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Wir wollen Garantien, nicht nur ein vages „Alles ist anders“

Die mexicanischen Schriftsteller Carlos Monsiváis und Hermann Bellinghausen im Gespräch mit Subcomandante Marcos

Zwei der wichtigsten Chronisten der mexicanischen Gesellschaft, Hermann Bellinghausen (HB), der den Krieg niedriger Intensität in Chiapas seit Beginn aus größter Nähe verfolgt hat, und Carlos Monsiváis (CM), scharfsinniger und -züngiger Beobachter der Hauptstadtkultur, befragten den Sprecher der ZapatistInnen, Subcomandante Marcos, zu den vergangenen sieben Jahren Aufstand, zu dem nun erfolgten Regierungswechsel und zu den Perspektiven der Linken in Mexico. Das Interview wurde in der mexicanischen Tageszeitung La Jornada kurz nach Jahresbeginn 2001 in voller Länge veröffentlicht. Die folgende Übertragung ins Deutsche ist nur unwesentlich gekürzt. (Siehe auch das ila-Interview mit dem Sub in ila 175, Mai 1994)

Hermann Bellinghausen
Carlos Monsiváis

CM: Am 1. Januar 1994 waren wir alle vom Auftreten der EZLN überrascht; anfangs war vielen von uns nicht klar, worum es sich eigentlich handelte. Die erste Erklärung aus dem lakandonischen Urwald gefiel mir gar nicht und die Kriegserklärung an den mexicanischen Staat erschien mir ziemlich verrückt. Dann, zwei Wochen später, erschien ein Text, den ich ausgezeichnet fand: „Wer muss hier um Vergebung bitten...?“ Da hatte schon eine Verschiebung in der Betonung stattgefunden, von der Kriegserklärung zum Dialog mit der Gesellschaft, ohne jegliche Vorwarnung. Ich glaube, dass seit diesem Text und den Begleitumständen – dem Waffenstillstand z.B. – der Zapatismus sich in einen politischen, moralischen und ökonomischen Argumentationszusammenhang verwandelte, der sich allerdings auch noch auf etwas stützen konnte, was seine militärische Vernichtung verhinderte: auf eure Eigenschaft als direkte RepräsentantInnen der enormen Armut und Misere. Stimmst du mit mir überein in der Einschätzung, dass da ein Sprung in der Sprache der beiden Texte stattgefunden hat?

Da fand nicht nur ein Sprung in der Sprache statt, sondern in der ganzen politischen, ja militärischen Konzeption der EZLN. In ganz einfachen Worten: Die EZLN hatte sich auf den 1. Januar vorbereitet, aber nicht auf den 2. Den hatten wir in unsere Erwartungen gar nicht mit einbezogen. Die bewegten sich vielmehr zwischen den beiden Extremen: entweder die komplette Liquidierung des ersten Frontabschnitts oder die Erhebung eines ganzen Volkes, um den Tyrannen abzusetzen. Nun ergab sich für uns aber eine Option, mit der wir absolut nicht gerechnet hatten. In der 1. Erklärung lassen sich noch die widerstreitenden Konzepte einer städtischen Organisation erkennen, die noch mit den Kriterien der politisch-militärischen Organisationen und nationalen Befreiungsbewegungen der 60er Jahre versetzt waren, und andererseits mit indigenen Elementen, die das Denken der EZLN durchdringen. Die einzige Gruppe, die glaubhaft sagen konnte: „Wir sind Produkt eines 500jährigen Kampfes“, sind die Indígenas. Ganz konkret; es ging nicht um den Griff zur Macht, sondern es handelte sich um einen Aufruf an eines der Verfassungsorgane, seine Rolle wahrzunehmen, den Kongress.
Die EZLN erscheint am 1. Januar, beginnt einen Krieg und findet sich in einer Welt wieder, die ganz anders ist als die vorgestellte. Die beste Eigenschaft der EZLN ist seitdem ihre Fähigkeit zuzuhören. Wir sagten uns damals: „Hier gibt es etwas, das wir nicht verstehen, etwas Neues. Halten wir inne. Das Wichtigste ist jetzt, mehr zu reden und zuzuhören.“ Es gab nichts, dessen wir uns sicher waren. Unsere Möglichkeiten waren so groß, dass wir sagen konnten: „Also gehen wir in den Dialog.“ Nicht weil wir gewusst hätten, dass das gut ausgehen könnte oder dass wir schlicht Zeit brauchten. Wir brauchten darüber hinaus eine Tür, um zu verstehen, was da geschah, und um auch diesen anderen Akteur zu verstehen, den wir Zivilgesellschaft zu nennen pflegten, ein bisschen in dem Sinne, wie du und andere sie beschrieben haben, diese formlose Masse, die nicht als politische Organisation im klassischen Sinne in Erscheinung tritt, die sich ab dem 2. Januar zu regen beginnt. Sie ist weder mit uns aufgestanden, noch war sie apathisch. Sie schloss sich nicht einer Lynchkampagne an, die schon im Gange war, vor allem in den elektronischen Medien. Sie nahm eine neue Rolle an und warf sich auf eine Weise mitten in den Krieg, dass weder die eine noch die andere Seite einfach weitermachen konnte. So wurden wir neugierig und gingen ohne politisches Kalkül in den ersten Dialog und das, was darum herum entstand.

CM: In den ersten Monaten gab es einen moralischen Aufstand der Gesellschaft. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, der Zivilgesellschaft, da ihre Organisation noch sehr rudimentär war und abhängig von Gefühls- und moralischen Reaktionen. In jedem Fall aber verhinderte der ethische Widerstand eines großen Sektors die militärische Vernichtung, zwang Salinas zum Rückzug, schaffte die Friedensketten und weckte internationales Interesse... Und ich glaube, dass vor allem seit dem Text „Wen müssen wir um Vergebung bitten?“ auf den moralischen Aufstand mit dem Vorschlag zum Dialog geantwortet wird. Wie siehst du aus der Perspektive der EZLN die Teilnahme an dem Dialog? Welches sind die Fort-, welches die Rückschritte oder wo hat sich nichts bewegt?

Da gibt es hauptsächlich zwei Formen, den Dialog wahrzunehmen. Als wir aus der Kathedrale (zwischen dem 21. Februar und dem 2. März 1994 fanden in der Kathedrale von San Cristóbal unter Vermittlung von Bischof Samuel Ruíz Friedensgespräche zwischen Regierung und EZLN statt – die Red.) herauskamen, trafen wir auf alle diese Leute. Einerseits ergab sich die Sensibilisierung für die indigene Problematik, die vor allem in kulturellen, ethnischen, moralischen, politischen, ökonomischen und sozialen Kategorien benannt wurde. Die Gründe für den Konflikt waren und sind unabweisbar. Andererseits befanden wir uns in einem Vakuum. Die EZLN erschien im Januar 94 nicht nur als die Kraft, die das nationale Bewusstsein für die indigene Problematik wachrütteln wollte. Für viele Sektoren füllte sie auch eine Leerstelle in den politischen Erwartungen der Linken, und dabei beziehe ich mich nicht auf diejenigen, die immer noch dem Sturm auf das Winterpalais nachhängen, noch auf die Profis des Aufstands und der Revolution. Ich beziehe mich auf ganz normale Leute, die über das Indígena-Problem hinaus darauf warteten, dass sich eine politische Kraft herausbildete, die einen Raum füllen könnte, der weder von der parlamentarischen Linken noch von den extralegalen – nicht illegalen – Gruppen besetzt wird.

CM: Würdest du hier von einem utopischen Gefühl sprechen?

So würde ich es nicht bezeichnen, es hat etwas Spontaneres. Viele, die sich für die Politik interessieren, merken, dass es da etwas gibt, das sie nicht ausfüllt. Und das ist neuartig. In diesem Sinne, glaube ich, haben wir mehr Erwartungen geweckt als wir erfüllen konnten, vom Standpunkt derer, die uns wie eine politische Partei sehen wollten oder wie Animateure einer Kultur, die verkalkt war in den Lehrmeinungen der 60er oder 70er Jahre über den Antiimperialismus und die Weltrevolution; all dies auf der Seite der Linken. Wir haben auch ein Problem zur Sprache gebracht, was zumindest auf Seiten der politischen Klasse in Vergessenheit geraten schien: das Problem der Ethik.
Ausgehend von dem Dialog in der Kathedrale begannen wir, die Idee mit dem Tisch, an dem auch andere Platz nehmen, auszubauen. Wir wollten das Schema des Hintertürchens durchbrechen, mit dem wir es in der Kathedrale, in San Miguel und in San Andrés immer zu tun hatten. Sie sagten uns: „Wir werden uns einig, aber nur unter uns. Was willst du? Land? So viel kannst du haben.“ Wir antworteten: „Nein, darum geht es nicht.“ Wir erreichten, dass sich auch andere Leute an den Tisch setzten und dass die Vereinbarung nicht im üblichen Geben und Nehmen endete, sondern dass etwas Neues passierte. San Andrés durchbricht das gewohnte Verhandlungsschema der politischen Klasse.

HB: Ihr seid als eine indigene Bewegung aufgetaucht, isoliert von den anderen, so wie das immer in diesem Land geschehen ist. Aber seit dem Moment eures Erscheinens war da eine symbolische und repräsentative Anziehungskraft und die indigene Bewegung hat in besonderer Weise auf euch reagiert. Wie war diese Begegnung zwischen euch und der indigenen Bewegung und was habt ihr dabei entdeckt, nicht nur in der Erscheinungsform, sondern auch an den Inhalten der Forderungen? Schließlich sind die indigenen Rechte doch ein Schlüssel für die kommende Mobilisierung in die Hauptstadt.

Wir haben uns immer bemüht ehrlich zu sein. Anfangs sind wir uns eher mit der indigenen Bewegung entgegnet als begegnet, genauso wie mit der politischen Klasse, mit der Linken, mit der Gesellschaft. Im Untergrund hatten wir uns auf eine Welt vorbereitet, die es so gar nicht gab. Bei der indigenen Bewegung fällt als erstes ins Auge, dass du es nicht mit den indigenen Gemeinden selbst zu tun hast, sondern mit professionellen Indios, mit Politprofis. Zu dieser Zeit misstrauten wir allem und jedem.
Vieles verstanden wir auch nicht. Die politische Klasse hat ihre eigenen Codes, ihre Signale, die wir nicht verstanden. Begegnung fand erst statt, nachdem wir kapiert hatten, dass es nicht um die Repräsentanten der indigenen Bewegung in der politischen Klasse gehen konnte, sondern um die indigene Bewegung selbst, die sich wie wir in vereinzelten oder regionalen Konflikten befunden hatte.
Denn offensichtlich haben die Indígenas nie aufgehört zu widerstehen und sich im ganzen Land zu bewegen. Das brachte uns auf den Gedanken, den Dialog zur Lösung des Problems zu nutzen, aber auch um uns mit anderen zu treffen. Denn das Problem der EZLN besteht ja nicht darin, in der Stunde des Dialogs ein paar Forderungen erfüllt zu bekommen, sondern dass mit dieser Forderung auch ihr Verschwinden einhergeht. Schließlich geht es in unseren Gesprächen mit der Regierung, mit dem Gegner, um Garantien, die uns überzeugen, dass es nicht mehr nötig sein wird, das zu tun, was wir getan haben, dass wir nicht mehr sein müssen, was wir noch sind.

CM: In einer sehr langen Etappe gab es eine Gemeinsamkeit mit euren Gesprächspartnern: verbalen Überfluss. Ihr habt ganz schön viel geschwafelt.

Na klar, da gab’s nichts. Wir luden das ganze Spektrum ein, von den Offiziellen bis zu den traditionellsten und modernsten Indigenisten, von den Autonomisten bis zu den Fundamentalisten... alles das. Wir fingen an, uns selbst in einer unserer Kampflosungen zu erkennen, dem Recht auf Differenz. Wir sind nicht gleich, genausowenig wie ein Schwuler und eine Lesbe gleich sind. Wir kämpfen nicht für die Gleichheit im Sinne der Gleichmacherei. Grundlegend in unserem Kampf ist die Forderung nach Anerkennung indigener Rechtsprechung und Kultur, denn das sind wir. Hieraus ergibt sich die Anerkennung der Differenz, des Anderen. Daher auch unser Bündnis mit der Schwulen- und Lesbenbewegung, aber auch mit anderen marginalisierten Bewegungen.
Andererseits gibt es natürlich das Problem, dass wir eine Kraft sind, die nicht aus der Tradition der politischen Klasse stammt, sondern die ihre Strategien aus den indigenen Gemeinden zieht. Die grundlegende Achse unseres Kampfes liegt auf dem Indigenen und darauf bauen die anderen auf. Daher heißt „Nie mehr ein Mexico ohne uns!“ gleichzeitig „Nie mehr einen 1. Januar 94“. Die Kameras, die Medien und alles, was es sonst noch gab, das kam nachher. Am 1. Januar gab es Tote, Zerstörung, Verfolgung, Verzweiflung, Elend, Angst und Schrecken, alles was Krieg halt bedeutet.
Deswegen sind wir so sehr an einem Ende des Krieges interessiert. Wir haben ihn schon geführt; wer ihn nicht geführt hat, ist an seiner Fortsetzung interessiert, weil er diese Kosten nicht tragen musste. Wir wollen nicht, dass sich das wiederholt. Wir wollen gar nichts bekommen, sondern Garantien, dass wir Teil dieses Landes sein können, nach unseren eigenen Kriterien. Wir wollen keine Abspaltung oder einen eigenen Staat und wir wollen auch nicht die Union sozialistischer Republiken Zentralamerikas aufbauen.

CM: Ich denke, einer der großen Beiträge dieser Bewegung war die Einführung des Themas Rassismus in die Diskussion, als eines der nicht zu leugnenden Kennzeichen dieser Gesellschaft. Als die erste EZLN-Delegation in die Hauptstadt kam, gab es meines Wissens die erste antirassistische Demonstration in der Geschichte Mexicos. Ein bemerkenswerter Beitrag. Gleichzeitig gibt es aber auch Stimmen, die sagen, dass die EZLN die Lage der indigenen Bevölkerung weder in Chiapas noch im Rest des Landes verbessert hat, sondern dass sie eher schlechter geworden ist.

Für uns hat die Geschichte nicht aufgehört. Heute erkennen alle, auch die schlimmsten Rassisten, an, dass die Situation in den indigenen Gemeinden so nicht weiterbestehen kann. Da können Guerilleros oder einfache Verbrecher entstehen, aber sie können nicht zum Verschwinden gebracht werden. Das hat man 500 Jahre lang versucht und es ist ihnen nicht gelungen.
Die EZLN kann nicht eine Lösung vortäuschen oder Schluss machen mit einem Spektakel ihrer Anführer, die dann wichtige Ämter erhalten, meisterhafte Vorlesungen halten, Bücher signieren oder was auch immer die Zukunft für sie bereit hält – einen Gouverneursposten, die Leitung der PR-Abteilung eines neuen Regimes –, solange für den Rest der Bevölkerung alles beim alten bleibt. Hier vielleicht noch einen Laden, da noch eine Gesundheitsstation, wohl wissend, dass sich nichts ändert an den Bedingungen der Armut. Wir wollen die Waffe ablegen, wollen unsere Armut in ein Kampfinstrument für Freiheit und Demokratie umwandeln. Wir wollen, dass sich das hier ändert, nicht dass man uns Almosen gibt.
Wir wollen den Frieden aufbauen, wir haben die Fähigkeit, das zu tun. Wir können eine plurale Gesellschaft aufbauen, mit allem, was wir sowieso machen wollen, ohne Waffen. In diesem zurückliegenden Zeitraum ist aber eine bewaffnete Bedrohung entstanden, die nicht nur Bundesheer heißt, sondern paramilitärische Gruppen, „Guardias Blancas“ oder wie auch immer sie heißen. Da hat die EZLN keine andere Wahl als zu kämpfen...

CM: Ich wollte auf etwas Anderes hinaus. Ihr werdet dafür verantwortlich gemacht, die Katastrophe in Chiapas erst ausgelöst zu haben. Was sagt ihr auf solche Anschuldigungen, wonach alles besser wäre in Chiapas ohne die Zapatisten.

Dass das falsch ist, denn es lässt sich weder statistisch untermauern, was die soziale und wirtschaftliche Lage anbetrifft, noch mit den Zahlen der toten Kinder unter fünf Jahren. Dass die Situation nicht so ist, wie sie sein müsste nach dem Paukenschlag vom 1. Januar 94, das ist richtig. Aber sie ist auch nicht schlechter als vorher. Die Sache steht auf der nationalen und internationalen Agenda als Tagesordnungspunkt, der behandelt werden muss. Ohne diese sieben Jahre läge die Akte Indígenas im Archiv in einem Stapel mit dem Buchstaben „U“ wie unerledigt.

HB: Wir sprechen hier von einem Wandel in der Wahrnehmung des Indígena-Problems im Land, in den staatlichen Behörden, bei der Zuteilung von Ressourcen und Investitionen. Aber was ist mit den Indígenas in diesen Jahren passiert? Ihr seid dabei, einen weiteren Schritt im selben Kampf zu machen. Wo steht aktuell die nationale indigene Bewegung, wie haben die Dörfer reagiert, was erwartet man von ihnen angesichts der letzten Veränderungen?

Einen weiteren 1. Januar, aber ohne Krieg. Vor dem 1. Januar 94 gewannen die, die immer gewinnen, und es sah so aus als könne man nichts dagegen machen. Jetzt geschieht etwas Ähnliches: Die, die gewannen, werden wohl auch weiterhin auf der Gewinnerseite sein, und wieder wird sich nicht viel daran ändern. Wenn auch das Regime ein anderes ist, die Karawane geht weiter. Für uns ist der Raum offen. Wer den Anstoß gibt, ihn zu füllen, ist nicht die EZLN, sondern die indigene Bewegung mit ganz konkreten Forderungen.
Für uns ist besonders wichtig, dass die Nation sagt: „Ich erkenne an, dass alles, was früher geschah, nicht gut war. Ich erkenne nicht nur an, sondern werde auch alles daran setzen, dass dies nicht noch einmal geschieht.“ Bin ich jetzt utopisch? Na ja, vielleicht, aber ich glaube, dass daraus viele Sachen entstehen können. Wir sehen mit Sorge die Leere, den Sumpf, den Skeptizismus, die Tatsache, dass nur wenige Federn – um vom Sektor der Intellektuellen zu sprechen – dabei sind, die Dinge aufzudröseln. Vielleicht liegt es ja noch an der Besoffenheit über das Ende des PRI-Regimes, dass die Sachen sich setzen müssen, dass die Leute noch nicht sehen, wo ihr Platz ist. Vielleicht aber auch nicht. Da steht auf jeden Fall etwas an. Die indigene Bewegung kann Auslöser einer sehr einschließenden Initiative sein; im Unterschied zum Krieg, der ausgesprochen ausschließend ist: Da gibt es die eigenen Soldaten und die feindlichen, und der Rest bleibt in der Mitte.

CM: Würdest du sagen, dass der Satz „Nie mehr ein Mexico ohne uns“ gleichbedeutend ist mit „Nie mehr ein Mexico gegen sich selbst“?

Genau. Es könnte die Tür dafür sein, dass andere Ausgeschlossene Mexicos anerkannt werden. Es ist nicht nur Rassismus, mit dem sich die mexicanische Gesellschaft plagt. Die Nation sagt: „Nicht mehr! Ich will nicht mehr so sein!“ Und das muss angewandt werden auf die anderen Sektoren, ob Minderheiten oder nicht: Frauen, Jugendliche, Homosexuelle, Lesben oder Transsexuelle. Ich denke, dass mit dem Ende des Milleniums innerhalb des ganzen progressiven Bewegungsspektrums auch die Zeit reif ist für die Entstehung einer Bewegung, die den Kampf um die Hegemonie für beendet erklärt, der es nicht darum geht, als Avantgarde (sei es auf der rechten oder auf der linken) anerkannt zu werden und alles andere zu diskreditieren. Dieses Jahrhundert sollte eines der Unterschiede sein und darauf lassen sich nicht nur Nationen, sondern Wirklichkeiten, die Welt bauen. In diese Richtung wollen wir weiterträumen, ohne uns dafür zu schämen.

CM: Es gibt einen Punkt bei den Vereinbarungen von San Andrés: der über „Sitten und Gebräuche“. Das ist mir überhaupt nicht klar, denn ich denke, das ist eher ein Aufruf zum Stillstand, so wie es auch jetzt formuliert wird. „Ich will dich so wie du bist, um dich weiterhin zu erkennen.“ In der neuen Regierung kursiert die Idee, die indigenen Gemeinschaften in dem Maße zu unterstützen, wie sie an ihren Traditionen und Sitten festhalten. Das ist nach meinem Geschmack völlig unakzeptabel, denn Veränderung ist auch ein Grundrecht, und zwar ein unvermeidliches. Wie seht ihr das mit den „Sitten und Gebräuchen“?

Einige „Sitten und Gebräuche“ taugen nichts in den indigenen Gemeinden: der Verkauf von Frauen, der Alkoholismus, der Ausschluss von Frauen und Jugendlichen bei der kollektiven Beschlussfassung. Der Rechten ist alles, was sich mit „Ordnung und Respekt“ zusammenfassen lässt, recht. Diese „guten“ Sitten und Gebräuche würde sie am liebsten auf die ganze Nation ausdehnen und die anderen ganz beiseite lassen.
Wir, nicht nur die zapatistischen Gemeinden, sondern alle 56 Ethnien, die in San Andres vertreten waren, inklusive die PRI-Delegationen, haben das Recht auf Anderssein gefordert und dass wir auf diesem Anderssein unsere Zukunft aufbauen wollen. Von außen sollen keine juristischen, politischen und sozialen Fragen aufgepfropft werden. Das schafft nur Verirrungen wie das Kazikentum in San Juan Chamula, wo versteckt hinter religiöser Intoleranz ein perfekter politischer Machtapparat aufgebaut wurde. Wenn das Land, das sie uns jetzt vorschlagen, gedeihen sollte, wird es ein San Juan Chamula vom Río Bravo bis zum Suchiate (dem Grenzfluss zu Guatemala – die Red.). „Raus mit allem, was anders ist, was nicht römisch-katholisch ist.“ Denn nicht einmal innerhalb der Religion wird es Toleranz geben, ganz zu schweigen von den Atheisten, wenn es sie überhaupt noch gibt. Gibt es sie noch?

CM: Da müsste ich erst mein Kopfkissen befragen. Das ist mir näher als ein Beichtvater.

HB: Eine der Forderungen, die seit Jahren erhoben wird, ist die nach der Entmilitarisierung der Region. Wie ist die aktuelle Situation? Hat sich tatsächlich etwas geändert?

Wir stellen eine grundlegende Frage an die neue Regierung, die uns von den Dörfern und Gemeinden aufgetragen wird: Jawohl, wir sind bereit zum Dialog und zur friedlichen Lösung, aber hat es Sinn, in den Dialog zu treten oder werden wir wieder auf Gewohntes stoßen? Denn wir nehmen das nicht einfach so hin: Alles ist anders. Welche Garantien gibt es, dass die neue Regierung wirklich ernsthaft zu handeln bereit ist? Wir fragen die gesamte politische Klasse, ob sie den Dialog wirklich will, und zwar bis zu den letzten Konsequenzen. Wir fragen den Kongress, ob er seinen Teil beiträgt; wir fragen die Judikative, ob sie uns als Gesprächspartner anerkennt und nicht als Kriminellen, der einen Teil des Territoriums entführen will. Und Herrn Fox als Oberbefehlshaber des Heeres stellen wir die Frage: „Sind Sie bereit für die militärische Entspannung, d.h. für die Entmilitarisierung?“ Er soll sagen: „Ich werde nicht zur militärischen Option greifen, sondern die politische Option gebrauchen.“ Wir verlangen gar nicht den Abzug aus allen 259 Stellungen, sondern nur aus sieben, als ein Zeichen. Die andere Frage wird lauten: Hat Fox wirklich die Befehlsgewalt über das Militär in Chiapas? Und wenn er sie hat, aber zögert sie anzuwenden, was soll’s dann? Wir werden den Konflikt nicht beenden und sagen: „Gut, der Krieg ist zu Ende, Compañeros! Und wir haben vielleicht einen weiteren Laden und die indigenen Rechte bleiben unerledigt und außerdem bleiben nach wie vor 70 000 Soldaten in den Dörfern und unterstützen weiterhin alles, was sie da so unterstützen.“
Wenn wir auf diese drei Fragen dreimal ein Ja zur Antwort bekommen, kommen wir schnell zu einem Friedensprozess. Noch haben wir keine positive Antwort erhalten, stattdesen aber wohl ein paar negative Andeutungen. In einem Interview vom 15. Dezember lässt sich Fox auf keine konkreten Aussagen ein und redet stattdessen über die Dörfer, die die Anwesenheit des Militärs reklamieren, über die unsichere Grenze zu Guatemala, über die zentralamerikanischen MigrantInnen, die auch Unruhe schaffen können.

HB: Heißt das, dass es keine wirkliche Entspannung gibt?

Das heißt, dass die Sichtbarkeit reduziert wurde, aber bisher ist kein einziger Soldat aus Chiapas abgezogen worden, nur sind sie für die Journalisten, für die Nichtregierungsorganisationen, für die Leute nicht mehr so sichtbar. Früher sahst du hier die Marschsäulen, die Flugzeuge, die Hubschrauber. Heute sieht man sie nicht mehr, aber da sind sie noch. Taktisch und strategisch hat das Heer heute die Möglichkeit, in kürzester Zeit den chirurgischen Schlag auszuführen oder eine schnelle Offensive. Die EZLN fordert nicht den kompletten Abzug aller Militärs vor dem Dialog. Daher beziehen wir uns auf sieben Stellungen, die für die Grenze bedeutungslos sind. An diesen Orten gibt es niemand, der die Anwesenheit des Heeres wünscht. Die Leute von Guadalupe Tepeyac, das sehr weit von der Grenze entfernt ist, befinden sich nun schon seit fünf Jahren im Exil; Kinder werden geboren und Alte sterben außerhalb ihres angestammten Bodens. Und du weißt, wie wichtig der Boden ist in den indigenen Gemeinschaften. Der Boden, auf dem du geboren bist, auf dem du aufgewachsen bist, wo sich dein Leben abspielt.
Diese Leute leben nicht mehr im Exil wegen Zedillo. Seit dem 1. Dezember leben sie im Exil wegen Fox. Die Militärs haben viele Interessen hier. Der General in Guadalupe Tepeyac ist ein selbständiger Munizipalpräsident, der nur seinem Vorgesetzten gegenüber abrechnet. Er hat den Auftrag, Genehmigungen zu erteilen, die Zufuhr von Prostituierten und von Alkohol zu autorisieren. Die Militärkonvois begleiten die Lastwagen, die den Schnaps rankarren. Warum? Weil die zapatistischen Kontrollposten den Alkohol beschlagnahmen würden und weil es ein Frauengesetz gibt, das solche Praktiken unterbindet.

CM: Seit sieben Jahren hast du eine Führungsposition innerhalb der EZLN inne. Kannst du dir vorstellen, auch ohne Waffen in der Regional- oder auch in der nationalen Politik zu agieren?

Wir sprechen zwar mit griffbereiter Waffe und Maske zu dir, aber wir wollen ganz gewiss weder die eine noch die andere behalten. Nicht nur aus pazifistischer Überzeugung, sondern weil wir Politik machen wollen, und dabei stören die Waffen. Aber man wird sie uns nicht im Tausch gegen nichts wegnehmen. Wir können nicht einfach sagen: „Jetzt ist alles anders; die PRI ist gestürzt, das war es, was wir wollten, also gehen wir jetzt in den ,Parnassos‘ (beliebter Intellektuellentreff in der Hauptstadt) oder wo man sonst hingeht, um Freunde zu treffen.“ Das können wir nicht machen. Wir haben Ideale, wir sind eine ernstzunehmende revolutionäre Bewegung, aber wir wollen auch andere Sachen machen, auch wenn sie uns nicht lassen. Ich habe keine Ahnung, ob unsere Forderungen wirklich subversiv sind, ich glaube eher nicht, aber wenn es da keine Lösung gibt, wird es knallen, auch ohne uns. Wenn das Land nicht anerkennt, dass es unterschiedliche Lebensweisen gibt, wird es an irgendeiner Stelle explodieren. Und zwar nicht nur als Neuauflage einer EPR oder ERPI, sondern das werden noch größere, radikalere, verbohrtere, intolerantere und fundamentalistischere Bewegungen sein, die die ethnische Frage stellen.
Die Antwort auf deine Frage lautet also ja. Und das gilt nicht nur für mich als Person. Wir haben nicht vor, die Neunmalklugen zu spielen und den Niedergang des Regimes abzuwarten oder gar den allgemeinen Volksaufstand. Seit wir begriffen haben, was wir begriffen haben, wollen wir diese Politik machen, für die es zwar keine Rahmenbedingungen gibt, aber die lassen sich herstellen. Das Problem mit dem unbewaffneten Rauskommen besteht darin, dass es heute nicht mehr nur den Feind gibt, sondern dass es mehrere sind, die paramilitärischen Gruppen, die weißen Garden, die Kaziken. Trotzdem denken wir, dass sich das alles lösen lässt. Deswegen legen wir so viel Wert darauf, dass die Leute verstehen, dass unser Rauskommen nicht nur in unserer Verantwortung liegt, sondern auch in ihrer, dass sie uns rausholen müssen.

HB: Wie soll sich denn die Gesellschaft organisieren, um euren Marsch und die Forderungen zu unterstützen?

Unser Problem besteht in der physischen Isoliertheit, die dazu führen kann, dass draußen irgendjemand behaupten kann: „Ich bin der Ansprechpartner für die EZLN, das rote Telefon.“ Und indem er das sagt, bleiben viele schon außen vor. Das möchten wir vermeiden, die roten Telefone und die Organisationskomitees. Wir wollen, dass Leute aus allen Richtungen teilhaben. Seien sie in der PRD (größte gemäßigt linke Oppositionspartei – die Red.) oder in der PT (linkssozialistische Partei – die Red.) organisiert oder in gar keiner Organisation oder in irgendwelchen sozialen oder politischen Organisationen, mehr oder weniger radikal, mehr oder weniger reformistisch, aber vor allem Leute, die gar nichts sind. Auf diese Weise wird jede organisatorische Form ihren Raum finden, es wird nicht das Dialog-Monopol mit der Delegation geben und das gilt auch für die Mobilisierung für die drei Forderungen. Alle sollen ihren Platz haben. Die Erfahrung haben wir bereits gemacht; es war ein Fehler, sich auf eine einzige Organisation zu stützen und dieser die Auswahl von Leuten zu überlassen, einen Filter einzubauen, der dann für andere zum Hindernis wird. Von daher haben wir beschlossen, dass sich die EZLN selbst um die Mobilisierung kümmert. Mit der Consulta haben wir da gute Erfahrungen gemacht, da sind viele neue Organisationen spontan entstanden.

HB: Was heißt das jetzt konkret, dass die EZLN sich um die Organisierung kümmern wird?

Dass es draußen keine Organisationskommission geben wird, die sagen wird, was zu machen ist. Jedes Individuum oder jede Gruppe kann sich organisieren, um die anstehenden Aufgaben zu erledigen, und jeder wird seinen Platz finden, egal welcher politischen Richtung er angehört, ob seine Stimme bei den letzten Wahlen „nützlich“ oder „unnütz“ war. Wer nicht teilnimmt, der will nicht teilnehmen.

HB: Was erwartet ihr von den Bewegungen auf der Linken, die sich noch im Widerstand befinden und die einen anderen Wandel suchen als den von oben verordneten?

Die Achse, die Wirbelsäule unserer Mobilisierung ist die indigene Frage. Wir führen Gespräche mit dem Indigenen Nationalkongress (CNI), um uns über bestimmte Punkte zu verständigen, nicht nur über die Reise unserer Delegation, sondern auch über die anderen Forderungen. Diese Punkte tragen wir gemeinsam mit dem CNI, wir wollen mehr Offenheit, mehr Toleranz, keinen Streit darüber, wer der Bösere ist, wer eingeladen wird oder wer nach einer Wahl einen Posten innehat. Wir pflegen gemeinsam die Beziehungen zu den sozialen Bewegungen und zur Linken. Wir sind guter Hoffnung, dass es für die Bewegungen der Linken einen Schub nach vorn gibt, nach dem Schock über den Triumph der Rechten am 2. Juli (dem Tag der Präsidentschaftswahl). Vor allem, wenn man über Jahre gekämpft hat für ein anderes Regime, und schließlich gewinnen die anderen. Die Mobilisierung kann wichtig sein für die Wiederbelebung der Linken. Nicht im Sinne von anleiten, sondern als wichtiger Punkt für die Rekonstruktion sowohl der parlamentarischen als auch der außerparlamentarischen Linken. Wir dürfen nicht zulasen, dass die Macht die Räume knallhart besetzt. Wir denken, die Räume sind offen, aber wenn sie nicht mit einer Alternative gefüllt werden, die hoffentlich von der Linken kommt, einer weniger ausschließenden, breiteren Linken, dann werden die „Sitten und Gebräuche“ der Macht kommen, als nationaler Kanon. Ein großer Leidtragender wird dann der kulturelle Sektor sein. Dabei beziehe ich mich nicht allein auf progressive Ideen, sondern auch auf die künstlerischen Phantasien, auf das Radio, auf den Film, das Theater, alle Kultursparten. Die letzten Skandale, die es gab, der Angriff auf einen Karikaturisten (Ahumada), die verschiedenen Beispiele aus Gemeinden, die von der Rechten regiert werden, die Verfolgung von Homosexuellen, die Zensur gegenüber Theaterstücken, in denen Nacktheit gezeigt wird,... das wird, wenn man sie zulässt, die Politik eines Regimes sein, das nicht nur für die nächsten sechs Jahre angetreten ist, sondern den gesamten Politikstil ändern will. Das würde einen historischen Rückschritt bedeuten.

HB: Siehst du denn Chancen für die Entstehung einer neuen Linken? Deutet irgendetwas auf Veränderungen in diesem Lager hin?

Wir glauben, dass sich die Linke entscheiden muss. Setzen wir die Rechte in Beziehung zu ihren historischen Vorläufern und die Linke ebenso, stehen wir vor dem Problem, dass grundlegende Aspekte nach wie vor nicht gelöst sind. In Mexico hat das Regime die meiste Zeit seiner 71 Jahre damit verbracht, die Symbole des Widerstands, der Freiheiten, der Demokratisierung und des Kampfes für die Transformation bis zu ihrer Prostituierung herabzuwürdigen. Ich meine z.B. seinen Umgang mit Zapata und der gesamten Ahnengalerie der mexicanischen Revolution. Das unterstreicht die Notwendigkeit, einen neuen historischen Bezugsrahmen für die Zukunft zu finden. Ich glaube, das Hauptproblem der Lnken besteht darin, einen politischen und kulturellen Bezugsrahmen aufzubauen. Und da vermissen wir die Arbeit der Intellektuellen.
Gegenüber dem Aufstieg der Rechten reicht es nicht, den „Triumph der Marktstrategen“ zu akzeptieren, sondern es geht darum, welche Alternative du anbietest. Mit der Gesetzgebung aus den Zeiten der Reform kommt man dagegen nicht an. Das könnte dich schlecht aussehen lassen, vor allem in bestimmten Sektoren der Bevölkerung, die in ein Loch gefallen sind. Ein weiteres Problem ist natürlich, dass die politischen Parteien insgesamt in einer Krise stecken; die klassische politische Organisation der Machtübernahme, des Aufstiegs zur Macht, des Umgangs mit der Macht.

CM: Teil der komplexen Situation ist die neue Rolle sämtlicher Sektoren. Die öffentlichen Intellektuellen z.B. erscheinen vielen als verschwindende Spezies.

Sie müssen sich organisch neu formieren, mit allem Ballast, den Rechte und Linke mit sich schleppen. Sie müssen ihren kultuellen, historischen und intellektuellen Bezugsrahmen schaffen. Angesichts der Marktstudien, was bietet denn der Intellektuelle auf der Linken im Bereich der Sozialforschung? Er interveniert nicht oder kehrt zurück zum Schema Entwicklung – Unterentwicklung. Oder zum Handbuch von Politzer. Wird das unsere Antwort auf die Marktstudien sein? Gegen Keynes Marta Harnecker oder: Alles ist unklar. Da wird’s dann verrückt, denn damit überlassen sie den politischen Machern auch noch diese Aufgabe. Und die sind dafür am allerwenigsten geeignet, für sie ist alles, was mit Theorie zu tun hat, minderwertig, taugt nichts und ist steril. Der Macher baut einfach da auf, wo er gerade steht, und setzt einen Flicken auf den anderen. Also wir denken, dass die progressiven linken Intellektuellen noch einen langen Weg vor sich haben. Darin liegt eine große und sehr interessante Herausforderung, da hätte ich große Lust mit einzusteigen. Und das gilt nicht nur für die intellektuelle Ebene, sondern natürlich auch für die kulturelle, den Film.

HB: Die Rechte möchte jetzt die Zensur einführen, den Blick nur noch unterhalb dessen zulassen, was bereits erreicht wurde.

CM: Das will sie, aber Zensur ist unmöglich in Zeiten des Internet. Was sie allenfalls erreichen kann, ist, zu vermeiden, dass die Mehrheiten sich auf den neuesten Stand bringen. Aber eine Kirchhofskontrolle oder gar die Suche nach dem Einheitsdenken, das ist ein lächerliches Unterfangen.

HB: Im Bundesstadt Chiapas gibt es auch eine neue Regierung. Welche Veränderungen hat das bewirkt? Es wird gesagt, die Zapatisten hätten keinen Daseinsgrund mehr, weil die nationalen und staatlichen Rahmenbedingungen heute andere sind.

Hoffentlich werden die Erklärungen auch zu Taten. Natürlich ist es gut, dass nicht mehr so viel gebellt wird, und – um im Ton zu bleiben – Gott segne Albores (den früheren PRI-Gouverneur), auf dass er zum Teufel gehe. In jedem Falle fehlt noch vieles. Und das Problem ist ein bundespolitisches. Bei noch so gutem Willen der chiapanekischen Regierung bleibt die Hauptverantwortung bei der Bundesregierung, die darauf zu warten scheint, dass die Leute sich bewegen, bevor sie mit der Lösung unserer Forderungen beginnt.

Übersetzung: Ulrich Mercker