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Zwei Pesos pro Kunde

Dominikanische Frauen in der Prostitution in Argentinien

ImmigrantInnen aus der Dominikanischen Republik stellen in Argentinien keine besonders große Gruppe dar. Von 1995 bis 2002 kamen zwischen 12 000 und 15 000 DominikanerInnen ins Land – im Vergleich zu 850 000 ImmigrantInnen aus den Nachbarländern Bolivien, Paraguay, Uruguay und Chile im gleichen Zeitraum. Doch ist diese kleine Gruppe, von der mehr als die Hälfte im Großraum Buenos Aires lebt, aufgrund ihrer tendenziell dunkleren Hautfarbe ziemlich sichtbar im mehrheitlich „weißen“ Argentinien. Außerdem weist sie noch andere Besonderheiten auf: Sie ist überwiegend weiblich. Und diese Frauen arbeiten zu über 50 Prozent in der Prostitution. 

Britt Weyde

Im Taxi vom Flughafen zur Stadt fragte der Fahrer Celina, ob sie Arbeit habe, und er gab ihr eine Karte mit einer Adresse. Dort würde sie Arbeit bekommen. Celina steckte sie ein, ohne sich gewahr zu werden, dass es sich um ein Bordell in Río Gallegos, im äußersten Süden Argentiniens, handelte.“ Der Fahrer hatte Celina als Dominikanerin identifiziert und ihr ein „entsprechendes“ Arbeitsangebot gemacht. Dabei war das gar nicht ihr Plan. Doch die Cousine, die ihr die Reise vermittelt hatte, bot ihr einen Job im gleichen Gewerbe an. Celina hatte sich in ihrer Heimat mit 2800 US-Dollar verschuldet, um ihre Reise in eine bessere Zukunft zu unternehmen. Nach kurzer Zeit in einem schlecht bezahlten Friseurinnenjob, dessen Lohn nicht ausreichte, um die von der Cousine verlangte ausbeuterische Summe für Zimmermiete und Nebenkosten zu bezahlen, landete sie auf dem Straßenstrich. Celinas Geschichte ist eine von vielen. Sie wurde in einer Studie der „International Organization for Migration“ (IOM) veröffentlicht (Migración, Prostitución y Trata de Mujeres Dominicanas en la Argentina, Buenos Aires 2003), in der Interviews und Umfragen mit Dominikanerinnen, Gewerkschafterinnen, Sozialarbeiterinnen und NRO-Mitarbeiterinnen sowie Informationen der dominikanischen Botschaft und der argentinischen Migrationsbehörde (DNI) ausgewertet wurden. 

Laut Studie wollten die meisten dominikanischen Frauen, die nach Argentinien gegangen sind, mit ihrer Migration das Familieneinkommen aufbessern, um vor allem ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Die meisten hatten in ihrer Heimat Arbeit. Doch der Erfolg derjenigen Familien, von denen ein – zumeist weibliches – Mitglied ins Ausland gegangen ist, weckt Begehrlichkeiten: In diesen Familien gibt es eine Waschmaschine, größere Häuser, neue Kleidung, Kinder, die ihre Schule beenden etc. Neben den ökonomischen Zwängen gibt häufig auch die Trennung vom Partner den endgültigen Ausschlag. Die Entscheidung zu emigrieren wurde bei den befragten Frauen zu 87 Prozent durch einen Vermittler oder eine Vermittlerin vorangetrieben. Diese Personen grasen das ganze Land ab, um junge Frauen zu rekrutieren. Ihr Service erstreckt sich darauf, Reisepass und Flugticket zu besorgen, zudem angeblich notwendige Papiere wie Einladungsschreiben und Touristenvisum. Dabei wird den Frauen verschwiegen, dass sie das Touristenvisum sowieso bei der Einreise bekommen und dass ihnen damit keinesfalls die Ausübung einer Erwerbsarbeit in Argentinien erlaubt ist. Des Weiteren vermitteln sie eine Begleitung bei der Reise oder garantieren, dass eine Person sie am Flughafen abholt, eine erste Unterkunft besorgt und in einen Arbeitsplatz vermittelt. Versprochen werden ihnen Jobs als Haushaltshilfe, Altenpflegerin, Kindermädchen oder in der Gastronomie – also für Migrantinnen durchaus gängige Jobs. 

Sara Torres ist Sexual-Erzieherin, die niemals in ihrem Beruf arbeiten konnte, denn seit ihrem Studium in den 60er Jahren hat es in argentinischen Schulen niemals Sexualkunde-Unterricht gegeben. Seit 1972 beschäftigt sie sich mit dem Thema Prostitution. Seit 1999 vertritt sie in Argentinien die Koalition gegen Frauenhandel (CATW – Coalition Against Trafficking of Women). Vor zwei Jahren war sie an der Gründung des argentinischen Netzwerks gegen den Menschenhandel (Red contra la trata) beteiligt. Für Sara Torres hat die verstärkte Einwanderung von Dominikanerinnen ab Mitte der 90er Jahre einen ganz klaren Grund: „Vor 2001 kamen viele Frauen wegen der Dollar-Parität, was ihnen erlaubte, etwas Geld an ihre Verwandten zu Hause zu schicken. Viele haben sich selbst dazu entschieden – aber was bedeutet das genau?“ Bei den allermeisten Frauen spielten die Überzeugungskraft und die verlockenden Angebote der VermittlerInnen eine wichtige Rolle. Für deren Service-Leistungen mussten sie zwischen 20 000 und 40 000 dominikanische Pesos (Ende der 90er Jahre ca. zwischen 1250 und 2500 Dollar) zahlen, was in den günstigsten Fällen in etwa einem Jahresgehalt in der Dominikanischen Republik entsprach. Mehr als 60 Prozent der Frauen mussten dafür eine Hypothek auf ihr Haus in der Dominikanischen Republik oder einen Kredit aufnehmen. Einmal in Argentinien angekommen, reicht dieser enorme Druck, die Schulden abzahlen zu müssen, oft schon aus, um den Widerstand der Frauen zu brechen und sie zur Prostituierten zu machen. 

Die Arbeitsbedingungen in der Prostitution variieren stark, je nachdem, ob die Frauen auf der Straße oder in „Clubs“ oder „Saunas“ arbeiten – denn Bordelle darf es in Argentinien eigentlich nicht geben: „Argentinien ist ein Land, das offiziell gegen die Prostitution ist, in dem Sinne, dass Bordelle verboten sind. Aber guck' dir diese Zeitschrift hier an – die ist voll mit Anzeigen für Orte, die eigentlich Bordelle sind, sich aber andere Namen geben. Gegen diese schönfärberisch als ‚Club', ‚Massagezentrum' etc. bezeichneten Örtlichkeiten juristisch vorzugehen, ist sehr schwierig. Die Frauen, die dort ausgebeutet werden, gelten als ‚freie Sex-Arbeiterinnen'. Ich arbeite seit 30 Jahren auf diesem Gebiet und kann versichern, dass weniger als ein Prozent dieser Frauen wirklich aus freiem Willen dort arbeitet. Die überwiegende Mehrheit muss ihre Kinder, Ehemänner, fiolos – Zuhälter – unterhalten“, erzählt Torres. 

In den Clubs oder „Saunas“ verdienen die Frauen viel weniger als auf der Straße und befinden sich in einem größeren Abhängigkeitsverhältnis. Ihr Verdienst fängt bei einem Peso pro Klient an oder beträgt um die 30 Prozent des Preises für die Dienstleistung. Meist verdienen sie dabei weniger als 500 Pesos monatlich. Sara Torres berichtet exemplarisch von einer Frau aus der Dominikanischen Republik: „Sie arbeitete zwölf Stunden täglich in einem Massagezentrum im Stadtteil Constitución. Wenn der Kunde für eine bestimmte Dienstleistung zehn Pesos, also zehn Dollar zu Zeiten der Parität, zahlte, bekam sie davon zwei Pesos. Und das reichte gerade aus, um ihre Grundbedürfnisse und ihre Unterkunft zu zahlen. Es blieb kaum etwas übrig, um es nach Hause zu schicken.“ Zu der enormen Ausbeutung kommen im schlimmsten Fall Einsperren sowie Gewalt, Einschüchterungen und Missbrauch hinzu. Für Sara Torres handelt es sich hierbei ganz klar um Menschenhandelsopfer, für die es in der argentinischen Gesellschaft kaum Unterstützungsangebote gibt: „Nur sehr wenige Frauen trauen sich, Anzeige zu erstatten. Für die Opfer des Menschenhandels gibt es jedoch kaum Schutzräume, manchmal nehmen wir sie mit zu uns nach Hause, womit wir natürlich selber Risiken eingehen. Einige wenige soziale Organisationen, meist religiöser Ausrichtung, unterstützen die Prostituierten. Hier können sie sich austauschen und Fortbildungsangebote nutzen. Diese Organisationen begleiten sie auch zur IOM, um mit deren Hilfe die Rückkehr zu organisieren.“ Ein anderer häufig gewählter Ausweg ist die Heirat mit einem Argentinier. „Doch viele dieser Paare sind mit der Wirtschaftskrise in die Armut abgerutscht, woraufhin die Frauen wieder anschaffen gegangen sind. Nun ist ihr eigener Mann gleichzeitig ihr Zuhälter.“

Der Vorteil der Straßenprostitution liegt in den selbstbestimmten Arbeitszeiten und Preisen, doch muss sich jede Frau mit dem zuständigen Polizeibeamten arrangieren. So zahlte Celina, die etwa acht Monate auf dem Straßenstrich arbeitete, wöchentlich 20 Pesos Bestechungsgeld an die Polizisten der Zone und musste ihnen ihre Dienste gratis zur Verfügung stellen. Obwohl in der argentinischen Verfassung die Ausübung der Prostitution nicht unter Strafe steht, sorgen jedoch die unterschiedlichen Polizei-Verordnungen der Gemeinden für ein repressives Vorgehen gegen Sex-Arbeiterinnen. Sara Torres zeigt die Entwicklung in Buenos Aires auf: „In den 90er Jahren kämpften wir gegen die Polizei-Verordnung, die ein repressives Vorgehen gegen Prostituierte und Transvestiten erlaubte. Als die Verfassung der Stadt Buenos Aires ausgearbeitet wurde, setzten wir uns dafür ein, dass die Verteidigung der Menschenrechte einen angemessenen Platz findet, dass u.a. auch die repressive Polizeiverordnung wieder abgeschafft wurde.“ Dies erreichten sie zwar, doch in den Folgejahren wurden die Verordnungen von Jahr zu Jahr wieder härter. Zuletzt hat der código contravencional (Ordnungswidrigkeiten-Katalog) vom September 2004 massive Kritik von sozialen Organisationen hervorgerufen. Die alternative Nachrichtenagentur ANred sieht in ihrem Bulletin Nr. 3 (September 2004) schwerwiegende Nachteile für Frauen und Transvestiten, die in der Prostitution arbeiten: „Artikel 71 des código contravencional stellt das ‚Anbieten von Sex im öffentlichen Raum' unter Strafe und verdammt sie dazu, Bestechungsgelder an die Polizisten zu zahlen und drängt sie in die ‚Saunas' oder ‚Massagehäuser', wo sie von Polizisten und Mafiosi kontrolliert werden“.
„Als der Peso abgewertet wurde, hatten sie noch nicht einmal mehr genug, um das Hotel zu bezahlen. Viele entschieden sich, zurückzukehren, und nicht wenige haben das mit Hilfe des Rückkehrprogramms der IOM gemacht.“ Die Frauen vom Netzwerk gegen den Menschenhandel schätzen die Dokumentationsarbeit der IOM zum Menschenhandel. Doch von Zusammenarbeit mit der umstrittenen Organisation kann keine Rede sein: „Wir laden die IOM zu unseren Veranstaltungen ein, manchmal kommen auch VertreterInnen. Aber die IOM arbeitet lieber mit den Außenministerien zusammen, nicht mit NGOs.“ 

Das Rückkehrprogramm der IOM sichert den Frauen die Wahrung der Anonymität zu, bewahrt sie vor Sanktionen und zahlt ihnen den Rückflug. „Aber wenn sie zurück in ihrem Land sind, haben sie nach wie vor keine Arbeitsmöglichkeiten“, kritisiert Torres. Viele Frauen müssen nach wie vor ihre Schulden abbezahlen. Insgesamt geht es den meisten nach ihrer Rückkehr schlechter als vor der Emigration. Das stellt sogar die Studie der IOM fest: Vorher hatten sie eine Arbeit, nun fällt es ihnen schwer, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Dazu kommt die Schmach, als Migrantin „gescheitert“ zu sein.

Celina konnte aus der Prostitution aussteigen. Nun lebt sie mit ihrem Mann, einem argentinischen Kurierfahrer, und ihren beiden Kindern in einem Vorort von Buenos Aires. Mit Hilfe einer Psychotherapie konnte sie auch ihre verlorengegangene Selbstachtung wiederherstellen. Eine Geschichte mit Happy End, von denen es leider nicht allzu viele gibt.

Das Gespräch mit Sara Torres fand im Dezember 2004 in Buenos Aires statt.