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Köln – Lima und zurück

Peter Faeckes Roman „Die geheimen Videos des Herrn Vladimiro“

Ein Roman eines Kölner Schriftstellers, Journalisten und Lateinamerikakenners, der sich im Titel auf die Methoden eines ehemaligen peruanischen Geheimdienstchefs bezieht, macht neugierig. Der Untertitel „Kriminalbilder. Das Kowalski-Projekt“ lässt eineN eher im Unklaren darüber, mit welchem Genre wir es hier zu tun haben. Ein Kriminalroman? Oder ein Tatsachenroman, wie in der DDR Bücher genannt wurden, die zeitgeschichtliche Ereignisse erzählerisch darstellen? Schon die ersten Seiten machen klar, dass es weder das eine noch das andere ist, wiewohl sich bei der weiteren Lektüre zeigt, dass der Roman Stoff für zahlreiche Kriminalromane und viele gut recherchierte Tatsachen über die Fujimori-Diktatur in Peru und die deutsche Nachkriegsgeschichte enthält.

Gert Eisenbürger

„Die geheimen Videos des Herrn Vladimiro“ ist ein Roman voller Geschichten – Geschichten aus dem Leben von Fred Kowalski, einem Kölner Journalisten, der 1977, im „Deutschen Herbst“, das Rheinland in Richtung Südamerika verlässt. Er kommt nach Peru, wo er über zwanzig Jahre „hängen blieb“, wie es gemeinhin heißt, wenn jemand ohne offizielle Funktion in einem anderen Land lebt und sich dort irgendwie über Wasser hält. Bei Fred Kowalski bedeutet das „Sich-über-Wasser-Halten“, dass er in einem Medienprojekt mitarbeitet und nebenbei deutschen Bildungsreisenden ein paar dosierte Einblicke in die Realität Perus bzw. der Stadt Lima organisiert. Der Hauptstrang der Handlung fällt in die letzten Wochen der Diktatur Fujimoris, schildert dessen Absturz und endet neun Monate später mit der Amtseinführung des gewählten Präsidenten Toledo. Fokussiert wird dieser zeitgeschichtliche Hintergrund durch zwei Projekte, in die Fred Kowalski involviert ist. Da sind zum einen seine Recherchen über die Waffendeals von Fujimoris Geheimdienstchef Valdimiro Montesinos und die Strukturen des internationalen Waffenhandels. Und da ist zum anderen ein Dokumentarfilm über die Lebensbedingungen der Bergarbeiter und ihrer Familien einer im Andenhochland gelegenen Silbermine.

Nach einem Grubenunglück, bei dem mehrere Mineros ums Leben kommen, beschließen sie einen Protestmarsch ins über tausend Kilometer entfernte Lima, um für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu demonstrieren. Dabei werden sie die ganze Zeit von dem Filmteam und damit den LeserInnen des Buches begleitet. Wer jetzt den Eindruck hat, in dem Buch würde ein chronologischer Ablauf präsentiert, liegt allerdings völlig falsch. Denn überall lauern skurrile Geschichte und Episoden aus der jüngeren Vergangenheit, in denen sich zahllose Gestalten tummeln, reale wie erfundene, zynische wie naive, dazu auffällig viele kauzige, die morden, lieben, betrügen, sterben, saufen, träumen, Träume zertreten, hoffen oder längst jede Hoffnung aufgegeben haben. Wer die Geschichte Perus in den letzten Jahrzehnten nicht verfolgt hat, wird nicht jede Episode oder Anspielung verstehen. Das gleiche gilt für die deutsche Geschichte, denn der letzte Teil des Romans spielt nicht mehr in Lima sondern in Köln, wohin Fred Kowalski irgendwann abtauchen muss, weil in Peru Leute hinter ihm her sind, denen seine Recherchen nicht passen. Und so ist er plötzlich im neu vereinigten Deutschland, wo manches noch verworrener ist als in Peru. Denn die Geschäftspartner von Figuren wie Vladimiro Montesinos sitzen in Europa und Deutschland, hier werden die Waffen produziert und die Gelder gewaschen.

Mich hat der vielsträngige Roman an die faszinierenden und mitunter verstörenden Gemälde eines Hieronymus Bosch aus dem 16. Jahrhundert erinnert, die umso rätselhafter werden, je länger man sie betrachtet, weil man erst nach und nach der ganzen geheimnisvollen, lustigen, buckligen, abstoßenden und obszönen Figuren und ihrer Geschichten gewahr wird und die enorme Destruktivität der dargestellten Welt realisiert. Auch Faecke gelingt ein solches Sittengemälde. Dabei sind gerade die kleinen Bilder besonders faszinierend und gelungen. Etwa die Beschreibung der Gestik und der Schuhe des Präsidenten Toledo bei seiner Amtseinführung, die das spätere Scheitern des politischen Hoffnungsträgers schon vorwegnehmen.
„Die geheimen Videos des Herrn Vladimiro“ ist ein außergewöhnlicher deutscher Gegenwartsroman, der viel von der Bildersprache der lateinamerikanischen Literatur aufnimmt, ohne freilich Gefahr zu laufen, deren Bilder zu kopieren. 

Außergewöhnlich auch in der politischen Reflexionsebene, der Auseinandersetzung mit den linken Hoffnungen und (Selbst-)Täuschungen, der Beobachtung des politischen Rollbacks hin zu einem immer weiter desintegrierten bürgerlichen Bereicherungsstaat, dem Nachdenken über emanzipatorisches Medienschaffen in der Dritten wie in der Ersten Welt und der trotzigen Verteidigung der Träume von einer demokratischen Gesellschaft, auch wenn die Protagonisten des Romans dabei beträchtlich Federn lassen müssen. Und außergewöhnlich auch in dem Versuch, den Norden und Süden einer Welt zusammenzubringen, deren Auseinanderdriften sich eher beschleunigt denn verlangsamt. 

Peter Faecke: Die geheimen Videos des Herrn Vladimiro, Kriminalbilder. Das Kowalski-Projekt, Edition Köln 2004. 372 Seiten