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WTO macht Hunger

Broschürenbesprechung
Werner Rätz

Mitte Dezember trifft sich die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Hongkong. Dort wird es natürlich um den Daseinsgrund der Organisation, Freihandel gehen. Und wie immer wird die Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Waren es doch nicht zuletzt Widersprüche zu diesem Thema, an denen die letzte Ministerkonferenz in Cancún gescheitert war: Einige Südländer, allen voran Brasilien und Indien, hatte günstigere Regeln für den Agrarhandel verlangt. Im Mittelpunkt der Kritik dieser so genannten G20 stand die Forderung nach offenerem Zugang zu den Märkten der USA und der EU sowie nach rascher Abschaffung von deren Subventionen und Preisstützungspolitik für die Landwirtschaft.
Die Idee dahinter wird von vielen geteilt und etwa von der UN im jüngsten Bericht zu den Millenniumszielen so formuliert: „Allein der freie Handel mit Agrarprodukten würde Entwicklungsländern schätzungsweise 20 Mrd. US-Dollar jährlich einbringen.“ Wenn nun wer fragt, wer das genau sei, „Entwicklungsländer“, dann kann Renate Künast Auskunft geben: „Nur in diesem Rahmen (gemeint ist die WTO – WR) können Entscheidungen getroffen werden, die für die armen Länder Vorteile bringen.“ (S. 5) 

Diesen Mythos möchte ein Arbeitspapier der Organisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) mit dem Titel „Dick im Geschäft“ auseinander nehmen. Die Autorin Pia Eberhardt behauptet (mit einem Zitat der indischen Aktivistin Vandana Shiva), Freihandel sei „der Protektionismus der Mächtigen“ (S. 29) und kann das überzeugend belegen. Dabei ruft sie zuerst die grundlegende Tatsache in Erinnerung, dass es im Agrarhandel wie in der landwirtschaftlichen Produktion höchst unterschiedliche Handelnde und damit Interessen gibt. Zwar lebt nach wie vor fast die Hälfte der Menschheit auf dem Land und ist damit von allen die Landwirtschaft und den ländlichen Raum betreffenden Veränderungen zutiefst in Mitleidenschaft gezogen (S. 43), aber nicht sie sind die wichtigsten und gestaltungsmächtigsten Akteure. Das sind längst große Konzerne, die vom Saatgut und der Agrochemie (Monsanto, DuPont, Syngenta, Bayer, Dow, BASF) über Verarbeitung und Handel (Cargill, ADM, Tyson, Louis Dreyfus, Bunge) und Nahrungsmittelindustrie (Nestlé, Kraft, Unilever, PepsiCo, ADM) bis zum Einzelhandel (Wal Mart, Carrefour, Metro, Tesco, Aldi, Lidl) überall in der Wertschöpfungskette von Nahrungsmitteln präsent sind. Konzerne wie Cargill sind gleichzeitig Getreideproduzenten, Viehzüchter und Transportunternehmer: „Diese Unternehmen haben kein Interesse an einem fairen und offenen Wettbewerb, denn schließlich hängen sie alle zusammen und sind voneinander abhängig. Sie müssen nicht effizient wirtschaften, um auf dem Weltmarkt zu überleben, sie sind der Weltmarkt“, sagt dazu der Vorsitzende des US-amerikanischen Bauernverbandes (S. 11).

Nun setzt die Autorin nicht ihrerseits auf einen „fairen Wettbewerb“, sondern zeigt am System der WTO, dass es den so gar nicht geben kann. Selbst die freihändlerisch orientierte Weltbank wird als Zeugin angerufen mit ihrer kürzlichen Feststellung, „dass ‚eine Entwicklungsstrategie, die auf Agrarexporte setzt, im derzeitigen politischen Kontext wahrscheinlich zu Verarmung' führt“ (S. 19). Dennoch folgt auch die Mehrzahl der südlichen Länder dieser unsinnigen Orientierung. Mit der Aufnahme von Indien und Brasilien in eine neue informelle Steuerungsgruppe für die Verhandlungen (FIPS – five interested parties ; außerdem noch EU, USA und Australien) ist die Frontstellung von Cancún formal aufgebrochen (S. 22), auch wenn noch Widersprüche in Einzelheiten bleiben.

Das vorliegende Verhandlungspapier jedenfalls wird die Macht der Großen weiter festschreiben. Verschärfter Wettbewerb und sinkende Rohstoffpreise werden den Bauern und Bäuerinnen schaden, alle im Agrarmarkt vorhandenen Machtungleichgewichte bleiben erhalten oder werden verstärkt (S. 27). Die Interessen der KleinproduzentInnen haben bei den Regierungen keine oder kaum eine Stimme. Süd- wie Nordländern geht es vor allem um den Welthandel mit Agrarprodukten. Beide wollen einen möglichst großen Anteil am Exportkuchen. Brasilien etwa tätigt 42 Prozent seiner Ausfuhren mit landwirtschaftlichen Produkten, das ist für die Schuldenzahlung unverzichtbar (S. 26). In der EU ist die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie der größte Industriezweig mit 4 Millionen Beschäftigten. Allein in der BRD beträgt der Umsatz 130 Mrd. Euro und Umsatzzuwächse gibt es praktisch nur noch im Export (S. 28). Es geht also nicht um Lappalien oder pure Verhandlungsmasse.

In den folgenden Kapiteln wird die Bedeutung auch des Dienstleistungsabkommens GATS für den Agrarhandel dargestellt (Finanzen, Wasser, Energie, Transport, Groß- und Einzelhandelsregime sind betroffen) (S. 30-33) und ausführlich über „Gentechnik und Aneignung natürlicher Ressourcen“ (S. 34-37) informiert. Im Schlussteil folgt eine differenzierte Betrachtung der vorhandenen Gegenkräfte, die nicht einfach alle gleiche Vorstellungen und Interessen vertreten. Verbraucherverbände oder Gewerkschaften haben manchmal deutlich andere Vorstellungen als Bäuerinnen und Bauern. Und Globalisierungskritik geht über Betroffenheitspolitik hinaus. Das wird erfreulich unverschnörkelt diskutiert, so dass die Broschüre auch für das praktische politische Engagement ein nützliches Werkzeug ist.

WEED, Dick im Geschäft. Handelspolitik im Dienste des Agrobusiness, Redaktion Pia Eberhardt, Berlin 2005, 48 Seiten, 5,- Euro