ila

Bescheidene Stars

Interview mit Emiliano Brancciari von „No te va gustar“

Die „jungen Veteranen“ aus Uruguay touren zum ersten Mal durch Deutschland. Ihr Altersdurchschnitt liegt bei 27 Jahren, aber sie machen schon seit elf Jahren zusammen Musik. Ihre sehr uruguayische Mischung aus Rock, Reggae, Folklore und tropischen Rhythmen kommt auch hier ziemlich gut an. Vor dem Konzert in Düsseldorf hatten wir Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Sänger, Gitarristen und (Haupt-) Songwriter Emiliano Brancciari.

Britt Weyde

Als wir vor kurzem die Band La Vela Puerca fragten, wie es ist, die erfolgreichste Band Uruguays zu sein, sagten sie, nein, das ist No te va gustar – was meint ihr dazu?

Es gibt nicht DIE erfolgreichste Band. Wir gehen ähnliche und zugleich unterschiedliche Wege. Der große Star im Moment ist die Rockmusik-Bewegung als Ganzes in Uruguay. Das ist sehr gut. Für uns, für La Vela Puerca und für alle, die nach uns kommen. La Vela Puerca hat eine sehr wichtige Rolle innerhalb und außerhalb Uruguays gespielt – wir sind hier, weil La Vela Puerca hier war.

Dieser boom auch nach außen – führt er dazu, dass Uruguay zu einem Exportland für Kultur wird?

Ja, ich glaube aber, dass dies schon viel früher hätte eintreten müssen, denn es hat schon immer talentierte Künstler gegeben. Warum gerade jetzt? Die Leute wissen zwar nicht, wo Uruguay auf der Weltkarte liegt, aber sie kommen, um sich uruguayische Musik anzuhören.

Könnt ihr von eurer Musik leben?

Wir gehören zu den wenigen Glücklichen, die in Uruguay von der Musik leben können, aber das heißt nicht von der Band allein. Wir haben unterschiedliche Aktivitäten im Musikbereich, z.B. andere Bandprojekte oder wir geben Musikunterricht. Geld für NTVG kommt nur über Konzerte rein – über Plattenverkäufe braucht man gar nicht erst zu reden.

Gibt es Veränderungen in eurem Privatleben, seitdem ihr so erfolgreich geworden seid?

Bei uns gibt es keine Rockstars, du bist wie alle anderen auch – zum Glück! Deshalb leben wir ja auch so gerne in Uruguay, denn du musst das Gleiche wie alle machen, zu Ämtern gehen, Rechnungen bezahlen und die Leute beläs-tigen dich nicht. Sie erkennen an, was du machst, und begegnen dir mit Respekt. 

An welchem Punkt befindet sich die Band zurzeit?

An verschiedenen gleichzeitig: In Uruguay haben wir die massive Explosion, die der Erfolg der Rockmusik mit sich bringt, in Argentinien, wo wir seit einem Jahr Auftritte haben, werden unsere Konzerte immer größer und hier beginnen wir noch einmal von Neuem. Das ist sehr gut, weil du dich ständig anders fühlst und sich keine Routine einstellt. 

Gibt es für euch einen Punkt, an dem ihr sagen würdet, bis hierhin und nicht weiter?

Nein, unsere Zielsetzungen sind sehr kurzfristig. Wir nehmen uns Sachen vor, die wir auch erreichen können, damit sich kein Frust einstellt. Wir sind stets Schritt für Schritt vorgegangen. Unser nächstes Ziel ist unsere dritte Platte, die Ende letzten Jahres veröffentlicht wurde, in Buenos Aires und endlich auch im Landesinneren Uruguays vorzustellen. Denn wir leben davon, im Landesinneren zu spielen. Das ist sehr wichtig, damit wir die Leute in Montevideo nicht langweilen. In der Hauptstadt spielen wir höchstens drei Mal im Jahr.

Ihr habt den Ruf, eine politisch engagierte Band zu sein, die z.B. auch auf einer Mobilisierungsveranstaltung für das Referendum gegen die Wasserprivatisierung aufgetreten ist. Wie kommt ihr dazu?

Das war uns schon immer wichtig. Gleichzeitig identifizieren wir uns mit keiner politischen Partei und treten bei solchen Veranstaltungen auch nicht auf. Sie sind Politiker, wir sind Musiker. Das sind zwei verschiedene Rassen. Aber bei sozialen Fragen, bei Veranstaltungen, die von den Leuten kommen, sind wir hundertprozentig dabei. Wenn wir von einem Projekt überzeugt sind, unterstützen wir es. Es gab in den letzten Jahren zwar ständig Anfragen von Parteien, aber nein, da bleiben wir hart, das ist unserer Meinung nach unmoralisch. 

Wie seht ihr denn die neue progressive Regierung drei Monate nach Amtsantritt, speziell im Bereich Kulturpolitik?

Wie die meisten Leute betrachten wir die neue Regeierung mit Optimismus. Du weißt zwar nie, was kommt, weil es sich letztlich um Politiker handelt, aber greifbar sind die Freude und die Hoffnung der Leute. Das ist im Moment das Wichtigste. Im Kulturbereich hat die Politik der Frente Amplio in der Stadtverwaltung von Montevideo wichtige Vorarbeit geleistet. Unsere erste Platte konnten wir z.B. nur deshalb aufnehmen, weil wir einen Wettbewerb – das Festival de la Canción 1998 – gewonnen hatten, der von der Stadtverwaltung ausgeschrieben worden war. Wir sind schon oft auf Konzerten oder Festivals aufgetreten, die von der Stadtverwaltung organisiert worden sind. Oder die von der Stadtverwaltung organisierte Movida Joven, die dazu beitragen soll, dass sich Jugendliche in verschiedenen Kunstbereichen auszudrücken lernen – wir hoffen, dass sich diese Politik nun auf das ganze Land ausdehnt.

Gibt es einen Stil No te va gustar?

Ich glaube schon: alle Stile, die wir spielen, zusammen und das sind eine ganze Menge. Keiner sagt uns, wie wir zu spielen haben, und wir achten auch nicht darauf, was außerhalb der Gruppe passiert. Wir nehmen ein Stück mit einem bestimmten Stil auf, weil es uns gefällt, und danach gucken wir, was daraus wird. Diese Freiheit ist super. Daraus entsteht meiner Meinung nach unser Stil. Wir sind sieben Leute, die an unterschiedlichen Genres Spaß haben, bei einigen gibt es Überschneidungen – oder auch Zusammenstöße im Proberaum, aus denen dann unser Sound entsteht.

Welches sind deine persönlichen Lieblingsstile?

Mir gefallen die Klassiker am besten, die Beatles, Bob Marley, The Police, U2. Neue Musik kenne ich nicht so viel, ich gucke auch kein MTV. Ich bleibe lieber bei dem, was mir schon früher gefallen hat. Dennoch findet natürlich ein musikalischer Prozess statt, allein aufgrund der langen Zeit, die wir schon zusammen verbracht und Musik gemacht haben. Ein Reifungsprozess stellt sich von ganz alleine ein, wie bei jeder Band, die schon mehr als zehn Jahre auf dem Buckel hat.

Die argentinische Tageszeitung La Nación titelte einmal „Uruguay exportiert Rockmusik, die fast wie argentinische Rockmusik klingt“ – was für ein Verhältnis habt ihr zur argentinischen Musikszene?

Innerhalb dieses sog. Rock Rioplatense gibt es keine großen Unterschiede. Wir leben unter ähnlichen Bedingungen, unsere Wesensart ist ähnlich, der einzige Unterschied liegt in den Größenverhältnissen. Wir sind vielleicht der kleine Bruder. Wir hören schon seit Ewigkeiten argentinische Rockmusik, sehen argentinisches Fernsehen etc. Natürlich gibt es hier andere Farbtöne oder Besonderheiten, die erst jetzt von der anderen Seite wahrgenommen werden …

… und teilweise vereinnahmt werden, wie z.B. der afrouruguayische Candombe – in zehn Jahren werden die Argentinier wahrscheinlich sagen, dass der Candombe ursprünglich aus Argentinien kommt …

Ja oder ihnen gefällt jetzt die Murga, die traditionellen Karnevalslieder, die ihnen vorher am Arsch vorbei gegangen sind. Aber das hat uns in Uruguay auch was gebracht. Vor einigen Jahren noch wären Rockbands, die Murga spielen, schräg angeguckt worden. Doch La Bersuit aus Buenos Aires hat Murga für die Rockszene gesellschaftsfähig gemacht. Das tut zwar weh, aber so ist es gelaufen.

Zum einen gibt es in Uruguay gerade eine Explosion der Rockmusik. Gleichzeitig hat sich eine interessante Szene entwickelt, die Tango mit elektronischer Musik mischt, wie z.B. Bajo Fondo Tango Club. Wie verbreitet ist dieses Phänomen?

Man kann nicht von einer Massenbewegung sprechen, aber ich glaube, sie werden sich ihren Raum erobern. Diese Vielfalt finde ich gut.

In eurer Musik habt ihr auch Folkloreelemente, warum?

Weil sie uns total gut gefällt! Wenn ich zuhause aufstehe, mache ich mir einen Mate und höre Folklore. Das ist die Freiheit, von der ich eben erzählt habe: Wir sind zwar eine Rockband, aber wenn uns Folklore gefällt, spielen wir sie auch. 

Früher ist die Polizei bei Rockkonzerten in Uruguay ziemlich repressiv aufgetreten – ist das immer noch so?

Nicht mehr so sehr, denn das Publikum und der Charakter von Rockkonzerten haben sich auch verändert. Neulich haben wir z.B. vor 10 000 Leuten gespielt und es gab keinen einzigen Zwischenfall. Dort waren Familien, viele ältere Leute und Kinder. Ich rede jetzt aber nur von unseren Konzerten. Allerdings ist nicht immer alles friedlich: Am letzten Tag der Semana de la Cerveza (Bierwoche) in Paysandú vor drei Jahren hatten wir einen Auftritt im Amphitheater. Auf den billigsten Plätzen drängelten sich 3000 Personen und im teuersten Bereich vor der Bühne nur 200. In der Stadt war sonst niemand mehr unterwegs, alle waren auf dem Konzert. Also machten wir den Vorschlag, dass die von den hinteren Rängen nach vorne kommen, denn die Veranstalter hätten nicht noch mehr Geld machen können. Die Polizei ließ die Leute zwar nach vorne, doch nach dem Konzert bekamen wir Stress mit den Veranstaltern und wurden von der Polizei auf die Wache mitgenommen.

Wie gefällt es euch hier in Deutschland?

Wir sind seit zehn Tagen hier und ehrlich gesagt kommt uns alles sehr seltsam vor: die Konzertzeiten – wir sind in Uruguay daran gewöhnt um drei Uhr morgens zu spielen, was ich auch nicht so toll finde, aber hier um neun Uhr abends anzufangen, wenn es draußen noch hell ist … Gut ist natürlich, dass wir hier wieder in kleinen Sälen spielen, als ob wir noch einmal von vorne anfangen würden. In Uruguay wird für uns alles organisiert, wir brauchen kein einziges Kabel mehr zu berühren. Und hier müssen wir wieder alles selber machen. Das ist super, denn du erinnerst dich an eine Menge Sachen, die dir seit sieben Jahren entfallen waren. Das ist auch sehr gut für den Zusammenhalt der Gruppe. 

Wie reagieren die Leute hier, von denen die meisten eure Texte nicht verstehen dürften?

Vor der Tour haben wir uns Sorgen gemacht: Wenn uns niemand versteht, wird das alles recht schwierig werden. Aber bei allen Konzerten, die wir bisher gegeben haben, waren die Leute sehr glücklich. Es funktioniert – denn die universelle Sprache ist und bleibt die Musik. Außerdem ist hier Spanisch gerade angesagt (lacht).

Was ist aus eurem Aberglauben geworden? Auf euren Platten fehlt stets das 13. Stück, aber heute tretet ihr an einem Freitag, den 13. auf – und das auch noch in Düsseldorf!

Die 13 kann Glück oder Pech bringen, deswegen wollen wir keines der Stücke auf unseren CDs mit dieser Verantwortung belasten, alle sind gleich. Aber vielleicht wachsen uns heute ja Werwolfzähne …

 

Das Interview führten Britt Weyde und Daniel Tapia am 13. Mai 2005 in Düsseldorf.