Die Bank hat jüngst eine Studie in Auftrag gegeben, bei der 2500 erwachsene MigrantInnen in den wichtigsten Städten der Vereinigten Staaten befragt wurden. Danach sind die wichtigsten Verwendungen der remesas – in dieser Reihenfolge – für Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung, öffentliche Dienstleistungen, Erziehung und Ausbildung, Kleider, Wohnen und Geschäfte. In El Salvador zum Beispiel, das zusammen mit Mexiko und Guatemala zu den wichtigsten Empfängerländern in Lateinamerika zählt und wo es dieses Jahr mit vorläufig geschätzten 3,25 Milliarden Dollar einen neuen Rekord geben wird, wird der größte Teil der remesas dafür verwandt, grundlegende Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Strom, Wasser, Transport und Telefon zu finanzieren, wobei der öffentliche Bustransport schon immer privat war, Stromversorgung und Telekommunikation voll privatisiert sind und die Wasserversorgung auf dem Weg dahin ist.

In den letzten beiden Jahren ist der Anteil von lateinamerikanischen MigrantInnen, die ihren Verwandten monatliche remesas schicken, von 61 auf 73 Prozent gestiegen. Gleichzeitig nahm der Durschnittsbetrag von 240 auf 300 Dollar zu. Die wichtigsten Entsendestaaten in den USA sind Kalifornien, Texas und New York. Hinzugekommen ist eine auffällige Veränderung in Louisiana, wo in diesem Jahr die remesas um 250 Prozent zunehmen werden. Dieser Bundesstaat, der 2005 von Hurrikan Katrina verwüstet wurde, ist zum Mekka billiger Arbeitskräfte aus Lateinamerika geworden. 

Drei von fünf der Personen, die ihren Verwandten remesas schicken, können als Angehörige der „armen Arbeiterklasse“ mit Jahreseinkommen von weniger als 30 000 Dollar eingestuft werden. „Wir sprechen von Parkplatzwächtern, TellerwäscherInnen und Bauarbeitern“, erläutert der Verfasser der Studie, Sergio Bendixen. Der Umfrage zur Folge waren mehr als die Hälfte der lateinamerikanischen ArbeiterInnen, die remesas nach Hause schicken, vor ihrer Auswanderung arbeitslos und jene, die Arbeit hatten, verdienten sehr wenig. Ebenfalls mehr als die Hälfte der Befragten brauchte weniger als einen Monat, um eine Arbeit zu finden, und der durchschnittliche Monatslohn an ihrem ersten Arbeitsplatz betrug 900 Dollar. Da viele der EmpfängerInnen vom Kreditsystem ausgeschlossen sind, sucht die BID nach angepassten Finanzprodukten für sie. So hebt die Studie hervor: „Die remesas könnten ihre wirtschaftliche Wirkung vervielfältigen, wenn sie für Produkte wie Versicherungen, Hypotheken, Ausbildungen, Spareinlagen, Mikro- und landwirtschaftliche Kredite eingesetzt würden.“